# taz.de -- Kampf um die Kohle: Die dümmste Gewerkschaft der Welt | |
> Dieses Wochenende protestieren in Berlin Tausende für die Kohle. Ihr | |
> gutes Recht, sie sollten nur wissen: Ihre Gewerkschaft IG BCE verbreitet | |
> Bockmist. | |
Bild: Adressat der Solidarität: Kohlenhalde in Bottrop | |
Für wie bescheuert hält die IG BCE dieses Land eigentlich? Die | |
Energiegewerkschaft behauptet allen Ernstes, dass in Deutschland 800.000 | |
Arbeitsplätze gefährdet sind, weil der Bundeswirtschaftsminister eine | |
Abgabe auf ein paar alte, ineffiziente Kohlekraftwerke verlangt, die | |
keinerlei Relevanz für das Energiesystem haben. Was für ein Stuss. | |
Oh, sicherlich, die IG BCE hat eine Studie verfassen lassen, aus der sich | |
die Arbeitsplatz-Horrorzahl ableiten lässt. Von einer US-amerikanischen | |
Investmentbank. Vermutlich schreiben US-amerikanische Investmentbanken auch | |
Studien über Wachstumschancen im internationalen Sklavenhandel, alles eine | |
Frage der Bezahlung. Es ist schon bezeichnend, dass die Gewerkschaft in | |
Deutschland offensichtlich kein Institut gefunden hat, das seine Reputation | |
durch eine derartige Quatschrechnung aufs Spiel stellt. | |
Kurz zum Stand der Dinge: Wenn die Menschheit nicht von ihrem Ausstoß an | |
Klimagasen runterkommt, wird es eine Klimaerwärmung von unkontrollierbarem | |
Ausmaß geben. Im Dezember dieses Jahres soll es deshalb ein neues, globales | |
Klimaschutzabkommen der UN geben. Derzeit sieht es gut aus, weil selbst die | |
USA und China Bereitschaft dafür zeigen. | |
Deutschland hat sich international verpflichtet, bis 2020 weniger Klimagase | |
auszustoßen und zwar 40 Prozent weniger als 1990. Nach derzeitigem Stand | |
der Dinge wird das Ziel verfehlt. | |
Nun soll zusätzlich gespart werden und ein kleiner Teil davon fällt auf den | |
Stromsektor. Sigmar Gabriel will ab 2017 schrittweise eine zusätzliche | |
Abgabe auf den CO2-Ausstoß einführen. Ein Minimaleingriff: 90 Prozent der | |
fossilen Kraftwerke sind nicht davon betroffen. Er trifft die alten, | |
ineffizienten Braunkohlekraftwerke, die Strom für den Export produzieren. | |
Ja, richtig, für den Export: Trotz Atomausstieg exportiert Deutschland so | |
viel Strom wie nie zuvor. Besonders der billige Braunkohlestrom, viel davon | |
aus dem Pott, geht weg wie Currywurst rot-weiß. | |
Man muss wissen, dass es in Deutschland viele sehr neue, frisch finanzierte | |
und hoch effiziente Gaskraftwerke gibt, die vor der Abschaltung stehen. | |
Weil uralte, dreckige, längst abgeschriebene und deshalb spottbillige | |
Braunkohlemeiler die Preise kaputtmachen. Das Zeug muss einfach weg. | |
Gabriel macht Braunkohle teurer und schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: | |
Klimaschutz und Erhalt der besten Kraftwerke. | |
Nun stellt sich die Frage, was für Chemie die bei der IG BCE in ihren | |
Kaffee mischen. Chef Michael Vassiliadis behauptet ohne mit der Wimper zu | |
zucken, 800.000 Arbeitsplätze seien in Gefahr. Einen Dominoeffekt werde es | |
geben, der quasi den gesamten Industriestandort mit ins Grab reißt. Wohl | |
gemerkt, in der Braunkohle arbeiten direkt rund 21.000 Menschen. | |
„Kommen Sie sich eigentlich blöd vor, wenn Sie einen solchen Stuss | |
verzapfen, Herr Vassiliadis?“, wäre eine interessante Frage für ein | |
Interview. Das Traurige aber ist: Natürlich werden Menschen in der Kohle in | |
den nächsten drei Jahrzehnten allmählich Arbeitsplätze verlieren. | |
Energiewende schafft mehr Jobs als wegfallen, aber das ist für die, die ihr | |
Leben lang Braunkohle abgebaut haben, kein Trost. | |
Wir brauchen keine Kohle mehr, nicht in diesen Mengen. Das sollte die IG | |
BCE ihren Mitgliedern ehrlich sagen. Der Übergang zu erneuerbare Energien | |
dauert Jahrzehnte, genug Zeit, um denen, die dabei auf der Strecke bleiben, | |
Alternativen zu schaffen. Doch die Energiegewerkschaft fällt mit ihrem | |
aufgeregten Gegeifer als Gesprächspartner leider aus, verbreitet blind | |
Panik unter ihren Mitgliedern – und schadet Ihnen damit viel mehr, als es | |
jede Kohleabgabe tun kann. | |
24 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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