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# taz.de -- Haltbarkeit von Lebensmitteln: Gelatine als Nahrungs-TÜV
> Eine Britin hat einen Sticker entwickelt, der den Verfall von Essen
> anzeigt. Bald startet in Großbritannien der erste Versuch in der Praxis.
Bild: Noch gut? Von außen nicht so leicht zu erkennen.
BERLIN taz |Was machen Sie, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum ihres
Joghurts abgelaufen ist? In vielen Haushalten landen abgelaufene
Lebensmittel im Müll, obwohl sie noch essbar wären. Dieses Dilemma will die
Londoner Designerin Solveiga Pakstaite mit einem smarten Haltbarkeitsdatum
lösen: Ein mit Gelatine gefüllter Aufkleber, der den Zustand des
Lebensmittels in der Verpackung nachahmt.
„Bump Mark“ nennt Pakstaite ihre Erfindung. Sie besteht aus einem kleinen
Polster aus Gelatine zwischen zwei Plastikschichten, das bei der Verpackung
des Lebensmittels auf diese geklebt wird. Unter der Gelatine befindet sich
eine dünne Kunststoffschicht mit Dellen.
Die Gelatine verändert mit dem fortschreitenden Verfall ihre Konsistenz:
Wird das Essen schlecht, zerfließt die Gelatine. Ist sie so flüssig, dass
man die Knubbel darunter spüren kann, heißt das: Finger weg, das Essen in
der Verpackung ist ungenießbar.
Dabei bildet Pakstaite mit der Gelatine den Verfallsprozess des
Lebensmittels nach – wofür die Konzentration der Gelatinemasse an das
jeweilige Produkt angepasst wird. Das ist laut Designerin vor allem bei
tierischen Lebensmitteln recht simpel, da Gelatine selbst aus tierischem
Eiweiß besteht.
## Mindesthaltbarkeit zu schwammig
„Gelatine macht einen ähnlichen Verfall durch“, sagt sie. Der Sticker
reagiert im Gegensatz zum Mindesthaltbarkeitsdatum darauf, was der
Verbraucher mit den Lebensmitteln anstellt – etwa, wenn die Einkäufe zu
lange im aufgeheizten Auto liegen.
Das Mindesthaltbarkeitsdatum wird oft kritisiert. „Es ist zu schwammig“,
sagt auch Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg. Nach wie vor
würden viele Menschen Lebensmittel nach dem Ablauf einfach wegwerfen. Doch
benennt das Datum nur den Zeitpunkt, bis zu dem der Hersteller Geschmack,
Aussehen, Konsistenz und Nährwert des Produkts garantiert. Es handele sich
um ein „Worst-Case-Scenario“-Datum, sagt Pakstaite.
Dabei ist Lebensmittelverschwendung ein Riesenproblem: Nach einer aktuellen
Studie der Umweltschutzorganisation WWF werden in Deutschland allein
jährlich [1][18 Millionen Tonnen weggeworfen].
„Jede Hilfe ist doch eine gute Sache“, sagt Verbraucherschützerin
Schwartau. Für Senioren etwa könne ein Indikator wie Pakstaites Sticker
hilfreich sein – diese hätten oft keinen besonders sensiblen Geruchssinn
mehr. Außerdem trauten sich viele Menschen einfach nicht zu, die Frische
ihrer Lebensmittel zu beurteilen.
## Anpassung an jedes Produkt
Chancen könne eine solche Erfindung auf dem Markt schon haben – wenn der
Verbraucher es nachfrage, sagt Schwartau. Denn das könne Firmen dazu
bringen, diese einzuführen. In der Branche seien intelligente Verpackungen
durchaus ein Thema.
Manon Struck-Pacyna, Sprecherin des Bundes für Lebensmittelrecht und
Lebensmittelkunde (BLL) – Spitzenverband der deutschen
Lebensmittelwirtschaft – ist skeptischer. Sie weist auf zwei kritische
Punkte für die Marktchancen des Labels hin: Es müsse genau erforscht sein,
ob es wirklich funktioniere, schließlich müssten die Hersteller für die
Sicherheit garantieren. Zudem müsse es sich rentieren, obwohl der Sticker
für jedes Produkt angepasst werden müsse.
Die Erfinderin geht jedenfalls von niedrigen Kosten aus. Da Gelatine ein
Abfallprodukt sei, „kostet es fast nichts, das Label zu produzieren“, sagt
Pakstaite. 0,3 Penny ist ihr Ziel pro „Bump Mark“ – umgerechnet also etwa
0,42 Cent.
Doch noch etwas anderes könnte dem Label einen schweren Start bescheren:
Gelatine ist ein Produkt aus tierischem Eiweiß, das etwa aus Knochen,
Knorpeln, Sehnen und anderen Geweben gemacht wird, meist vom Schwein.
## Erst mal für Fleisch
VegetarierInnen würden wohl kaum einen Joghurt mit einem Fleischlabel
kaufen. Daher will Pakstaite ihren Sticker zunächst auf Fleisch und Fisch
kleben. Zudem experimentiere sie jetzt noch mit einer tierfreien Variante
aus Maisstärke.
Die Verbraucherschützerin Schwartau sieht noch einen weiteren Knackpunkt:
Leicht verderbliche Produkte wie Hackfleisch haben kein
Mindesthaltbarkeitsdatum. Sie bekommen ein Verbrauchsdatum, bis zu dem sie
gegessen werden sollten.
Lebensmittel nach diesem Datum zu verspeisen, würde Schwartau nicht
empfehlen. Die Keimbelastung etwa bei Hackfleisch sei oft hoch. Dies finde
beim „Bump Mark“ aber keine Berücksichtigung. „Dafür braucht man noch e…
Lösung“, sagt Schwartau.
Der Sticker bekommt nach Solveiga Pakstaites Angaben trotzdem große
Aufmerksamkeit. In britischen Asda-Supermärkten soll es in voraussichtlich
fünf Monaten einen Versuch mit dem „Bump Mark“ geben.
13 Jul 2015
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## AUTOREN
Eva Oer
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