| # taz.de -- Wahl in Israel: Zwei gegen Netanjahu | |
| > Erstmals seit 15 Jahren könnte in Israel wieder eine | |
| > Mitte-links-Koalition regieren. Das Tandem Jitzchak Herzog und Zipi Livni | |
| > liegt in den Umfragen vorne. | |
| Bild: Gemeinsam wollen sie Bibi vom Thron stoßen: Zipi Livni (l.) und Jitzchak… | |
| JERUSALEM taz | Der Fernsehtechniker Rami Misrachi aus der israelischen | |
| Kleinstadt Beit Schemsch ist sich noch nicht sicher. „Vielleicht werde ich | |
| Kachlon meine Stimme geben“, sagt er, „Oder vielleicht doch Netanjahu, ich | |
| entscheide mich immer erst in der letzten Minute.“ Kulanu, so heißt die | |
| Partei von Mosche Kachlon, zu Deutsch: Wir alle. Auf den Werbeplakaten mit | |
| zionistisch-blau-weißem Hintergrund lächelt der aparte Mittfünfziger | |
| selbstbewusst über dem Schriftzug „Kulanu Kachlon“, „Wir alle sind | |
| Kachlon“. Der frühere Kommunikationsminister verspricht, durch mehr | |
| Wettbewerb die Preise zu drücken. | |
| Auch der Spekulant Hadar Nemet hofft auf niedrigere Lebenshaltungskosten. | |
| Doch wie beim letzten Mal will er bei den heutigen Parlamentswahlen den | |
| national-religiösen Naftali Bennett vom Jüdischen Haus wählen. „Wenn | |
| Bennett nicht noch einmal Wirtschaftsminister wird, dann helfe uns Gott“, | |
| sagt Nemet, den die nationalistische Agenda vom Jüdischen Haus nicht | |
| interessiert. | |
| Die Heilpraktikerin Ayala Ilani favorisiert wiederum Jair Lapid. Die | |
| Zukunftspartei des früheren Finanzministers Lapid habe „wichtige Reformen | |
| im Erziehungsbereich vorangetrieben“, sagt die Anfang 40-Jährige. „Lapid | |
| ist erst zwei Jahre an der Regierung. Er sollte noch eine Chance bekommen“, | |
| findet sie. | |
| Der Schein, dass die Parlamentswahlen Israels mündige Bürger vor die Wahl | |
| zwischen dem konservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und | |
| seinem Herausforderer, dem Sozialdemokraten Jitzchak Herzog, stellt, trügt. | |
| Weit über die Hälfte wählen weder den einen noch den anderen. Mosche | |
| Kachlon gilt schon jetzt als Königsmacher, aber auch die anderen Parteien | |
| in der zweiten Reihe werden kräftig mitreden, wenn Herzog oder Netanjahu | |
| mit der Bildung einer Regierungskoalition beauftragt werden. Egal wer das | |
| Rennen für sich entscheidet, sicher ist, dass es einen schwachen Sieger | |
| geben wird. | |
| ## Herzog wirkt blass | |
| Netanjahu gerät zusehends in die Bredouille, denn Herzog liegt nach den | |
| letzten Umfragen mit vier Mandaten vorn. Noch am Sonntagabend warnte | |
| Netanjahu bei der Kundgebung des rechten Lagers vor der „drohenden Gefahr | |
| einer Linksregierung“. | |
| Zum ersten Mal seit 15 Jahren könnte Israel wieder von einer Koalition der | |
| linken Mitte regiert werden, doch selbst unter den traditionell | |
| sozialdemokratischen Wählern will darüber kaum Euphorie aufkommen. Etwas | |
| blass wirkt Herzog, der Spitzenkandidat vom Wahlbündnis Zionistisches | |
| Lager, auf das sich dieser gemeinsam mit der Exjustizministerin Zipi Livni | |
| von der liberalen Partei Tnuah einigte. Kein Vergleich zu früheren Chefs | |
| der Arbeitspartei, Ehud Barak oder gar Jitzhak Rabin, dem 1994 ermordeten | |
| Regierungschef und Friedensnobelpreisträger. | |
| Viele Israelis empfinden Herzog als einen Nerd, als einen langweiligen | |
| Bücherwurm, immer höflich und eher bescheiden. Er selbst hält viel von | |
| sich, schließlich habe er schon überrascht, als er Chef der Arbeitspartei | |
| wurde, und nun, dass er Netanjahu einen so ernsten Zweikampf bietet. Er | |
| werde sich auch als Regierungschef beweisen. | |
| Der Sohn des früheren UN-Botschafters und Staatspräsidenten Chaim Herzog | |
| verspricht den Friedensprozess voranzutreiben und Israel aus der | |
| internationalen Isolation zu retten. Netanjahu „verbreitet Angst“, sagt er. | |
| „Aber ich werde neue Hoffnung schaffen.“ Der gelernte Jurist nennt sich | |
| selbst einen „Workaholic“ und erscheint immer leicht übermüdet, mit Ringen | |
| unter seinen hellblauen Augen und sanfter, fast belegter Stimme. Herzog | |
| gibt zu, kein so großer Redner zu sein wie Netanjahu, aber schließlich | |
| seien jetzt Taten gefragt, keine Worte. Innerhalb von nur einem Jahr unter | |
| seiner Regierung soll Israel „ruhiger, versöhnter und normaler sein“. | |
| ## Livni als Schreckgespenst der Rechten | |
| Herzog profiliert sich als die einzige Alternative, und es scheint ihm | |
| nichts auszumachen, dass viele Stimmen für das Zionistische Lager | |
| letztendlich Anti-Bibi-Voten sind, also von Wählern kommen, die auf keinen | |
| Fall eine weitere Regierungsperiode Netanjahus wollen. Das Bündnis mit Zipi | |
| Livni hat sich bewiesen. Die Arbeitspartei allein stünde heute nicht so gut | |
| in den Umfragen wie das Zionistische Lager, trotzdem gerät Livni jüngst | |
| unter verstärkten Druck, auf die vereinbarte Rotation im Regierungsamt, | |
| sollte das Zionistische Lager gewinnen, zu verzichten. | |
| Während Herzog kaum Emotionen weckt, avancierte Livni zum Schreckgespenst | |
| der Rechten. „Ihr wählt ihn“, heißt es in einem Werbespot des Likud, der | |
| mit dem Foto von Herzog beginnt, „aber ihr bekommt sie“, droht der | |
| Sprecher, während sich das Bild langsam zum Gesicht Livnis entwickelt. | |
| Der Wahlkampf gegen die frühere Justizministerin, die selbst einst in den | |
| Reihen des Likud groß geworden ist und immerhin fast zwei Jahre in | |
| Netanjahus scheidender Koalition saß, war gnadenlos. Sie scheint den | |
| Konservativen Angst einzujagen, vielleicht weil es Nachahmer geben könnte | |
| und weitere Likud-Politiker, die umdenken und liberaler werden. | |
| Für Livni ist der Traum des gelobten und ungeteilten Eretz Israel, der in | |
| ihrem Elternhaus als höchstes Ziel galt, lange vorbei. Sogar auf dem | |
| Grabstein ihres Vaters ist eine Karte von Groß-Israel abgebildet, inklusive | |
| weiter Teile des heutigen Jordaniens. Sie selbst folgte, ohne nachzudenken, | |
| ihrem Mentor, dem früheren Regierungschef Ariel Scharon, als er den Likud | |
| verließ, um mit der neuen Partei Kadima 2005 den einseitigen Abzug aus dem | |
| Gazastreifen voranzutreiben. Seither predigt Livni die Zweistaatenlösung | |
| und schloss sich Netanjahus Regierung an einzig mit dem Ziel, den Dialog | |
| mit den Palästinensern fortzusetzen. | |
| „Ihr habt meine Regierung dafür kritisiert, dass sie jüdische Wohnviertel | |
| im [palästinensischen] Ostjerusalem baut“, schimpfte Netanjahu auf seine | |
| Herausforderer. Dabei hat Herzog selbst als Bauminister in der Koalition | |
| unter Scharon einst Siedlungen im Osten Jerusalems errichten lassen. Das | |
| sei lange her, wehrt Herzog heute ab und signalisiert, dass auch er eine | |
| Linkswende hinter sich hat. | |
| 17 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Knaul | |
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