| # taz.de -- Neues Buch über Israels Linke: Hilflos gegenüber realen Problemen | |
| > Der Politikwissenschaftler Stephan Grigat kritisiert die israelische | |
| > Linke: Sein Buch ist scharfsinnig und kenntnisreich – aber leider | |
| > unpolitisch. | |
| Bild: Für Juden und Moslems wichtig: der Felsendom in Jerusalem. | |
| Gemessen am Schrecken des islamistischen Terrors, der Hunderttausenden von | |
| Toten und Millionen Flüchtlinge der Kriege in Syrien und im Irak, | |
| erscheinen Israel und Palästina als Inseln der Seligen in einem Ozean von | |
| Unglück und Verderben. Das gilt allerdings nur für eine „objektive“ | |
| Betrachtungsweise, nicht für die mentale Verfasstheit westlicher | |
| Gesellschaften, zumal Deutschlands und Österreichs mit ihrer | |
| nationalsozialistischen Vergangenheit. | |
| Und zwar deswegen nicht, weil der Staat Israel nach eigenem | |
| Selbstverständnis ein jüdischer Staat ist und darauf dringt, es zu bleiben | |
| und als solcher anerkannt zu werden. In dieser Rolle zieht er immer wieder | |
| – zuletzt den Protest auf deutschen Straßen während des Gazakriegs – als | |
| „Jude unter den Staaten“ (Léon Poliakov) antisemitische Projektionen und | |
| Handlungen auf sich. | |
| Dieser Problematik geht der in Wien lehrende Politikwissenschaftler Stephan | |
| Grigat seit Jahren nach: Soeben sind einige seiner eindringlichsten | |
| Arbeiten als Buch erschienen. Was Grigats Studien von anderen Beiträgen der | |
| „Antideutschen“ unterscheidet, ist nicht nur die Genauigkeit und | |
| Nüchternheit seiner Argumentation, sondern auch die vorzügliche historische | |
| Kenntnis, mit der er sich innerjüdischen Debatten, nicht zuletzt der Kritik | |
| jüdischer und israelischer Linker an Zionismus und israelischer Politik, | |
| stellt. | |
| Dabei ist Grigat um historische Wahrhaftigkeit bemüht: Er verschweigt die | |
| Vertreibung von mehr als 700.000 Palästinensern durch jüdische | |
| Kampfverbände keineswegs. Dass er dabei die von dem – auch von ihm | |
| zitierten – Historiker Benny Morris widerlegte Legende vom teilweise | |
| „freiwilligen“ Verlassen der Palästinenser wiederholt, verweist gleichwohl | |
| auf eine tendenziöse Rezeption von Morris’ Forschungen. So ist es nur | |
| schlüssig, dass Grigat spätere Bücher von Morris, die belegen, dass die | |
| jüdischen Kampfverbände im Waffengang von 1948 sehr viel mehr Zivilisten | |
| umbrachten als die arabischen Armeen, nicht erwähnt. | |
| Aufschlussreich für eine hiesiges Leserschaft sind seine kenntnisreichen | |
| Kapitel über die Kommunistische Partei Israels und ihre Vorläufer sowie das | |
| Kapitel über zionistische und antizionistische Linke im jüdischen Staat. | |
| Darin setzt sich der Autor ausführlich mit dem auch in Deutschland viel | |
| gelesenen, der Kritischen Theorie verpflichteten Tel Aviver Historiker | |
| Moshe Zuckermann auseinander; im selben Kapitel hält er dann sogar dem | |
| linkszionistischen Autor Gorenberg vor, antisemitischen Wünschen nach | |
| Abschaffung des jüdischen Staates „contre coeur“ Vorschub zu leisten. | |
| ## Zum Ritual geronnene Verhandlungen | |
| Dass diese Gefahr durch die Entwicklung einer iranischen Nuklearbombe | |
| tatsächlich gegeben ist, kann Grigat plausibel nachweisen, weswegen er auch | |
| die längst zum Ritual geronnenen Verhandlungen westlicher Staaten mit dem | |
| Iran auf das Schärfste kritisiert, sich aber auf politisches Glatteis | |
| begibt, wenn er vorsichtig einen Erstschlag Israels gegen die iranischen | |
| Atomanlagen befürwortet. Meint er doch tatsächlich, dass eine derartige | |
| Operation dem ganzen Nahen Osten Stabilität und Sicherheit verleihen könnte | |
| – Sätze, die offensichtlich vor dem Auftreten des IS geschrieben wurden. | |
| Bei alledem scheint Grigat nicht aufzufallen, dass seine berechtigte Sorge | |
| um die Sicherheit des israelischen Staats und seiner Bewohner genau das | |
| widerlegt, was der Zionismus stets beansprucht hat: ein „safe haven“ für | |
| alle Juden zu sein. Ein Staat, der von nuklearer Auslöschung bedroht ist, | |
| kann diese Funktion trivialerweise nicht wahrnehmen. | |
| Eine weitere systematische Schwäche des Buches besteht darin, dass Grigat | |
| zwar die zionistische und antizionistische Linke scharf kritisiert, er | |
| selbst sich aber eines jeden Vorschlags zur Lösung des Palästinakonflikts | |
| ebenso enthält, wie er sich mit keinem Wort zur israelischen | |
| Siedlungspolitik und damit zur Zukunft des jüdischen Staates als | |
| demokratischer Gesellschaft äußert. | |
| So überzeugend sein ideologiekritischer Ansatz mit Blick auf die Vertreter | |
| einer deutschen, einer europäischen „Israelkritik“ ausfällt, so sehr blei… | |
| er gegenüber den realen Problemen des jüdischen Staates, deren sich die von | |
| ihm kritisierte israelische Linke annimmt, hilflos und damit im Letzten | |
| unpolitisch. | |
| 20 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Micha Brumlik | |
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