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# taz.de -- Start-Up mit gutem Geschmack: Rettungseinsatz für krumme Dinger
> Gemüse, das nicht der Norm entspricht, verkommt auf dem Feld. Zwei
> Berlinerinnen finden das absurd. Mit ihrem Start-up veredeln sie die
> "Culinary Misfits".
Bild: Krumme Dinger, aber schmackhaft.
Lea Brumsack holt Schwung und springt mit beiden Füßen auf den Spaten. Die
30-Jährige gräbt auf einem Feld in Gatow Karotten aus. Viele sind krumm und
verwachsen, der Bauer hatte Pech mit der Sorte, die er hier gesät hat. Denn
niemand würde diese Karotten im Laden kaufen. Genauso wenig wie die
Zucchini auf dem Nachbarfeld, bis zu einem halben Meter lang und vom Hagel
mit Dellen überzogen. Brumsack sammelt alles ein. „Es wäre schade, wenn das
Gemüse hier verfaulen würde“, sagt sie.
Wenn sie auf dem Acker steht, ist Lea Brumsack immer auch ein bisschen im
Rettungseinsatz. Bei vielen Gemüsesorten kommt es aufs Wetter an. Regnet es
zu viel, platzen die Radieschen. Scheint die Sonne zu stark, wird der
Blumenkohl braun. Brumsack muss schnell reagieren: „Ich krieg dann
plötzlich vom Bauern eine SMS: Rettet die Radieschen!“
Bis vor drei Jahren hat Brumsack an der UdK Produktdesign studiert. Aber
statt Möbel und Alltagsgegenstände zu entwerfen, beschäftigte sie sich mit
Lebensmittelverschwendung. Ihre Freundin Tanja Krakowski, 37, grübelte
zeitgleich an der Frage: Wie kann man auf dem Feld verbliebenes Gemüse
nutzen? In ihrer Abschlussarbeit entwickelte sie eine Vermarktungsidee.
Nach dem Studium feilten die beiden Frauen gemeinsam an der Idee eines
ökologischen Start-ups und gründeten schließlich die „Culinary Misfits“.
„Misfits“, das sind Dinge, die nicht ins Schema passen, Außenseiter. So
nennen Brumsack und Krakowski das zurückgelassene Gemüse.
## Kontakt zum Bauern
Ihr Plan ist einfach. Sie sammeln Gemüse ein, das am strengen Casting des
Einzelhandels scheitert. Dazu brauchen sie den direkten Kontakt zu den
Bauern aus der Berliner Umgebung. Es dauert Wochen, bis die ersten zusagen.
Zwei Höfe sind fest dabei: der Teltower Rübchenhof und der Vierfelderhof in
Gatow. Die Bauern lassen die Frauen auf ihre Äcker, manchmal stellen sie
ihnen auch Kisten zusammen. Die gesammelten „Misfits“ verarbeiten Brumsack
und Krakowski weiter. Aus den krummen Karotten backen sie Karottenkuchen,
die Zucchini wandern in die Quiche. Fast jede Woche stehen sie hinter ihrem
Stand in der Kreuzberger Markthalle IX oder bereiten Büfetts vor – sei es
für die Welthungerhilfe oder die Ethical Fashion Week.
„Wir müssen nur noch das mit den Wochenenden besser hinkriegen“, sagt
Brumsack. Sie pendelt erst seit Kurzem zwischen Familie und Beruf, vor
einem Jahr ist sie Mutter einer Tochter geworden. Das Projekt Culinary
Misfits wirft inzwischen genug ab, um davon leben zu können – aber nur
unter hohem Aufwand. Die Wege fressen viel Zeit. Zur Markthalle, in die
Produktionsküche, auf den Acker. Lea Brumsacks Corsa rollt ständig.
Christian Heymann ist Biobauer auf dem Gatower Vierfelderhof. Seit März
arbeitet der 33-Jährige mit den Culinary Misfits zusammen. Er sieht aus wie
ein Bauer, der früher Surfer war oder Skater. Er trägt eine schwarze
Acetatbrille und einen Kapuzenpulli. Neunzig Hektar bewirtschaftet Heymann
zwischen Wannsee und Golfclub. Die Verluste auf den Feldern sind nach
seiner Einschätzung beträchtlich: „Bei Kartoffeln sind in der Branche 40
Prozent ganz normal.“ Bei vielen Bauern, mutmaßt Heymann, bleibe die halbe
Ernte liegen. „Krummes Gemüse nimmt uns der Einzelhandel einfach nicht ab.“
Nach EU-Richtlinien dürfe eine Karotte mit leichten Abweichungen längst
verkauft werden, aber die Verbraucher wollten perfekte Ware.
Auf dem Vierfelderhof geht trotzdem kaum Gemüse verloren. Was andere
unterpflügen, verwendet Heymann selbst oder verkauft es an Initiativen wie
die Culinary Misfits. Heymann zeigt den Frauen, wo sie graben und sammeln
müssen. „Am Anfang sah das alles gleich aus für mich“, gibt Brumsack zu.
Trotz der Mühen zahlen die Culinary Misfits Heymann zum Teil normale
Großhandelspreise für das Außenseitergemüse. „Da steckt die gleiche
Energie, das gleiche Wasser drin“, sagt Brumsack, „es ist eine Frage der
Wertschätzung.“
An diesem Nachmittag lädt Lea Brumsack Kiste um Kiste in ihr Auto, bis die
Rückbank mit Karotten zugestellt ist. Ihre Hände sind von der Feldarbeit
orange gefärbt, sie wird die Farbe die nächsten Tage nicht abbekommen.
Brumsack greift nach hinten, schiebt sich eine Karotte zwischen die Zähne
und gibt Gas. Morgen soll es ein Büfett für dreihundert Gäste geben.
In Großküchen werden solche Events lange vorbereitet. Die Ware wird Wochen
vorher gekauft und gelagert. Die Culinary Misfits müssen flexibler sein und
auf das Angebot der Bauernhöfe reagieren. Bis in die Nacht stehen Brumsack
und Krakowski dann in einer angemieteten Produktionsküche in Lichterfelde,
waschen, bürsten und kochen. Die Büfetts der beiden Designerinnen sehen oft
aus, als wäre Erntedank: Zwischen Rote-Bete-Kuchen und Pesto aus
Karottengrün ranken sich Feldblumen, rohes Gemüse liegt zwischen den
Tellern und in Holzkisten.
Das Start-up läuft gut, findet Lea Brumsack. Aber sie träumt davon, dass
die Misfits zu ihr kommen, geliefert vom Bauern, in einen Laden nach
Kreuzberg. Das viele Rumgefahre sei ja auch nicht ökologisch, sagt sie.
„Ich will in Berlin sein.“ Wie eine Bäuerin, nur in der Stadt.
20 Sep 2012
## AUTOREN
Johannes Wendt
## TAGS
Disko
Lebensmittelverschwendung
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