| # taz.de -- Vor dem EU-Flüchtlingsgipfel: Ein bisschen mehr Hilfe | |
| > Die Bundesregierung wirbt dafür, die Seenotrettung im Mittelmeer zu | |
| > verstärken. Aber reicht das wirklich aus? | |
| Bild: Angekommen: Flüchtlinge im Hafen von Augusta, Sizilien, am Mittwoch. | |
| BERLIN taz | Gleich zu Beginn macht Thomas de Maizière klar, dass er es für | |
| wichtig hält, zwischen Flüchtlingen zu unterscheiden. Am Rednerpult im | |
| Bundestag beschreibt er eine junge Afrikanerin, die vergewaltigt wurde; | |
| Flüchtlinge, die sich an Bootstrümmer im Mittelmeer klammern; aber er | |
| erzählt auch vom Duisburger Oberbürgermeister, der über Probleme mit | |
| Armutszuwanderern aus Rumänien klagt. „Bitte, vereinfachen wir diese | |
| Debatte nicht“, so der Bundesinnenminister. „Wir brauchen die Kraft zur | |
| Differenzierung.“ | |
| Das Parlament diskutierte am Mittwoch, was aus dem Unglück am Wochenende, | |
| bei dem mehr als 800 Flüchtlinge im Mittelmeer ertranken, zu lernen sei. | |
| Und der CDU-Innenminister schlug einen Ton an, den man bisher von ihm nicht | |
| kannte. „Seenotrettung ist das Erste und Dringlichste, was jetzt passieren | |
| muss.“ Die entsprechenden Mittel in der Europäischen Union müssten | |
| aufgestockt werden, sagte de Maizière. Zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel | |
| im Kabinett betont, Bilder von ertrinkenden Menschen seien mit den Werten | |
| der EU nicht vereinbar. | |
| Damit vollzieht die deutsche Regierung einen Schwenk. Bis Anfang der Woche | |
| hatte de Maizière stets betont, ein Seenotrettungsprogramm spiele den | |
| Schleppern in die Hände. Es führe dazu, dass sich Flüchtlinge in immer | |
| gefährlicheren Booten auf die Fahrt über das Mittelmeer machen. Mit dem | |
| Argument hatte sich Deutschland gegen eine EU-Übernahme des italienischen | |
| Seenotrettungprogramms „Mare Nostrum“ gewehrt, das in dem einen Jahr seines | |
| Bestehens 150.000 Menschen gerettet hatte – und vergangenen Herbst | |
| eingestellt wurde. | |
| Diese Hilfsverweigerung hält die Bundesregierung nun offensichtlich nicht | |
| mehr für haltbar. Auf dem EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik, zu dem am | |
| heutigen Donnerstag die Staats- und Regierungschefs in Brüssel | |
| zusammenkommen, wird Deutschland eine Ausweitung der Mission „Triton“, die | |
| „Mare Nostrum“ nachfolgte, unterstützen. „Triton“ soll mehr Geld bekom… | |
| und diese Schiffe sollen ihr Patrouillengebiet vergrößern. | |
| ## Vage Formulierungen | |
| Ein 10-Punkte-Plan der EU-Kommission, den die Regierung unterstützt, sieht | |
| zwei weitere Hilfsprojekte vor: 5.000 schutzbedürftige Flüchtlinge sollen | |
| zusätzlich zu den existierenden Kontingenten in Europa aufgenommen werden. | |
| Und in Notfallsituationen könnten Flüchtlinge über einen Sondermechanismus | |
| verteilt werden. All dies ist bisher aber nur vage formuliert, wichtige | |
| Details sind völlig unklar. Eine echte Kurskorrektur der deutschen | |
| Flüchtlingspolitik steht weiter aus, es geht allenfalls um Millimeter. | |
| Der Sprecher des Innenministers will von einem Meinungswechsel seines | |
| Ministers nichts wissen. Er betont, der 10-Punkte-Plan sehe doch auch | |
| Maßnahmen gegen Schlepper vor, etwa die Vernichtung von Booten und die | |
| Stärkung der Zusammenarbeit von EU-Ermittlern. | |
| In der Tat fördern die meisten Punkte des Plans die Abschottung. Selbst in | |
| der Seenotrettung ist das Zugeständnis der Regierung minimal. „Triton“, das | |
| der europäischen Grenzschutzagentur Frontex untersteht, ist im Kern nicht | |
| für Rettung auf hoher See zuständig. Es ist eine Grenzschutzmission, die | |
| anders als „Mare Nostrum“ nur vor der italienischen Küste operiert, also | |
| weit weg von dem Gebiet nahe der libyschen Küste, wo die meisten | |
| Flüchtlingsboote in Seenot geraten. | |
| ## Nur 10 von 28 helfen | |
| Auch beim Grundprinzip der Verteilung der Flüchtlinge in der EU gibt es | |
| keine Bewegung. Zwar fordert de Maiziere seit Längerem eine gerechtere | |
| Verteilung. „Es kann nicht sein, dass sich nur 10 von 28 Staaten an der | |
| Aufnahme beteiligen“, so der Minister im Bundestag. | |
| Allerdings soll das auf freiwilliger Basis passieren. An die rechtlichen | |
| Grundlage, die Dublin-III-Verordnung, die zu den hohen Flüchtlingsaufkommen | |
| in Griechenland, Italien und auf Malta führt, will er nicht ran. „Wir | |
| brauchen eine Anwendung des geltenden Rechts“, sagte der Minister jüngst | |
| bei einer Tagung des Bundesamts in Nürnberg. Die geplante freiwillige | |
| Sonderaufnahme von 5.000 Flüchtlingen ändert daran nichts. Zudem treibt de | |
| Maizière seine Forderung, Asylzentren in Nordafrika einzurichten, weiter | |
| voran. So will er Flüchtlinge von der gefährlichen Reise über das | |
| Mittelmeer ab- und damit aus den EU-Ländern fernhalten. | |
| Angesichts der vielen Toten kritisieren nicht nur Flüchtlingsorganisationen | |
| de Maizières Sturheit – sondern auch die Flüchtlingsbeauftragte der | |
| Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) und Entwicklungshilfeminister Gerd | |
| Müller (CSU). Sie fordern die sofortige Wiederaufnahme eines umfassenden | |
| Seenotrettungsprogramms. „Es war ein Fehler, ’Mare Nostrum‘ einzustellen�… | |
| sagte Müller. Und Özoguz kritisierte: „Das Ergebnis des Brüsseler Gipfels | |
| darf nicht sein, dass die aktuellen Grenzüberwachungsprojekte nur etwas | |
| aufgestockt werden.“ | |
| Zudem fordert Özoguz, die Flüchtlinge in Europa anders zu verteilen – und | |
| damit ein Ende der Dublin-Regelung: „Auf die EU-Agenda muss endlich auch | |
| ein EU-weiter neuer ordentlicher Verteilungsschlüssel der Lasten, die mit | |
| der Aufnahme von Asylbewerbern verbunden sind.“ | |
| 22 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| Ulrich Schulte | |
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