# taz.de -- Europäische Flüchtlingspolitik: SchülerInnen diskutieren mit Fro… | |
> Schwere Vorwürfe haben Berliner SchülerInnen gegen Frontex-Chef Klaus | |
> Rösler. Und draußen vor der Tür wartet eine Flüchtlingskundgebung. | |
Bild: Unter Polizeischutz gelangt Klaus Rösler zu seiner Veranstaltung. | |
BERLIN taz | Rund 150 Oberstufen-SchülerInnen mit ihren | |
SozialkundelehrerInnen sitzen dicht gedrängt in der Schwarzkopf-Stiftung in | |
Berlin-Mitte und in dem Raum wird die Luft langsam dick. Doch der Gast | |
kommt und kommt nicht. Es gibt einen Zwischenfall, sagen die Veranstalter | |
zur Entschuldigung und sind sichtlich nervös. | |
Klaus Rösler, Chef von Frontex, hat inzwischen rote Marmelade und | |
Himbeersaft im Gesicht und auf dem grauen Jackett. Denn während in der | |
Stiftung GymnasiastInnen unter dem Motto „junges Europa“ politisiert werden | |
und an diesem Abend mehr von der Arbeit der EU-Grenzschutzagentur erfahren | |
sollen, [1][demonstrieren draußen vielleicht zwei- oder dreihundert Leute | |
gegen die Abschottungspolitik der EU]. „Mörder!“, rufen sie. | |
Drinnen ist das Publikum reinweiß, draußen finden sich alle Hautfarben und | |
die Reden werden auf deutsch, französisch und englisch gehalten. Dann | |
endlich geht die Veranstaltung los. Klaus Rösler hat sich umgezogen. | |
Ob ihm so etwas schon mal passiert wäre, fragt die Moderatorin Nicola Roth, | |
zur Einstimmung. „Noch nie!“ Das letzte Mal als es Proteste bei einem | |
öffentlichen Auftritt gab, habe eine vierspurige Straße ihn von den | |
Demonstrierenden getrennt. Es scheint, also ob weder er noch die Berliner | |
Polizei mit einem öffentlichen Wutausbruch gerechnet hatten. „Aber können | |
Sie den Zorn zumindest verstehen?“ Wiederum verneint Rösler. | |
## Kein Rettungsmandat | |
Er, also Frontex, seien doch vor allem an der Rettung von Flüchtlingen | |
beteiligt. Bereits in diesem Jahr seien 25.000 Menschen an den | |
EU-Außengrenzen gerettet worden. Bei 8.100 „Fällen“ hätte Frontex zu ihr… | |
Rettung „beigetragen“. | |
Die Formulierung ist bewußt so offen gehalten, denn bislang hat Frontex | |
kein Rettungsmandat. Und ein solches will der Chef der Operative auch gar | |
nicht haben. „Warum immer wir ran sollen, wenn etwas schief läuft, verstehe | |
ich sowieso nicht.“ Seine Aufgabe sei es, die irreguläre Einwanderung und | |
die damit verbundene Grenzkriminalität einzudämmen. | |
Es folgt eine etwa 40 minütige Ausführung im geübten Beamtendeutsch über | |
das Organigramm der Agentur. Immer wieder ist von Hilfe die Rede und davon, | |
dass Menschen aufgegriffen würden, damit sie dem „Schutzsystem der EU | |
zugeführt“ werden können. Also die, die tatsächlich schutzbedürftig seien. | |
Rösler nimmt das Wort Wirtschaftsflüchtling nicht in den Mund, er sagt nur | |
knapp „Balkan“ um die rote Linie zwischen denen zu ziehen, denen seine | |
Einsatzgruppen gewähren, einen Asylantrag zu stellen und denen, die | |
abgewehrt werden. Immer wieder erwähnt er auch die Interviewteams, die die | |
aufgegriffenen Flüchtlinge nach Routen und Schlepperorganisatoren | |
befragten, bevor sie diese ins „Schutzsystem einschleusten“. Ja, diese | |
gäben „freiwillig“ Auskunft. | |
## Ausweichende Antworten | |
Das Publikum wird langsam unruhig, und auch die Moderatorin findet es an | |
der Zeit, über die in der Öffentlichkeit bereits vielfach kritisierten | |
Pushbacks zu sprechen. „2013 hat ihr Chef zugegeben, dass Menschen von | |
Frontex immer wieder in Nicht-EU-Länder zurückgedrängt würden. Sie sind | |
seit 2008 dabei. Haben Sie davon gewusst?“ Rösler weicht aus. „Ich kann | |
nicht ausschließen, dass... inzwischen haben wir ja auch eine | |
Grundrechtsbeauftragte...“. | |
Die Diskussion wird eröffnet und ein junger Mann platzt heraus: „Sie sind | |
dafür verantwortlich, dass die Menschen nicht auf legalem Weg nach Europa | |
kommen können, dass immer mehr Routen dicht gemacht werden und also ein | |
Markt für Schleuser entsteht!“ Ein anderer, auch er mit roten Flecken am | |
Hals, fragt: „Wegen Ihnen ertrinken Tausende! Können Sie nachts noch | |
schlafen, das würde mich wirklich interessieren.“ Es kommen noch viele | |
Vorwürfe. | |
Die SchülerInnen sind gut informiert, sie haben die notwendigen Zahlen in | |
Sachen Triton und Mare Nostrum und Seenotrettung parat. Rösler antwortet | |
geduldig und diszipliniert auf jede einzelne Wortmeldung. Er will das | |
Gespräch, aber schließlich wirkt er müde und auch enttäuscht. Schmallippig | |
sagt er: „Ich wollte ein paar Fakten mit Ihnen teilen, aber offenbar wollen | |
Sie das nicht.“ | |
## Keine Einmischung in die Politik | |
Das Publikum beharrt: „Was sollen die Innenminister in der EU Ihrer Meinung | |
nach beschließen? Wie kann das Massensterben verhindert werden?“ Jetzt hat | |
der gebürtige Franke endgültig genug. Nein, er wolle sich nicht in die | |
politische Diskussion einmischen, ja die Schleuser seien das Problem. Aber | |
dass Asylanträge bereits in den Nicht-EU-Staaten angenommen würden, dafür | |
würde er nicht plädieren. | |
Die von Frontex erstellten Risikoanalysen sind die Grundlage für die | |
Beschlüsse der EU-Mitglieder für die EU-Grenzpolitik. Die Agentur nimmt | |
also routinemäßig und direkt politischen Einfluss – aber eben nicht | |
öffentlich. Diese Regelung ist politisch gewollt. Nur so kann die EU | |
Frontex den schwarzen Peter zuschieben und Frontex mit dem Finger auf die | |
EU zeigen. Dieser Abend führt dieses Spiel wunderbar vor. | |
Die Veranstaltung ist zu Ende, Rösler wird unter Polizeischutz aus dem Raum | |
geführt, diesmal wird er nicht den Vordereingang benutzen. Die Gäste müssen | |
bleiben. Die Demonstrierenden seien unberechenbar, sagen die Veranstalter | |
auf Geheiß der Polizei, womöglich gefährlich. Man wartet geduldig. Es | |
dauert noch eine halbe Stunde, dann wird die Gefahrenanalyse zurückgezogen. | |
Zurück auf der Straße begrüßen die ausharrenden Demonstranten das Publikum | |
freundlich: „Redet mit uns, wir können euch wirklich informieren.“ | |
23 Apr 2015 | |
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[1] /Europaeische-Fluechtlingspolitik/!158693/ | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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