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# taz.de -- Essay Macht der Vereinten Nationen: „Globales Chaos“ und kein E…
> Der Verdruss über die UNO ist verständlich. Aber sie ist so nötig wie
> nach dem Zweiten Weltkrieg. Ohne sie hätte es wahrscheinlich einen
> Dritten gegeben.
Bild: Prominenter Gast: Leonardo di Caprio spricht vor der UN-Vollversammlung.
Im abgelaufenen Jahr 2014 ist nach Wahrnehmung vieler Menschen zumindest in
den westlichen Ländern das „globale Chaos“ ausgebrochen und „die Welt aus
den Fugen geraten“. 2014 war stärker als alle erinnerten Vorjahre von
scheinbar unkontrollierbaren Gewaltkonflikten und Krisen geprägt: die
Kriege in der Ukraine, im Gazastreifen, in Syrien und im Irak sowie der
brutale und erfolgreiche Vormarsch der Milizen des sogenannten Islamischen
Staats und schließlich die Ausbreitung der heimtückischen Ebolaseuche.
Die UNO ist mit ihren Bemühungen zur Eindämmung und Beendigung dieser
Krisen und Gewaltkonflikte entweder gescheitert, oder sie hat sich erst gar
nicht entsprechend bemüht. Das hat zu dem weit verbreiteten Eindruck
geführt, die UNO sei 70 Jahre nach ihrer Gründung 1945 überflüssig
geworden.
Die Kriege und Krisen, die das Jahr 2014 geprägt haben, werden die Welt
auch weiter in Atem halten. Einige werden wahrscheinlich noch weiter
eskalieren. Doch anders, als der Begriff „globales Chaos“ nahelegt, handelt
es sich bei ihnen weder um ein unausweichliches Schicksal noch um eine
Naturkatastrophe oder gar um göttlichen Willen. Das gilt auch für all die
anderen opferreichen Gewaltkonflikte und Krisen vor allem auf dem
afrikanischen Kontinent, die 2014 weitgehend durch das Raster der
Wahrnehmung westlicher Medien gefallen sind.
Denn immer existieren analysierbare und benennbare kurz-, mittel- und
langfristige Ursachen – seien es absichtsvolle Handlungen oder auch nur
Fehler und Versäumnisse. Und dafür gibt es Täter und Verantwortliche. Damit
ist ebenso zu erklären, warum die UNO mit ihren Vermittlungs- und
Eindämmungsbemühungen hier gescheitert ist oder eben passiv blieb. Es lässt
sich auch beschreiben, was geschehen müsste und welche Reformen
erforderlich sind, damit die UNO künftig wieder handlungsfähiger wird
sowohl in inner- und zwischenstaatlichen Konflikten als auch gegenüber
globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Finanzkrise oder dem
Terror, der islamistisch gerechtfertigt wird.
## Krieg nicht aufgehalten
„Die UNO“ als ein eigenständig handlungsfähiges Subjekt existiert nicht.
Sie ist ein kompliziertes Netzwerk aus inzwischen 193 souveränen
Nationalstaaten mit oftmals sehr unterschiedlichen Interessen. Diese
Staaten bestimmen das Handeln „der UNO“. Ob sich „die UNO“ überhaupt u…
Problem kümmert oder nicht, ob sie dabei erfolgreich ist oder scheitert –
das ist immer Ergebnis der Interessen von Mitgliedstaaten, die sich in den
Entscheidungen des Sicherheitsrats, der Generalversammlung oder anderer
Gremien und Institutionen des UNO-Systems entweder durchsetzen oder nicht.
Wobei sich die Mitgliedstaaten mit hohem politischen, wirtschaftlichen und
militärischen Gewicht besonders häufig durchsetzen und das Handeln „der
UNO“ bestimmen.
Diese Tatsache – sowie der Umstand, dass einige dieser zu gewichtigen
Mitgliedstaaten die UNO-Charta und andere Bestimmungen des Völkerrechts in
den letzten Jahren in besonders eklatanter Weise gebrochen haben, ohne dass
diese Verstöße irgendwelche Folgen hätten – hat inzwischen selbst bei
vielen langjährigen Befürwortern der UNO zur resignativen bis zynischen
Abkehr von der Weltorganisation geführt.
Diese Haltung ist verständlich. Doch sie übersieht, dass die UNO trotz
aller Unzulänglichkeiten und Widersprüche in den letzten 70 Jahren viel
erreicht hat. Und die Haltung der Abkehr von der UNO gibt auch keine
Antwort auf die Frage, was denn die Alternative wäre.
Richtig ist: Gemessen an dem in der Gründungscharta von 1945 formulierten
Hauptziel, „künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren“,
ist die UNO – oder besser: sind ihre inzwischen 193 Mitgliedstaaten –
gescheitert. Mehr als 260 bewaffnete Konflikte fanden in den letzten sieben
Jahrzehnten statt – oftmals verbunden mit Völkermord und anderen schweren
Menschenrechtsverletzungen.
## Normen und Regeln
Doch ohne die UNO und ihre Bemühungen zur Beilegung gewaltsamer
Auseinandersetzungen hätten viele dieser Konflikte noch länger gedauert,
noch mehr Tote und Verwundete gefordert und noch mehr Zerstörungen
hinterlassen. Ohne die UNO wäre es wahrscheinlich zu einem dritten
Weltkrieg gekommen – möglicherweise sogar unter Einsatz atomarer Waffen.
Und ohne die UNO und ihre humanitären Unterorganisationen wären in den
letzten 70 Jahren Hunderte Millionen Opfer von Naturkatastrophen,
Hungersnöten und gewaltsamen Vertreibungen nicht versorgt worden.
Schließlich bot die UNO den Rahmen für die Vereinbarung zahlreicher
internationaler Normen, Regeln und Verträge zu Rüstungskontrolle und
Abrüstung, Menschenrechten, Umweltschutz und Sozialstandards sowie auf
zahlreichen anderen Gebieten. Diese Normen, Regeln und Verträge haben die
Erde zwar nicht in ein Paradies verwandelt. Aber sie trugen immerhin dazu
bei, die Lebensbedingungen für viele der inzwischen über sieben Milliarden
Erdbewohner in zahlreichen Bereichen zu verbessern.
Eine Auflösung der 1945 gegründeten UNO würde den Rückfall in die
Brutalität weitgehend ungeregelter zwischenstaatlicher Beziehungen
bedeuten.
Tatsächlich bedarf es heute einer funktionierenden und handlungsfähigen
Weltorganisation mindestens so dringend wie nach dem Zweiten Weltkrieg.
Unterentwicklung, Aids, Hunger, Umweltzerstörung, Terrorismus,
Massenvernichtungswaffen, Konflikte um Wasser, fossile Energieträger und
andere Ressourcen – das sind heute die zentralen globalen
Herausforderungen. Die Völker und Staaten dieser Erde werden diese
Herausforderungen – wenn überhaupt – nur bewältigen können durch vermehr…
kooperative Anstrengungen im Rahmen einer politisch, finanziell und
strukturell gestärkten UNO.
## Abkommen umsetzen
2005 hatte der damalige Generalsekretär Kofi Annan den Mitgliedstaaten
zahlreiche Reformvorschläge zur Stärkung der UNO gemacht. Die meisten
dieser Vorschläge harren bis heute der Umsetzung.
In den letzten zehn Jahren wurden vor allem von
Nichtregierungsorganisationen noch weiter gehende Reformvorschläge
entwickelt – etwa zur Finanzierung der UNO durch eine Klimaschutzsteuer
oder zur Durchsetzung verbindlicher Menschenrechts-, Arbeits-, Sozial- und
Umweltnormen für Wirtschaftsunternehmenetwa oder zu einer ausreichenden und
verlässlicheren Finanzierung der UNO und ihrer Unterorganisationen, denen
die Mitgliedstaaten in den letzten 25 Jahren zwar immer mehr Aufgaben
übertragen, zugleich aber Sparhaushalte verordnet haben.
Zudem appellierte der Generalsekretär an die Mitgliedstaaten, bestehende
Abkommen zur Abrüstung, zum Menschenrechtsschutz und auf anderen Gebieten
endlich auch umzusetzen. Schließlich machte Kofi Annan konkrete Vorschläge
zur Demokratisierung des Sicherheitsrates und zur Reform anderer Strukturen
des UNO-Systems.
Eine Umsetzung all dieser Vorschläge zur Stärkung der UNO und ihrer
Handlungsfähigkeit hängt davon ab, ob sich unter den 193 Mitgliedstaaten
der Generalversammlung eine strategische Koalition williger
Multilateralisten zusammenfindet: eine die Kontinente und die
Regionalgruppen der Generalversammlung übergreifende Koalition, die bereit
ist, diese Vorschläge auch dann umzusetzen, wenn die USA, China, Russland
oder andere Vetomächte und gewichtige Mitgliedstaaten sich zunächst nicht
beteiligen oder wenn sie sogar ausdrücklich dagegen sind.
## Koalition von Multilateristen
Die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes, die Vereinbarung des
Kioto-Protokolls zum Klimaschutz sowie die drei Konventionen zum Verbot von
Antipersonenminen, von Streumunition sowie zur Kontrolle des
konventionellen Waffenhandels – jeweils durchgesetzt ohne Beteiligung oder
gar gegen den erklärten Willen der USA sowie teilweise zunächst auch
Russlands und Chinas – sind fünf erfolgreiche Beispiele für derartige
Koalitionen aus den letzten 20 Jahren.
In allen fünf Fällen bestand die ursprüngliche Koalition zunächst nur aus
einer kleinen Minderheit von maximal zwei Dutzend der 193
UNO-Mitgliedstaaten, die – angetrieben und unterstützt von
Nichtregierungsorganisationen – in der Generalversammlung für ihre Ziele
warben. Inzwischen haben jeweils mehr als 150 Staaten – also mehr als drei
Viertel der UNO-Mitgliedschaft – das Kioto-Klimaschutzprotokoll und die
Verbotskonventionen zu Antipersonenminen und Streumunition unterschrieben
und ratifiziert und sind trotz massiven Gegendrucks aus Washington dem
Internationalen Strafgerichtshof beigetreten.
Die konsequente Weiterverfolgung der Strategie einer Koalition williger
Multilateralisten, die zur Bewältigung der globalen Herausforderungen sowie
zwischen- und innerstaatlicher Konflikte auf das kollektive System der UNO
setzen – das wäre die Alternative zu dem gefährlichen Versuch, eine neue,
militärisch definierte multipolare Machtbalance der G 8/G 20 oder gar nur
eine neue bipolare Weltordnung der G 2 (USA und China) zu errichten.
7 Mar 2015
## AUTOREN
Andreas Zumach
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