Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nonkonforme Lebensmittel: Das hässliche Beerlein
> In Frankreichs Supermärkten gibt es auch „hässliches“ Obst und Gemüse.
> Die Idee kommt an – 10.000 Tonnen wurden im ersten Jahr verkauft.
Bild: Zum Anbeißen süß: Die Form tut dem Geschmack dieser Erdbeeren keinen A…
PARIS taz | Die „Hässlichen“ sind stark im Kommen in den Obst- und
Gemüseregalen der französischen Supermärkte. Was „normalerweise“ als
„Ausschuss“ keine Chance hätte, kommt jetzt mit einem Logo, auf dem ein mit
einer Zahnlücke lachender Apfel abgebildet ist, zu einem Vorzugspreis mit
einem 30-prozentigen Preisabschlag in den Handel.
„Gueules cassées“ (“kaputte Visagen“) nannte man in Frankreich die
Kriegsversehrten, die mit einer bleibenden Gesichtsverletzung von der Front
zurückkamen. Jetzt dient dieser Ausdruck als Verkaufsargument, um den
„Missgebildeten“ auf dem Obst- und Gemüsemarkt eine faire Chance zu geben.
Nicolas Chabanne (45) erzählt, wie er eines Tages bei einem
Aprikosenproduzenten schockiert zusehen musste, wie dieser ein Fünftel
seiner Früchte wegwarf, bloß weil diese nicht den Normen seiner
Zwischenhändler entsprachen.
Chabanne machte eine Entdeckung: „Nur weil sie zu klein oder zu groß sind
oder eine ausgefallene Form haben, wurden diese Früchte bisher abgelehnt,
das ist absurd und eine Riesenverschwendung.“ Was zähle, seien die Qualität
und der Geschmack. „Zu Hause im Garten pflückt man, was reif ist, und nicht
weil etwas 27 Millimeter Durchmesser hat.“
## Mehr als eine Werbekampagne
In den letzten Jahren gab es auch in Deutschland, in Österreich und der
Schweiz immer wieder Versuche, [1]["hässliches“ Gemüse und sogenannte
Misfits] unter den geernteten Früchten auf den Tisch der Konsumenten zu
bringen. Oft blieb es aber bei lokalen Initiativen oder punktuellen
Aktionen.
Viel Medienecho hatte dagegen Anfang 2014 vor allem eine Werbekampagne der
französischen Supermarktkette Intermarché. Das Unternehmen war kurz zuvor
wegen Produkten umstrittener Fischereimethoden kritisiert worden, im
Gegenzug organisierte es eine clever konzipierte Kampagne für die
„Hässlichen“ in den Früchte- und Gemüseregalen.
Unter den Stars auf den Plakaten und in den Videospots: eine verwachsene
„hässliche“ Aubergine, ein „hässlicher“ Apfel mit der Form siamesisch…
Zwillinge oder eine [2]["hässliche“ Apfelsine mit einem Auswuchs]. Die
Marketingidee traf die Konsumenten am Nerv ihres schlechten Gewissens.
Chabanne hat etwas anderes im Sinn als einen kurzfristigen Imagegewinn. Er
kommt aus der Gegend um Avignon, wo Erdbeeren, Aprikosen und andere Früchte
angebaut werden. Er weiß, wie schwer es die Landwirte trotz guter Produkte
haben. Diesen gab er mit der 2009 initiierten Vereinigung [3][“Le Petit
Producteur“] ein Qualitätslabel.
## 10.000 Tonnen in einem Jahr
Er hat an der Pariser Sorbonne eigentlich Literatur studiert. Doch seine
eigentliche Berufung hat er im Marketing für Landwirtschaftsprodukte
entdeckt. Zusammen mit einem Partner aus der Bretagne, Renan Even, hat er
das [4][Kollektiv „Gueules cassées“] und die gleichnamige Marke mit dem
Apfel-Logo gegründet. Per Crowdfunding kam das nötige Startkapital rasch
zusammen.
Die Konsumenten machen mit. Sie haben verstanden, dass die Form den
Geschmack und ein kleiner ästhetischer Fehler den Nährwert nicht ändert. In
weniger als einem Jahr sind 10.000 Tonnen französische
Landwirtschaftsprodukte mit dem Logo „Gueules cassées“ verkauft worden. Das
war aber erst der Anfang.
Die Kampagne für diese „Missgebildeten“ hat wenige Monate nach ihrem Start
auch die die meisten Großverteiler wie Casino, Leclerc, Auchan, Casino und
Franprix überzeugt. Darum wird nun auch das Sortiment auf andere
Nahrungsmittel wie Camembert-Käse, Frühstücksgetreide und Miesmuscheln
ausgedehnt.
Parallel dazu hat das Duo Chabanne/Even eine zweite Kampagne gegen die
Wegwerfgesellschaft gestartet. Mit ihrem Logo sollen die Supermärkte
verpackte Esswaren wie zum Beispiel Joghurt, die vor dem angegebenen
Verfalldatum stehen, aber qualitativ einwandfrei sind, zum halben Preis
anbieten.
15 Jun 2015
## LINKS
[1] /!5057103/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=SuhiuRng8us
[3] http://www.lepetitproducteur.com/
[4] http://www.lesgueulescassees.org/
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Lebensmittelverschwendung
Landwirtschaft
Schwerpunkt Frankreich
Konsum
Lebensmittel
Lebensmittel
Konsum
Landwirtschaft
Landwirtschaft
Lebensmittelverschwendung
Greenpeace-Studie
Obst
Lebensmittel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Lebensmittelrettung auf dem Feld: Mit unschönem Lauch geht's auch
Der Kölner Laden „The Good Food“ verkauft, was anderswo aussortiert wird
oder bei der Ernte liegenbleibt. Unterwegs mit den Lebensmittelretterinnen.
Restaurant gegen Verschwendung: Viel zu gut für die Tonne
Das Nonprofit-Unternehmen „Restlos glücklich“ will in Berlin ein Restaurant
eröffnen. Gekocht wird nur mit geretteten Lebensmitteln.
Neue Obstkreuzung: Nur nicht Äpfnen mit Birel vergleichen
Deutsche Forscher arbeiten an einer Kreuzung aus Birne und Apfel, die
robust und vorteilhaft für Allergiker sein soll. Schmeckt bisher nach
Apfel.
Kommentar Bauernproteste in Frankreich: Die andere Europa-Krise
Nicht nur die Griechenland-Krise spaltet die EU. Auch die
Landwirtschaftspolitik der Union sorgt für Ärger. Das zeigt sich nun in
Frankreich.
Haltbarkeit von Lebensmitteln: Gelatine als Nahrungs-TÜV
Eine Britin hat einen Sticker entwickelt, der den Verfall von Essen
anzeigt. Bald startet in Großbritannien der erste Versuch in der Praxis.
Greenpeace-Studie zum Obstanbau: Beiß nicht gleich in jeden Apfel
DDT, Carbendazim, Imidacloprid: Nach wie vor werden bei der industriellen
Apfelproduktion gefährliche Pestizide eingesetzt. Zum Beispiel auch im
Alten Land.
Kongress der Lebensmittelretter: Die Anti-Wegwerfer
Sie sind sowas wie die niedrigschwellige Variante der Tafel. Sie sammeln
für den Müll bestimmte Lebensmittel und verschenken sie.
Umfrage zu Obstkäufen: Flecken sind in Ordnung
Die meisten Deutschen würden einer Umfrage zufolge auch Obst und Gemüse mit
Makeln kaufen. Dadurch könnte Lebensmittelverschwendung vermieden werden.
Nonkonforme Lebensmittel: Der Charme der dreibeinigen Möhre
Obst und Gemüse liegen genormt in den Supermärkten. Jetzt sollen auch ihre
individuelleren Artgenossen eine Chance auf Verzehr bekommen.
Start-Up mit gutem Geschmack: Rettungseinsatz für krumme Dinger
Gemüse, das nicht der Norm entspricht, verkommt auf dem Feld. Zwei
Berlinerinnen finden das absurd. Mit ihrem Start-up veredeln sie die
"Culinary Misfits".
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.