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# taz.de -- Der Pfarrer von Tröglitz: Ein Brausen durchs Gebälk
> Als die NPD gegen das Flüchtlingsheim protestierte, rief der Ortspfarrer
> zum Friedensgebet. Nach dem Brandanschlag kommen jetzt auch die
> Gottesfernen.
Bild: Durch den Brandanschlag zerstörtes Flüchtlingsheim in Tröglitz
TRÖGLITZ/THEISSEN taz | Am letzten Sonntag wäre ein anderer dran gewesen,
ein Gemeindepädagoge. Der hätte das Friedensgebet am Ostersonntag sicher
auch gut gestaltet. Doch als der Wohnblock in der Tröglitzer
Ernst-Thälmann-Straße, wo die vierzig Flüchtlinge im Mai einziehen sollten,
wie eine Fackel brannte, war es für Matthias Keilholz klar, dass an diesem
Tag der Ortspfarrer in die Kirche gehört. Und Keilholz muss – sofern man
das vom Ansprachetext ableiten kann – gedonnert haben.
Er hat im Angesicht der verkohlten Balken den Aufstand der Anständigen
beschworen. Er hat eine Auferstehung der Menschen erfleht, hat die
Tröglitzer Brandnacht mit der Passion Jesu und dem Wunder der Auferstehung
in Beziehung gesetzt, hat seinen eigenen Kleinmut bekannt und die
österliche Gewissheit für Tröglitz konkretisiert: „Die Hoffnung überwindet
die Mutlosigkeit und Resignation.“
Es muss ein Brausen durchs Gebälk gegangen sein. Aber vermutlich stand nur
Polizei vor der Kirche.
Vier Tage später sitzt Keilholz in seinem Pfarrhaus in Theißen, zehn
Kilometer von Tröglitz entfernt, und lehnt sich beim Reden zurück. Er ist
beeindruckt von den Tröglitzern, die seit dem 18. Januar Sonntag für
Sonntag zum Friedensgebet kommen, damit nicht die Angst, nicht der
Fremdenhass und schon gar nicht die Einpeitscher der NPD das Klima auf
Dauer vergiften.
„Viele sind es nicht gewohnt, öffentlich zu beten.“ Daher habe man Kärtch…
mit Gebeten vorbereitet, die verteilt werden – in der Hoffnung, dass jemand
das Wort ergreift. Was Keilholz dann erlebte, lässt ihn immer noch staunen.
Zehn, zwölf und mehr wollen Fürbitte halten. Sie lesen von den Kärtchen ab,
formulieren aber plötzlich auch frei.
Das bekam so eine Dynamik, dass Keilholz Schwierigkeiten hatte, seine
eigene Fürbitte loszuwerden. Keilholz, 51, mit grauem Stoppelbart und
Stoppelhaaren, lacht auf. Andachten können jämmerliche Veranstaltungen
sein. In Tröglitz nicht. Selbst Gottfernen hat der Geist die Zunge gelöst,
berichtet Keilholz. „Liebe Gemeinde, ich habe ja diesen Glauben nicht“,
fing eine Frau beim Gebet plötzlich laut an zu reden. „Aber es tut gut,
hier zu sein und das zu spüren.“
## Arbeiter und Vertriebene
Der örtliche NPD-Kreistagsabgeordnete Steffen Thiel hatte im Januar zweimal
zu einer Protestkundgebung gegen das geplante Flüchtlingsheim aufgerufen.
Am 18. Januar wollte er mit seiner Gefolgschaft dann auch durchs Dorf
ziehen. Der Geist von Pegida hatte Tröglitz erreicht.
Thiel und ein weiterer Gemeinderat sind die Tröglitzer NPD-Mandatsträger.
Sie und ihre Wähler machen zwar noch keine Protestbewegung, sind aber der
Kern, an den Rechtsgerichtete und Fremdenfeinde von außen andocken können.
Das Dreiländereck Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen ist ein Rückzugsraum
für Rechte, die bei einer Einladung nach Tröglitz sicher nicht lange
gezögert haben. Sie haben den Konflikt um das Flüchtlingsheim für ihre
Zwecke genutzt.
„Am Anfang war die Rede von einem Fackelzug!“ Keilholz wirkt darüber jetzt
noch entsetzt. „Was können wir machen?“ Eine Gegendemo? Sollte man sich auf
der Thälmannstraße Parolen zurufen? Was kann ein Dorf aufbieten mit einer
sehr überschaubaren Zahl an aktiven Menschen?
## Ofen angefeuert
Ein Friedensgebet – Glockenläuten, sichtbar sein, die Tür öffnen, Menschen
versammeln, und das in einer Form, die sich wöchentlich wiederholen lässt.
Ortsbürgermeister Markus Nierth, dessen Frau, Matthias Keilholz, die
Kirchenältesten – sie luden am 18. Januar zum ersten Friedensgebet. „Die
haben sogar geheizt!“, ruft Keilholz.
Ein Riesenaufwand für die gute halbe Stunde. Nein, wenn, dann richtig,
haben ihm die Tröglitzer gesagt. Also wurden die alten eisernen Öfen
angefeuert. Bei den Ansprachen wechselt sich Keilholz mit seinem
Pfarrerskollegen aus der Region und zwei Gemeindepädagogen ab. Zunächst
waren sie in der Kirche; als die Zahl der Besucher kleiner wurde, zogen sie
in den Gemeinderaum. Seit dem Rücktritt von Markus Nierth als
Ortsbürgermeister Anfang März ist der Zulauf so groß, dass sie wieder in
der Kirche zusammenkommen.
## Ein Hesse in Sachsen-Anhalt
Keilholz redet schnell, beugt sich manchmal vor und lehnt sich dann wieder
weit zurück. Manchmal hört man den hessischen Zungenschlag. Wie kommt ein
Hesse nach Sachsen-Anhalt? Keilholz lacht. „Ganz einfach.“ Markus Nierth
hat ihn nach Tröglitz geholt. Nierth, der in Weißenfels in einer
Pfarrersfamilie groß geworden ist, war 1986 mit seinen Eltern aus der DDR
ausgereist, hat später Theologie studiert und in Hessen seinen
Vorbereitungsdienst, das Vikariat, absolviert. Dort lernen sich die beiden
kennen. Und Nierth, der ein Talent hat als Menschenfischer, den es in seine
Heimatregion zurückzieht, der den Lindenhof hinter der Tröglitzer Kirche
entdeckt, holt Keilholz in die ostdeutsche Chemieregion.
Der Lindenhof, ein alter Gasthof, sollte zum theologisch-missionarischen
Zentrum werden, wo den Tröglitzern nicht mehr Bratwurst und Bier, sondern
geistliche Speise verabreicht wird. Die Amtskirche hat sich darauf
eingelassen, Nierth wurde vom Bischof aus Magdeburg zum Pfarrer im Ehrenamt
– eine Seltenheit – ordiniert. Keilholz bezeichnet seine damalige Funktion
heute als „freischaffender Theologe“.
Es war ein missionarischer Eifer, wie er in jedem jungen Pfarrer stecken
müsste, und die Lust, die eingefahrenen Gleise zu verlassen. Ein
Förderverein unterstützte sie. Es hat funktioniert. Fünf Jahre. Doch in
diesem Weinberg hier sind Gottes Arbeiter wohl besonders gefordert.
## Umzug nach Theißen
Nierth stellt sein missionarisches Zentrum 2005 ein und wird Trauerredner,
später ehrenamtlicher Ortsbürgermeister. Keilholz geht in den Pfarrdienst
und zieht mit Frau und zwei Kindern nach Theißen. Es muss ein Scheitern
gewesen sein. Aber eines, so sagt es Keilholz heute, das sie nicht entzweit
hat mit den Menschen und der Region. Im Gegenteil.
Tröglitz und Theißen – beide Orte haben einen sehr eigenen, ähnlichen
Charme. Wo die alten Kirchen stehen und mächtige Bauernhöfe zu bestaunen
sind, wirken die Dörfer geradezu pittoresk. Doch hinter der nächsten Kurve
lauert die Ödnis. „Dort hinten, drei Kilometer von hier, ist der Tagebau.“
Keilholz weist mit der Hand aus dem Haus. Die Braunkohlenbagger haben nicht
nur Landstriche aufgerissen. Sie haben auch die Menschen entwurzelt. Die
„Mibrag“, Sachsen-Anhalts Braunkohlenproduzent mit gut 2.000 Beschäftigten,
hat in Theißen ihre Zentrale.
Die Region, die mit ihren Tagebauen, Chemieanlagen und Industriebrachen wie
eine gottferne Wüste wirkt, hat gläubige Menschen, Bekenner, gar Märtyrer
hervorgebracht. Gottesleugner ebenso. Friedrich Nietzsche wurde im Dörfchen
Röcken als Pfarrerssohn geboren und liegt dort begraben. Es ist immer noch
nicht ausgeschlossen, dass das Dorf samt Grab dereinst der Mibrag weichen
muss.
Und 1976 verbrannte sich Oskar Brüsewitz, ein Dorfpfarrer, im benachbarten
Zeitz – aus Protest gegen die Unterdrückung der SED. Die Beerdigung
organisierte Nierths Vater. Industriearbeiter, jede Menge Vertriebene,
jetzt viele Alte, zwischendrin ein paar Bauernfamilien und eine Handvoll
Christen – das ist die spezielle Mischung der Gegend.
## Eine Handvoll Christen
Keilholz ist für 60 Dörfer, Flecken und Vorwerke zuständig, mit insgesamt
36 Kirchen, 7 davon allerdings stillgelegt. Es gäbe auch ohne Tröglitz
genug zu tun. Sind eigentlich alle mit seinem Engagement einverstanden?
Keilholz überlegt. Sicher gebe es auch in der Tröglitzer Gemeinde
unterschiedliche Ansichten darüber, wie man mit den Asylbewerbern umgehen
sollte.
„Aber der Konsens als Kirche ist ganz klar, dass Notleidende aufgenommen
werden müssen.“ Nur eine Frau habe am Telefon ihr Missfallen geäußert,
erzählt er. „Der Pfarrer sollte da sich raushalten“, habe sie gefordert.
„Unsereiner hält sich raus und das ist auch gut so.“ Der Anruf kam aus der
Dessauer Region, das habe die Vorwahl verraten.
## Positive Beispiele
Tröglitz müsse jetzt zur Ruhe kommen, sagt Keilholz. Die Ereignisse der
letzten Zeit, der Rücktritt von Markus Nierth, der Brandanschlag – das
alles hat sich überschlagen. In zwei Orten im Landkreis habe die Aufnahme
von Flüchtlingen doch gut geklappt, in Hohenmölsen und in Eckartsberga.
Positive Beispiele, über die keiner berichte.
In Tröglitz glänzen die verkohlten Balken unter der Frühlingssonne.
Ermittler laufen in Zweiergruppen durch die Straßen und befragen Anwohner.
An dem Wohnblock sind Überwachungskameras montiert. Und vor dem Haus von
Markus Nierth wacht Tag und Nacht ein Polizeiwagen.
Keilholz ist aufgestanden, führt auf den Hof. „Wir finden keine Antworten.“
Aus seinem Mund, der bis jetzt alle Worte so passend fand, klingt das
geradezu gedankenverloren. „Wir müssen auch mal nachdenken“, bekräftigt e…
Im Pfarrhof zwitschern die Vögel.
10 Apr 2015
## AUTOREN
Thomas Gerlach
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