# taz.de -- Debatte Wahl in Israel: Die neue arabische Eintracht | |
> Arabische Kommunisten, Nationalisten und Islamisten treten im Bündnis an. | |
> Sie könnten auf Platz drei landen – und der Minorität Gewicht verleihen. | |
Bild: Jede/r muss mit auf's Plakat: Das arabische Parteienbündnis macht Werbun… | |
In Israel wird am 17. März gewählt, und im Fernsehen, in den sozialen | |
Medien, überall auf den Straßen ist der Wahlkampf omnipräsent. Umso | |
bemerkenswerter ist die völlige Abwesenheit der zwei großen Problemfelder, | |
die Israels Geschicke maßgeblich bestimmen: der Konflikt mit den | |
PalästinenserInnen und die Besatzung der Palästinensergebiete einerseits, | |
andererseits eine Wirtschaftspolitik, die die Kluft zwischen Arm und Reich | |
enorm wachsen und die öffentlichen Güter zugunsten eines kaum regulierten | |
privaten Sektors immer weiter schrumpfen lässt. Gegen Letztere entstand vor | |
wenigen Jahren eine enorme Protestwelle, die bei diesen Wahlen allerdings | |
keine Rolle mehr spielt. | |
Stattdessen setzen die Hauptkontrahenten auf Altbewährtes: Benjamin | |
Netanjahu, der alte Haudegen des rechtsgerichteten Likud, beschwört immer | |
wieder eine Welt herauf, in der ein ständiger Kampf zwischen Gut und Böse | |
herrscht, in der es keine Kompromisse geben kann: Entweder wird Israel | |
vernichtet oder aber seine Feinde werden besiegt. Dabei zieht er eine | |
Linie, die von den Pogromen im Zarenreich über Hitler bis zum Iran und den | |
Unabhängigkeitsbestrebungen der PalästinenserInnen reicht. | |
Seine Herausforderer vom Zionistischen Lager ist die zum Wahlkampfauftakt | |
erfolgte Zusammenführung von Kadima, einer Abspaltung von Likud, und der | |
Arbeitspartei. Dessen Führungsduo Zipi Livni und Jitzchak Herzog gehen auf | |
die Besatzung mit keinem Wort ein, auch versprechen sie keine Abkehr vom | |
gegenwärtigen Wirtschaftskurs, sondern prangern vielmehr Netanjahu als | |
ruchlos an. | |
## Die Großen ohne Reformidee | |
Tatsächlich haben alle Regierungen der letzten beiden Jahrzehnte, ob unter | |
Likud, Kadima oder der Arbeitspartei, die Besiedlung der besetzten | |
Palästinensergebiete durch jüdische SiedlerInnen gefördert, die das | |
Haupthindernis auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung darstellt. Auch haben | |
alle diese Regierungen eine Wirtschaftspolitik betrieben, die einerseits zu | |
einer Konzentration des Wohlstands bei einer sehr schmalen Oberschicht | |
führte, andererseits die öffentlichen Sicherungssysteme für alle aushöhlte. | |
Daher suchen viele BürgerInnen ihr Heil bei kleinen Parteien. Trotz | |
Erhöhung der Sperrklausel auf 3,25 Prozent der Stimmen werden | |
voraussichtlich etwa zehn bis zwölf Parteien in der kommenden Knesset | |
vertreten sein. Keine der beiden großen Parteien dürfte mehr als 20 Prozent | |
der Stimmen erhalten. In dieser Gemengelage wird jede Koalition aus fünf | |
oder sechs Parteien bestehen müssen. | |
Eine schwache und krisenanfällige Koalition ist vorprogrammiert, und die | |
meisten KommentatorInnen prophezeien Neuwahlen in spätestens zwei bis drei | |
Jahren. Jede künftige Koalition wird folglich zu schwach sein, um | |
richtungsweisende Veränderungen vorzunehmen: Weder wird sie die Besatzung | |
beenden noch das ökonomische System nennenswert reformieren können. | |
Linke AktivistInnen und BeobachterInnen sind gespalten. Die einen ziehen | |
eine Koalition unter Livni/Herzog (Zionistische Union) vor, da diese | |
wenigstens einige spektakuläre Siedlungsprojekte stoppen, Privatisierungen | |
aufhalten dürfte. Zudem könnte die Niederlage Netanjahus ein Dämpfer für | |
das wachsende rechtsradikale Lager um Naftali Bennett bedeuten. Andere | |
halten sie für zu schwach, um den gut organisierten Siedlern etwas | |
entgegensetzen zu können. | |
## Was machen die Progressiven? | |
Da ist als Erste die Partei Meretz, die offensiv mit dem in Israel | |
inzwischen verfemten Begriff „links“ umgeht. Meretz wird aber als nicht | |
patriotisch genug wahrgenommen und darüber hinaus als Partei des | |
Bildungsbürgertums. Auch wenn Meretz eine der wenigen Parteien ist, die ihr | |
Eintreten für einen historischen Kompromiss mit den PalästinenserInnen mit | |
einem starken Eintreten für soziale Gerechtigkeit innerhalb Israels | |
verbindet, so ist die Partei tatsächlich stark mit den Interessen von | |
europäischen Juden, etwa den Kibbuzim verbunden. Gleichwohl wird Meretz mit | |
ihren wenigen Abgeordneten versuchen, die Arbeitspartei nach links zu | |
ziehen. | |
Gerade unter den aus arabischen Ländern stammenden Juden, den Mizrahim, die | |
etwa ein Drittel der jüdischen Bevölkerung in Israel ausmachen, und den | |
etwa eine Million Juden, also 10 bis 15 Prozent der Gesamtbevölkerung, die | |
seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Israel gekommen sind, sind | |
jedoch interessante Entwicklungen zu beobachten. | |
Beide Bevölkerungsgruppen wählten bislang Parteien, die sie direkt | |
bedienten. Doch diese beiden Parteien dürften deutlich schwächer | |
abschneiden als bei früheren Wahlen. Auch wenn die Mehrheit beider | |
Bevölkerungsgruppen sich nach wie vor dem rechtsnationalistischen Lager | |
zugehörig fühlt, wachsen gerade in den letzten Jahren neue, progressive | |
Aktivistengenerationen heran. | |
## Gewagtes Rechts-links-Bündnis | |
Und so ist die die Vereinte Liste vielleicht die interessante | |
Neuentwicklung. Sie verbindet Chadasch, die ehemalige kommunistische | |
Partei, mit Balad, einer palästinensischen nationalen bis nationalistischen | |
Partei, die sich von Chadasch abgespalten hatte, sowie eines vor allem | |
islamistisch geprägten Parteienbündnisses. | |
In Israel leben etwa eineinhalb Millionen PalästinenserInnen. Heute sind | |
sie gleichberechtigte Staatsbürger Israels und stellen etwa 20 Prozent der | |
israelischen Bevölkerung. Gleichzeitig werden sie stark benachteiligt. Ihre | |
Gemeinden erhalten etwa nur unter einem Prozent der staatlichen Budgets für | |
Kultur oder für Landwirtschaft. | |
Zum ersten Mal könnte eine Parteiliste die gesamte | |
palästinensische-arabische Minderheit in Israel vertreten. Die Reaktionen | |
waren begeistert. Die Wahlbeteiligung dürfte sich deutlich erhöhen, die | |
palästinensisch-arabische Minderheit zukünftig in der Knesset eine | |
gewichtigere Rolle spielen und mit 13 Mandaten vielleicht zur drittgrößten | |
Partei werden. Dies könnte Beginn eines erneuten Engagements der | |
arabisch-palästinensischen Minderheit in gesamtisraelischen Angelegenheiten | |
sein. | |
Dies ist um so erfreulicher, als Führung wie AktivistInnen der Chadasch es | |
sich nicht leicht gemacht haben, mit IslamistInnen und NationalistInnen | |
zusammenzugehen. „In einem Land mit arabischer Mehrheit“, so Aida Touma, | |
sehr wahrscheinlich erstes weibliches Knesset-Mitglied von Chadasch, | |
„würden wir als Sozialisten die Islamisten und Nationalisten vor allem als | |
Gegner betrachten.“ | |
Die Vereinte Liste hat nur wenige jüdische AnhängerInnen, obwohl sie | |
ausdrücklich ein politisches Angebot für die gesamte israelische | |
Gesellschaft anbietet. Doch auch jüdische Israelis, die progressive | |
Positionen vertreten, finden es fast unmöglich, sich mit einer „arabischen“ | |
Bewegung zu identifizieren. Ob die Vereinte Liste also von weiteren Kreisen | |
als emanzipatorische, gesamtgesellschaftlich relevante Kraft wahrgenommen | |
wird, werden wir erst in den Wochen und Monaten nach den Wahlen feststellen | |
können. | |
17 Mar 2015 | |
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