# taz.de -- Abriss wegen Garzweiler II: Des Teufels Werk | |
> 2017 soll Immerath weggebaggert werden. Das Dorf steht leer, die Kirche | |
> ist ausgesegnet. Was ist, wenn dem Braunkohleabbau nun doch das Ende | |
> droht? | |
Bild: Immerath und der Dom, wie die Einheimischen ihn liebevoll nannten. Nun wi… | |
IMMERATH taz | Draußen Staus und Gedrängel um Parkplätze, das hat es in | |
Immerath noch nie gegeben. Drinnen singt vierstimmig der Kirchenchor | |
Granterath-Tenholt-Hetzerath, das wird es nie mehr geben. Mehrere hundert | |
Gläubige sind gekommen, Dutzende Menschen finden keinen Einlass. | |
Der Pfarrer sagt: „Wir empfinden Trauer, Wehmut, Zorn und Bitterkeit.“ Er | |
prangert „mächtige Wirtschaftsinteressen“ an, „Profit und Politikversage… | |
Als dem Abschiedsredner der Schützenbruderschaft während der | |
Eucharistiefeier die Stimme versagt, prasselt Applaus durch das Gotteshaus. | |
Das Glaubensbekenntnis klingt wie ein Fanal, laut, anklagend. | |
Die Kirche muss weg. Heute ist der letzte Gottesdienst, das Gemäuer wird | |
ausgesegnet, man wolle „innig Abschied nehmen“. Viele, nicht nur Alte, | |
trocknen ihre Tränen. Frauen haben sich die Dauerwellen frisch legen | |
lassen. Als die Vorsitzende des Kirchenvorstands pflichtschuldig einen | |
Vertreter von RWE Power begrüßt, ruft jemand laut „Pfui!“. Der Energierie… | |
RWE will Immerath ab 2017 weggraben. RWE Power (bis 2003 Rheinbraun | |
genannt) will an die Fundamente des Dorfs: Braunkohle, Millionen Tonnen. | |
Für Abermillionen Euro Gewinn. Und um die Mär von der billigen Kohle | |
aufrechtzuerhalten; Kohle, die CO2-intensiv ist und energetisch schwach. | |
Power von gestern. | |
Das Entwidmen einer Kirche ist heutzutage fast schon Routine. Gotteshäuser, | |
einst unumstrittener Mittelpunkt einer jeden Gemeinde, werden umgebaut zu | |
Fahrradschuppen, Restaurants, Buchhandlungen, sogar zu Discos und | |
Kletterparcours – oder gleich abgerissen. Heiden sagen: So what, eine | |
weniger. | |
Und die Immerather Pfarrkirche von 1891 war für das rheinische | |
1.200-Seelen-Nest schon immer sehr üppig dimensioniert: St. Lambertus, 42 | |
Meter hoch, neoromanisch, Tuffstein, eine Riesin mit zwei Türmen, weshalb | |
sie im Volksmund stolz „Immerather Dom“ genannt wird. Und bitte, die Gegend | |
hier ist schon sehr abseitig, keine Jobs, nichts los, null Kultur – wer | |
hier 18 ist, flüchtet meist umgehend. Wozu noch diese Kirche? | |
## RWE dementiert umgehend | |
St. Lambertus ist ein weithin sichtbares Heimatsymbol. Die Entwidmung fällt | |
in genau die Woche, in der plötzlich vom Ende der Braunkohlebaggerei | |
zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach die Rede ist; in der Süddeutsche | |
Zeitung und später auch Spiegel Online Insiderwissen aus dem RWE-Vorstand | |
vorgeben: dass man die Baue im Gebiet Garzweiler II ab 2017 stoppen wolle, | |
weil sie nicht mehr rentabel genug seien. RWE dementierte umgehend. Was | |
alle fragen lässt: Warum die Gerüchte? Was ist dran? Wer hat sie lanciert | |
und aus welchen durchtriebenen Gründen? Immerath wäre ohne Sinn entsiedelt | |
worden. | |
Die Strahlkraft der Kirche hat alle herbeigerufen. Die junge Aktivistin von | |
der Widerstandsgruppe Hambacher Forst freut sich über die Spekulationen. | |
„Die Gerüchte“, sagt sie, „ermächtigen die Leute, sich zu wehren.“ | |
Oder der Architekt, der dieses Stück Heimat am liebsten verpflanzt sehen | |
will: Für etwa 15 Millionen, rechnet er, müsste sich der Trumm, vorher | |
digital vermessen, exakt nachbauen lassen, Fenster, Portale und Innereien | |
würden wiederverwertet. „Hat das denn noch keiner wenigstens mal | |
angedacht?“ | |
Oder die sehr alte Anwohnerin, die „sich lange vorbereitet hat“ auf diesen | |
Tag und jetzt doch „überwältigt ist von Trauer“: Ihr Großonkel, Erasmus | |
Schüller aus Köln, habe die Kirche als junger Architekt entworfen, erzählt | |
sie, „und noch während des Baus hat er sich hier eine Lungenentzündung | |
eingefangen und die Fertigstellung nicht mehr erlebt. Furchtbar alles.“ | |
Oder der Vater, der „einfach mittrauern“ wollte und sich jetzt kaum seines | |
zehnjährigen Sohnes erwehren kann: „Papa, wann fahren wir endlich zu den | |
Riesenbaggern?“ Dorthin könnten sie auch zu Fuß gehen, vom Dorfrand aus ist | |
einer dieser gefräßigen Dinos leicht zu sehen. Die himmelwärts ragenden | |
Schaufelradmonster, das andere Symbol – für Energiegier. | |
## Der Held von Erkelenz | |
Kurt Claßen, Steuerberater aus Buir, der sich seit Jahrzehnten vehement | |
gegen die Verstromung der Heimat wehrt, ist auch gekommen. Vor der Messe | |
fragte er bei der Kirchenleitung, ob er Protestplakate an der Kirche | |
anbringen dürfe wie etwa „Nein zur Entwidmung. Niemals“. Er wurde, wie er | |
sagt, „von so einem Kirchenschweizer“ abgeführt. Seine Plakate hängen | |
jetzt, mit Packband festgeklebt, draußen neben dem Portal. „Garzweiler: Des | |
Teufels Werk“ steht da groß, daneben ist von „Christenverfolgung“ die Re… | |
von „lukrativer Rücksichtslosigkeit“. Nachher berichtet Claßen, dass seine | |
Mandanten in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich häufig | |
Betriebsprüfungen gehabt hätten. Ganz schlechte Reputation für einen | |
Steuerberater. „Ich kann nicht beweisen, ob da auf kleinem Dienstweg was | |
gemauschelt wird. Ich weiß nur, ich nage bald am Hungertuch.“ | |
Alle rätseln über die neuen Gerüchte. Viele glauben, RWE bereite schon ein | |
Rückzugsgefecht vor. Vor dem Bundesverfassungsgericht ist noch die Klage | |
eines Immerather Bürgers anhängig gegen die Erweiterungsbaue bis 2045. | |
Sollten die Verfahren für rechtsfehlerhaft erklärt werden, wofür einiges | |
spricht, wäre die Blamage für RWE Power bei vorher propagierter Grabeunlust | |
weniger groß. Die Gerüchte also als Vorsorge? Peter Jansen, der | |
CDU-Oberbürgermeister von Erkelenz, spricht nach der Messe „von tausend | |
Spekulationen, wer das warum lanciert hat“. Seine Vermutung über „das | |
taktische Spiel“: Das sei „nach Berlin gerichtet, um die | |
Koalitionsverhandlungen zu beeinflussen“. Geht es um mehr Subventionen? Um | |
die Drohung mit dem Verlust Tausender Arbeitsplätze? | |
Jansen ist über Nacht ein kleiner Held in der Region geworden. 72 Stunden | |
nach Auftauchen der Gerüchte hat er, zusammen mit Verwaltung und allen | |
Ratsfraktionen, einen offenen Brief an NRW-Ministerpräsidentin Hannelore | |
Kraft geschrieben, die Regierung als Planungsbehörde möge die Angelegenheit | |
verlässlich klären. Bis dahin werde man „bis auf Weiteres alle Arbeiten | |
aussetzen, die sich auf die Vorbereitung des nächsten Schrittes der | |
Umsiedlung im Stadtgebiet beziehen“: keine Landankäufe für neue Orte, keine | |
Planung, keine Erschließung, alle Termine mit RWE in den nächsten Wochen | |
abgesagt. Behördlicher Ungehorsam also. Jansen hatte hinzugefügt, man werde | |
Opfer „politischer Spielchen. Das ist höchst verwerflich. Das ist eine | |
Sauerei.“ | |
Ja, „viel Lob“ habe er bekommen, sagt er nach dem Aussegnungsgottesdienst, | |
endlich spreche mal jemand Klartext, hätten viele empörte Bürger gesagt. | |
Der Immerather Pfarrer schloss sich an: „Wenn einer mit den Menschen | |
spielt, dann ist das unmoralisch und eine ganz große Schweinerei.“ | |
## Genormtes Neu-Immerath | |
2001 hatte die rot-grüne Landesregierung, damals unter Wolfgang Clement, | |
Garzweiler II genehmigt. Auch die Grünen nickten den ökologischen Irrsinn | |
aus Landschaftsfraß und Kohleverstromung damals ab. Der Fraktionschef der | |
NRW-Grünen, Reiner Priggen, sagt jetzt, er wolle den weiteren bis zu 5.000 | |
Umzugs-Betroffenen keine große Hoffnung machen. Ein Stopp 2018 sei wegen | |
der langen Planungsvorläufe unrealistisch. Dennoch: RWE möge sich, so | |
Priggen, „ehrlich machen“. Hannelore Kraft ließ diese Woche wissen, sie | |
werde sich öffentlich nicht vor 2014 äußern. Die Spielchen gehen weiter. | |
Mittlerweile haben sich die meisten der bereits Vertriebenen mit ihrem | |
Schicksal abgefunden. Sie wurden, mit etwas Verhandlungsgeschick und langem | |
Atem, von RWE passabel abgefunden und wohnen jetzt acht Kilometer entfernt | |
in Immerath (neu) in Normsiedlungen von der Stange. Nur jetzt: Diese | |
Unsicherheit. War alles umsonst? Aber zurückziehen ins Geisterdorf | |
Immerath? Unvorstellbar. Die Backsteinhäuser sind vergammelt, leer und | |
verschlossen, manche verrammelt, wegen der Plünderer. Aus Patina wurden | |
Ruinen. Von einst 1.500 Einwohnern sind keine 50 mehr geblieben, Kneipen, | |
Läden, Bäcker, Volksbank – alles lange schon dicht. Die „Abbruchverwertung | |
Peters“ ist der letzte Immerather Wirtschaftsbetrieb. Im Hof liegen | |
Hunderte Fensterrahmen, Glas in allen Größen, Jalousienstapel, | |
Metallgestänge. Die sorgsam sortierten Reste eines Dorfes. Der Dom bliebe | |
ein verlassenes Mahnmal des Wahnsinns. | |
Das Ewige Licht wird gelöscht. „Gehet hin in Frieden“, schließt der | |
Pfarrer, wie es alle Gottesdiener tun. Von wegen! Frieden ist in Immerath, | |
in Kuckum, Kückhoven und Unterwestrich schon lange nicht mehr. Bei der | |
Abreise fallen gleich hinter dem verfallenden Immerath (alt) die dritten in | |
den Himmel ragenden Symbole auf: Windkraftparks in allen Richtungen. Der | |
Wind weht heftig über den südlichen Niederrhein. | |
18 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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