# taz.de -- Berlin Food Week: „Gutes Essen macht Spaß“ | |
> Wenn es ums Essen geht, ist die Kreativität enorm in Berlin, findet die | |
> Essberaterin Cathrin Brandes. Ein Gespräch zur Food Week, die am Dienstag | |
> beginnt. | |
Bild: Sieht komisch aus, sind aber nur besondere Pilze. Schmecken sollen sie de… | |
taz: Frau Brandes, wenn’s mal schnell gehen muss, tut es für Sie dann auch | |
die Currywurst vom Imbiss um die Ecke? | |
Cathrin Brandes: Nur dann, wenn sowohl Pommes als auch Wurst aus | |
nachhaltiger Produktion stammen. Zu irgendeiner Bude zu gehen, habe ich mir | |
vor längerer Zeit abgewöhnt. Ich weiß, was in den konventionell | |
produzierten Würsten drin ist – das will ich nicht essen. | |
Für Ihre Leidenschaft, gutes Essen, haben Sie Ihren Job als Juristin | |
aufgegeben und beraten jetzt Gastronomiebetriebe und betreiben einen | |
Food-Blog. | |
Der Job als Juristin wurde mir zu langweilig und hatte viel zu wenig mit | |
Kochen und Lebensmitteln zu tun. Im Jahr 2002 habe ich mich mit einer | |
Feinkostproduktion selbständig gemacht. Das war ein ziemlicher Sprung ins | |
kalte Wasser. Damals war es noch nicht so hip, Konfitüre zu kochen und auf | |
dem Markt zu verkaufen. | |
Jetzt hingegen schon. Wie haben Sie den Anfang der neuen Esskultur erlebt? | |
Und wo liegen die Gründe für diesen Hype? | |
Anfang des Jahrtausends fingen die Menschen an zu fordern, dass | |
Lebensmittelproduktion, beispielsweise bei Fleisch, nachhaltig sein solle. | |
Es entstand ein neues Bewusstsein. Parallel dazu wurde es in Berlin immer | |
interessanter, essen zu gehen. Denn viele Zugezogene haben | |
Gastronomiebetriebe eröffnet – nicht nur Pizzerien oder griechische | |
Restaurants, sondern auch viele mit einer kulinarischen Tradition aus Asien | |
und Amerika. Alle haben ihre Ideen eingebracht in die Szene. Den Hype hat | |
unter anderem dann die Markthalle Neun in Kreuzberg entfacht, sie war wie | |
ein Zunder mit neuen Formaten wie dem Street Food Thursday. Der Trend wird | |
langsam die ganze Stadt ergreifen: Food ist die neue Kreativwirtschaft in | |
Berlin. In Sachen Tourismus und Wirtschaft hat dieser Bereich großes | |
Potenzial für die Stadt, davon bin ich zutiefst überzeugt. | |
Mit der „Food Week“ und „Stadt Land Food“ fallen jetzt gleich zwei | |
kulinarische Festivals auf fast denselben Termin. Worin unterscheiden sich | |
die beiden Veranstaltungen? | |
Während sich auf der „Food Week“ eher die Gastronomie präsentiert, ist bei | |
„Stadt Land Food“ mehr die kulinarische „Off-Kultur“ aktiv. Die | |
Veranstaltung in der Markthalle Neun geht mehr in die Tiefe und bietet auch | |
viele politische Inhalte. Beide Veranstaltungen haben eine kleine | |
Schnittmenge und bilden die kulinarische Szene Berlins auf ihre Weise ab. | |
Wo befindet sich Berlin im internationalen Vergleich der Food-Metropolen? | |
Für mich befindet sich Berlin mittlerweile mit New York und London unter | |
den Top Drei der angesagtesten Städte, wenn es um Essen geht. Die | |
Kreativität hier ist enorm, auf der Straße und auch in den Sterneküchen. | |
In so wenigen Jahren hat sich Berlin bis an in die Weltspitze gekocht? | |
Ja, die Entwicklung war rasant. Die Szene ist jung und turbulent, es | |
passiert ständig etwas Neues. In keiner anderen europäischen Stadt gibt es | |
so eine große Streetfood-Bewegung, London mal ausgenommen. | |
Was macht die Berliner Food-Szene so anziehend? | |
Sie ist nicht nur international, sondern auch solidarisch: Man trifft sich | |
überall, verbündet sich und entwickelt neue Ideen. Hier gibt es viele | |
junge, mutige Leute, die sich an Dinge trauen, die sie vorher noch nie | |
gemacht haben. Die den besten Kaffee rösten oder den leckersten Burger | |
zubereiten wollen. Dabei entstehen tolle Sachen. | |
An Burger-Restaurants mangelt es in Berlin wahrlich nicht. Der Trend | |
schwappt aus den USA zu uns herüber. Wärmt man hier viele Trends einfach | |
nur auf? | |
Natürlich gibt es Trends, die sich weltweit manifestieren: der | |
Fleischtrend, aber auch der Trend zur veganen Küche. In Berlin gibt es | |
dafür etwas, was ich Mikrotrends nennen würde. Hier haben wir den Einfluss | |
von Döner und türkischer Tradition. Außerdem legt die Berliner Szene großen | |
Wert auf radikal regionale Küche. Manche Verfolger dieser Idee verzichten | |
komplett auf Pfeffer, da der bekanntlich hier nicht wächst. | |
Bisher scheint der Hype um neue Formen der Kulinarik eher spezielle | |
Schichten zu erreichen. Am Konsum der breiten Masse ändert sich wenig. | |
Manchmal ist die Forderung nach nachhaltigen Lebensmitteln tatsächlich | |
etwas zu intellektuell und verkopft. Man hofft, dass mehr Menschen | |
einsehen, wie wichtig es ist, sich gesund zu ernähren. Nicht nur für die | |
eigene Gesundheit, sondern auch für die Menschheit und ihre Umwelt. Sowohl | |
auf der „Food Week“ als auch bei „Stadt Land Food“ versuchen wir das den | |
Menschen über den für sie offensichtlichsten Aspekt zu vermitteln: Gutes | |
Essen macht Spaß und bereitet Genuss. Wahrhaft genießen kann man aber ja | |
nur, wenn man weiß, dass die Lebensmittel fair produziert wurden. Mit | |
diesem Gedanken kann man viele Menschen erreichen, mehr als mit dem | |
erhobenen Zeigefinger. | |
Die Nachhaltigkeitsbewegung will auch die Lebensmittelindustrie für | |
nachhaltigen und hochwertigen Konsum begeistern. Läuft sie damit in eine | |
Sackgasse? | |
Einen gewissen Widerspruch gibt es schon. Die Industrie ist dafür | |
verantwortlich, dass wir verlernt haben zu schmecken und zu kochen. Daran | |
muss sich etwas ändern. Man kann und muss die Konzerne auf den richtigen | |
Weg bringen. Das geht natürlich nur in kleinen Schritten. Und wenn sie | |
merken, dass sie Geld an hochwertigem Essen verdienen können. | |
4 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Matthias Bolsinger | |
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