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# taz.de -- Hering, Kabeljau & Co: Gutes Gewissen an der Fischtheke
> Produkte mit dem MSC-Siegel für nachhaltige Fischerei boomen. Experten
> hegen Zweifel an den Fangmethoden. Trotzdem: besser eins als keins.
Bild: Ob dieser Rotbarsch nachhaltig gefangen wurde?
BERLIN taz | Der Hersteller der Fischstäbchen hat mit Informationen nicht
gegeizt. Kunden, die Zeit haben, können sich an der Kühltheke ihres
Supermarkts tief in Details der Fischwirtschaft versenken. Dank
Packungsaufdruck erfährt man, dass der Alaska-Seelachs mit Schleppnetzen im
Ochotskischen Meer nördlich von Japan gefangen wurde. Und natürlich darf
der entscheidende Hinweis nicht fehlen: Diese Fischstäbchen wurden
nachhaltig produziert.
Viel Information, gutes Gewissen – das meinen die Handelsketten ihren
Verbrauchern inzwischen schuldig zu sein. Besonders beim Fisch. „Wir
schätzen, dass über die Hälfte des wild gefangenen Fisches im deutschen
Handel das Zertifikat des MSC trägt“, sagt Katharina Bunk, die die
Organisation Marine Stewardship Council in Berlin vertritt. Das ovale
blau-weiße Symbol auf den Packungen soll den Kunden zeigen: Dieser Fisch
wurde schonend gefangen, das Meer nicht über Gebühr ausgebeutet.
„Der Anteil von MSC-Fisch wird kontinuierlich größer. Der
Lebensmittelhandel verlangt das“, sagt auch Matthias Keller vom
Bundesmarktverband der Fischwirtschaft in Hamburg. Hierzulande verkaufter
Alaska-Seelachs, der Lieblingsfisch der Deutschen, stamme komplett aus
MSC-Fängen, bei Hering und Kabeljau sei es überwiegend so.
Gegründet wurde MSC 1997 von der Umweltorganisation WWF und dem Konzern
Unilever. Momentan sind weltweit 252 Fischfangunternehmen zertifiziert, 99
befinden sich im Bewertungsprozess. Diese holen knapp 10 Prozent der
insgesamt verkauften Menge an Wildfisch aus den Meeren. Die Flotten dürfen
dabei nur so viel entnehmen, dass der Fischbestand nicht schrumpft. Sie
müssen den Beifang reduzieren – also die Menge von Lebewesen, die sie gar
nicht fangen wollten und deshalb verletzt oder tot ins Meer zurückwerfen.
Um das zu erreichen, sollen sie beispielsweise Netze verwenden, durch deren
Maschen die kleineren Fische entkommen.
## Umstrittener Nachweis
Dabei legt MSC-Vertreterin Bunk Wert auf die Aussage, dass die Kriterien
nicht laxer, sondern strenger würden. „Die verkauften Mengen steigen, weil
immer mehr Unternehmen mitmachen“, so Bunk. Das Thema habe eine
Eigendynamik entwickelt, sagt Verbandsvertreter Keller: „Immer mehr
Verbraucher kennen das MSC-Siegel. Deshalb fordert der Lebensmittelhandel
das Zertifikat von seinen Lieferanten.“
Unumstritten ist der Nachweis allerdings nicht. So kritisiert die
Umweltorganisation Greenpeace MSC unter anderem, dass Grundschleppnetze,
die das Leben am Meeresboden zerstörten, nicht verboten seien. Und auch das
Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) formuliert Bedenken.
„Stichproben deuten an, dass nicht wenige Bestände das MSC-Siegel tragen,
obwohl sie entweder zu hart befischt werden, oder deutlich zu klein sind“,
sagt Geomar-Experte Rainer Froese. Wie etwa der Dorsch der östlichen
Ostsee, oder der in der Nordsee lebende Seelachs: „Dieser wird zu stark
befischt. Folglich schrumpft der Bestand und befindet sich am Rand der
Gefahrenzone. Trotzdem tragen beide Vorkommen das MSC-Siegel.“
MSC weist diese Kritik zurück. Was etwa den Seelachs angeht, sagt Bunk:
„Der Bestand in der Nordsee zeigte in den letzten Jahren eine niedrigere
Nachwuchsproduktion, was aber nicht gleichbedeutend mit ’überfischt‘ ist.
Wichtig ist, dass die zertifizierten Seelachsfischereien auf solche
Entwicklungen angemessen reagieren – und das tun sie.“
## Fischführer von Greenpeace
Den Verbrauchern in ihrem Alltag hilft dieser Dissens der Experten freilich
nicht weiter. Was sollen sie tun? Rainer Froese vom Geomar meint: „Wenn
sich die Kunden an das MSC-Siegel halten, ist es besser, als wenn sie das
Thema ignorieren.“ Wer mehr Aufwand betreiben will, kann den Fischführer
von Greenpeace verwenden. Darin sind jedoch nur wenige Fische verzeichnet,
die man bedenkenlos kaufen kann. Einer davon ist der Karpfen, der jedoch,
außer zum Jahresende, nur selten im Angebot ist.
Weitere Arten empfiehlt Greenpeace mit Einschränkungen, etwa den Hering,
den Kabeljau oder den Lachs. Will man dabei keinen Fehler machen, muss man
sich tatsächlich in die Informationen auf den Fischverpackungen vertiefen.
Entscheidend ist etwa, aus welchem Fanggebiet das Produkt kommt. Fisch aus
dem Nordpazifik mag okay sein, dieselbe Art aus dem Nordatlantik aber
nicht. So wird der Verbraucher zum Fischereiexperten.
2 Apr 2015
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Nachhaltigkeit
Hering
Fischerei
Siegel
Lebensmittelhandel
Fische
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Lebensmittelverschwendung
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