# taz.de -- Jahrestag der Erd-Charta: Die vergessene Tochter von Rio | |
> Die Charta der Erde kennt kaum jemand, obwohl sie von über 4.500 | |
> Organisationen unterzeichnet wurde. Dabei ist sie einzigartig. | |
Bild: Graswurzelorganisationen statt Weltpolitik: Ist die Erd-Charta gescheiter… | |
Grillfeiern von Vegetariern und Nicht-Vegetariern können anstrengend sein: | |
Tofuwurst neben Bratwürstchen oder nicht? Die Frage lässt sich im eigenen | |
Garten schon schwer beantworten. Noch schwieriger ist es, wenn die ganze | |
Welt über Grundwerte diskutiert. Vor über 16 Jahren haben Fleisch essende | |
Inuits und vegetarische Hindus sich auf einer Konferenz zusammen gesetzt | |
und überlegt, wie ein gemeinsamer ethischer Grundsatz aussehen könnte. | |
Dabei heraus kam Artikel 15, Absatz 1 der Erd-Charta: „Alle Lebewesen | |
rücksichtsvoll und mit Achtung behandeln.“ Damit konnten Inuits und Hindus | |
leben. | |
Am 29. Juni ist der Jahrestag der Verabschiedung. 1987 schlug die | |
Kommission der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in | |
ihrem Abschlussbericht eine Charta der Erde vor, die die Themen Umwelt- und | |
Entwicklungspolitik miteinander vernetzen sollte. Nachdem man sich auf der | |
UN-Konferenz 1992 in Rio nicht auf gemeinsame Grundsätze einigen konnten, | |
haben Menschen verschiedener Länder und Religionen „von unten“ einen | |
Grundlagentext mit Menschen- und Umweltrechten verfasst und 2000 die | |
Erklärung mit 15 Artikeln verabschiedet. | |
In Deutschland übernahm die „Initative eine Welt“ die Koordination der | |
Erd-Charta. Der bisher größte Erfolg: Die UNESCO-Vollversammlung hat 2003 | |
die Erd-Charta als wichtigen ethischen Rahmen für nachhaltige Entwicklung | |
anerkannt. Inzwischen wurden aus der Erd-Charta viele | |
Unterrichtsmaterialien rund um das Thema Nachhaltigkeit entwickelt: | |
Planspiele, Theater oder Kunstprojekte. | |
Auf die Tagesordnung der großen Politik hat der Text aus Völkerrecht, | |
Wissenschaft, Philosophie und Religion es bisher nicht geschafft. Der Papst | |
hat die Erd-Charta in seiner Enzyklika „Laudato si – Über die Sorge für d… | |
gemeinsame Haus“ erwähnt. Kleine Graswurzel-Gruppen nutzen die Erd-Charta | |
inzwischen weltweit als Grundlage und Inspiration für einen nachhaltigen | |
Lebensstil. Einige Städte in Deutschland wie München Heidelberg und | |
Warburg, haben sie unterzeichnet. Viele konkrete Folgen hat die | |
Unterschrift auf Nachfrage der taz in Heidelberg und München aber nicht | |
gehabt. | |
Am Ortseingang der hessischen Stadt Warburg steht ein großes Schild aus | |
Edelstahl mit dem Erd-Charta-Logo: Eine Friedenstaube mit der Erde auf dem | |
Rücken. Hat sich in seiner Stadt etwas verändert, seit der Bürgermeister | |
die Charta vor fünf Jahren unterzeichnet hat? 2013 konnten Protestbriefe | |
von den Warburgern das Fällen vieler Bäume verhindern. Auch, weil sie sich | |
auf die Erd-Charta beriefen. In der Schule gibt es regelmäßig Projektwochen | |
zum Thema Nachhaltigkeit und trotz Mehrkosten bekomme die Schule Gelder, um | |
ökologisches Essen anzubieten. Kleine Schritte sind das. | |
Das diesjährige Jubiläum wurde heute an wenigen Orten in Deutschland mit | |
Picknick gefeiert. „Wir haben zu wenig Geld und Personal für große | |
Kampagnen“, sagt eine Mitarbeiterin aus dem Erd-Charta Büro in | |
Diemelstadt-Wethen bei Kassel. Dort in dem kleinen Dorf ist die große Idee | |
aus Rio gelandet und wartet auf ihren Durchbruch. | |
29 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Sara Mierzwa | |
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