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# taz.de -- Die Braunkohle und der Hambacher Forst: Im rheinischen Urwald
> Stieleichen und Haselmäuse, Wachleute und Baumbesetzer gibt es hier: Der
> Hambacher Forst ist voller Leben. Er soll dem Braunkohle-Tagebau weichen.
Bild: Bei Sturm schwankt die Baumhütte
HAMBACHER FORST taz | Michael Zobel ist keiner, dem man besondere
Religiosität unterstellen würde. Doch mitten im Unterholz sagt der
Waldpädagoge mit der blauen Wollmütze: „Ich möchte mit dem Text aus einem
relativ bekannten Buch beginnen: der Bibel.“ Und Zobel, 56, umgeben von
mächtigen Hainbuchen und Stieleichen, trägt der gut 30-köpfigen
Besuchergruppe aus dem Schöpfungsmythos vor – von „Bäumen, die da Früchte
tragen“, vom „grünen Kraut“ und „allerlei Gewürm auf Erden“. Kunstp…
„Und er sah, dass es gut war.“
Heute ist es gar nicht mehr gut. Der 12.000 Jahre alte Hambacher Forst, auf
halber Strecke zwischen Köln und Aachen, wird weggefressen von den Baggern
des Energieriesen RWE Power. Von 5.500 Hektar sind nur noch 1.000 übrig.
Über federnde Laubteppiche taucht die Spaziergängergruppe, viele aus Aachen
und der direkten Umgebung, weiter ein in den verwunschenen Wald. „In
einigen Jahren wird hier ein Loch sein, 450 Meter tief; da passt
zweieinhalb mal der Kölner Dom rein“, sagt Zobel, „und alles nur, um einen
Teil der Erde unter uns einmal zu verbrennen.“ Braunkohle – die verheizte
und verstromte Heimat.
So einem Ur-Wald fehlt es an vielem: an Bäumen in Reih und Glied, an
Schildern, an touristischer Infrastruktur sowieso. Nur Reste von Nutzwegen
gibt es. Es ist einfach still. Seit 15 Jahren bringt der Geologe Zobel aus
Aachen Städtern die Natur näher: mit Narzissen- und Orchideenwanderungen,
Abenteuerwochen für Kids, Tierspurexkursionen. Seit einem Jahr geht es nach
Hambach, einmal im Monat. „Ich möchte nicht nur heile Natur erwandern,
sondern den Blick der Menschen darauf richten, dass nur wenige Kilometer
vor der Haustür ein in Mitteleuropa einmaliger alter Laubwald komplett
vernichtet wird.“
## Das „rheinische Everglades“
Aus einer sumpfigen Wasserfläche recken sich Schwertlilien heraus, es gibt
saftige Moosflächen am Rand und viel Totholz. Fehlen nur noch Nebelschwaden
und Eulenrufe aus dem Off. „Rheinische Everglades“ raunt einer, „irre
schön“.
Michael Zobel kann spöttisch sein – vor einer meterhohen Burg der Roten
Waldameise sagt er: „Da drin leben geschätzt eine Viertelmillion Tiere.
Diese Ameisen zählen zu den geschützten Tierarten – und werden sicher auch
umgesiedelt.“ Er kann schwärmen („In ein paar Wochen ist der Boden hier
voller blühender Maiglöckchen“) und politische Zusammenhänge benennen:
„Dieser Wald erfüllt alle Kriterien des FFH – das ist das
Flora-Fauna-Habitat. Er würde sofort EU-geschützt. Nur, dazu müsste ihn die
Landesregierung nach Brüssel melden.“ Das hat noch keine Landesregierung
getan, gleich welcher Couleur.
## Mit Survivalausrüstung
Nach zehn Minuten Fußweg steht die Gruppe plötzlich unter drei Baumhäusern,
fast 30 Meter hoch im mächtigen Geäst der Eichen. „Oak Town“ sagt ein
Schild. „Politiker, Anwohner, Anwälte, Umweltverbände“, erklärt Michael
Zobel, „haben sehr unterschiedliche Ansätze, gegen die Braunkohle
vorzugehen – und es gibt eben auch die Besetzer.“ Mit Sympathiebekundungen
hält er sich zurück. „Hallo!“, ruft Zobel, „ist jemand oben?“
An einem Seil schwingt sich ein junger Mann herunter. Clumsy nennt er sich,
26 Jahre alt, Österreicher. Sein Gürtel ist voller Karabinerhaken, Messer,
Survival-Ausrüstung. „Ich will den Menschen hier helfen“, sagt er, „und …
Wald.“ Und stellt lächelnd klar: „Ja, natürlich bin ich auch aus
ideologischen Gründen hier.“ Die Braunkohle als Klimakiller. Soll keiner
denken, er sei so ein esoterischer Baumumarmer. Der Totenkopf auf seinem
Pullover unterstreicht das. Seit August lebt Clumsy im Baum. „Bei Sturm
schwankt es etwas wie auf einem Schiff“, sagt er, „aber jetzt im Frühjahr
wird es richtig schön.“
Vor einem Jahr waren eines Tages 400 Polizisten aufgetaucht, Hebebühnen,
schweres Gerät. Räumung – 300 Jahre alte Eichenveteranen wurden weggeholzt.
„Es gab keine Not für die Räumung“, sagt Michael Zobel. „Hier wird ja
frühestens in drei Jahren gerodet. Aber es geht um Symbole.“ Und um Macht.
RWE hatte die Staatsmacht gerufen. Der Landrat des Kreises Düren ist
gleichzeitig Chef der Polizei und im RWE-Aufsichtsrat. Clumsy sagt: „Wenn
sie wiederkommen, dann baue ich mir eben ein neues Haus.“
## Die Wiese des Steuerberaters
Beim Spaziergang stößt man immer wieder auf aufgetürmte Holzstapel, als
Barrikaden, als Symbol. Damit es Räumkommandos nicht ganz so leicht hätten.
Kaum jemand der Waldbesucher war schon einmal hier. Durchgebraust auf der
alten Autobahn A4, die auch weggegraben wird, sind sie alle schon oft. Aber
was genau im Hambacher Forst passiert, wie nah die Vernichtung ist, welcher
Widerstand seit Jahren läuft – das kriegt man von diesem abgelegenen Stück
Welt kaum mit. „Persönliche Fahrlässigkeit“ nennt das eine Frau aus Aache…
Eine andere Teilnehmerin berichtet, wie RWE die Menschen hier beeinflusse.
„Nicht nur durch Arbeitsplätze oder Neubauten bei Umsiedlung. Sie stellen
den Schulen Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, sie spendieren
Fußballklubs die Flutlichtanlage. Solche Sachen.“ Sie nennt das
„Abhängigkeit durch Zuwendung“.
Am südlichen Waldrand erreicht die Gruppe das Protestcamp der Waldbesetzer.
20 meist junge Leute leben hier in alten Wohnwagen, Lehmhütten,
Bretterbuden. Es sind Menschen aus der Umgebung, einige aus dem Ausland wie
Clumsy, auch eine Mutter mit ihren drei kleinen Kindern ist dabei. Die
Wiese hat ein Steuerberater aus Kerpen gekauft – mit dem Ziel, ein
Widerstandslager zu dulden. Zobel überreicht „den Aktiven“, wie er sie
nennt, sein Honorar, auf freiwilliger Basis gesammelt – ein paar hundert
Euro. Die Besucher bekommen dafür lauwarmen Kaffee und veganen Kuchen.
„Ohne Mampf kein Kampf“ steht an der Gemeinschaftsküche. Am Eingang weht
die schwarz-rote Anarchistenfahne.
Beim vorigen Mal habe sich, erzählt Michael Zobel, ein Ehepaar erst nicht
mitzugehen getraut: „Auch zu den Besetzern?“, hatte die Frau erschrocken
gesagt, „aber die greifen einen doch an.“ Nach der Tour wollte sie den
jungen Leuten sogar einen Kuchen backen. Diesmal bittet eine 70-Jährige:
„Ich hab noch Kletterausrüstung zu Hause. Nehmen Sie das den Besetzern beim
nächsten Mal mit, Herr Zobel?“
## Die Wachleute fotografieren
Die letzten anderthalb Kilometer verlaufen auf der alten A4. Der Blick
reicht über gerodete Brachflächen, große Holzstapel darauf. „Da liegt der
Hambacher Forst“, sagt Zobel spöttisch. Ein Stück weiter rattert ein
Monsterbagger. Am Horizont drehen sich Dutzende Windräder. Zwei
RWE-Geländewagen fahren gleich daneben und hinterher. Zobel sagt, die kämen
immer. Die Security-Leute fotografieren emsig. Die drei Aktivisten, die die
Gruppe begleiten, haben sich umgehend vermummt und fotografieren
demonstrativ zurück. Die RWE-Autos suchen durch Vor- und Zurücksetzen
ausgerechnet hinter den letzten verbliebenen Bäumen im Mittelstreifen
Schutz. „Es ist immer ein nettes Spiel“, sagt ein Aktivist. Die Maskerade
macht indes Sinn. „Manche Leute haben nach der Räumung 2014 gerichtlich
Betretungsverbot erhalten“, sagt einer der drei. „Es könnte also sein, dass
jemand illegal hier unterwegs ist.“ Kunstpause. „Ich zum Beispiel.“
Es gibt viele Fronten: Im Netz gibt es neuerdings einen anonymen Shitstorm
gegen die Besetzer. Sind das RWE-Leute? Kommentar im Besetzer-Blog: „Man
fühlt sich beim Lesen förmlich bespritzt vom triefenden Geifer der
spießbürgerlichen Wut.“ Die Seile an den Baumhäusern waren mehrfach morgens
abgeschnitten. Rache, weil es nachts angeblich Sabotageversuche an den
Baggern gab?
Vier Stunden dauert die Wanderung mit Michael Zobel. Selbstkritisch merkt
er hinterher an, vor lauter Kohle, RWE und Besetzer sei die Naturerklärung
etwas zu kurz gekommen. Kammmolche hätte man entdecken können, den ersten
blühenden Huflattich, oder er hätte etwas über die akut vom Aussterben
bedrohte Haselmaus erzählen können. 140 artenschutzrelevante Tierarten
leben hier. Zobel redet den Besuchern ins Gewissen. „All das gibt es auch,
weil ihr, weil Sie, weil wir so viel Strom verbrauchen – oftmals ohne
nachzudenken.“ Womöglich sogar Strom von RWE, mit dem viele kommunale
Stadtwerke in NRW verbandelt sind.
11 Apr 2015
## AUTOREN
Bernd Müllender
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