# taz.de -- Flüchtlinge in Australien: Politik der Abschreckung | |
> Die Methoden, die Australien der EU zum Umgang mit Flüchtlingen | |
> vorschlägt, sind brutal – Kritiker beschreiben sie als Folter. | |
Bild: Internierte tamilische Flüchtlinge auf Cocos Island. | |
CANBERRA taz | „Die Menschen sind in einem katastrophalen psychischen | |
Zustand“, sagt Professor David Isaacs, Kinderarzt aus Sydney. Der Mediziner | |
kehrte jüngst von einem Besuch auf der kleinen Pazifikinsel Nauru zurück, | |
wo Australien jene Asylsuchenden interniert, die es trotz extensiver | |
Überwachung als Bootsflüchtlinge in australische Gewässer geschafft hatten | |
und von der Marine aufgegriffen wurden. | |
Er sei schockiert gewesen von den Lebensbedingungen, die an ein | |
Gefangenenlager erinnerten, so Isaacs. Frauen lebten in Angst vor | |
Übergriffen durch andere Inhaftierte und Wärter. Das Warten auf einen | |
Asylentscheid in Nauru oder einem anderen Lager in Papua-Neuguinea kann | |
Monate dauern, sogar Jahre. | |
Die Kinder litten am schwersten: „Ich sah ein sechsjähriges Mädchen, das | |
sich mit einer Zeltschnur aufhängen wollte. Es hatte Verbrennungsspuren am | |
Hals.“ Selbst wer schließlich als Flüchtling anerkannt wird, solle nie | |
einen Fuß auf australischen Boden setzen dürfen, sagt Premierminister Tony | |
Abbott. Ein neues Leben ist nur in Nauru, Papua-Neuguinea und Kambodscha | |
möglich. | |
Die Internierung von Asylsuchenden, die per Boot von Indonesien, Sri Lanka | |
und Vietnam nach Australien zu kommen versuchen, ist eines von zwei | |
Standbeinen einer Flüchtlingspolitik, die Abbott in diesen Tagen Europa als | |
Methode vorschlagen will, um die Flüchtlinge aus Afrika zu stoppen. | |
## Keine unabhängige Prüfung | |
Das andere ist die kompromisslose Rücksendung von Booten in die | |
Herkunftsländer. „Seit Januar 2014 gab es kein Boot mehr, keine Toten auf | |
dem Meer“, so Außenministerin Julie Bishop am Mittwoch in Gesprächen mit | |
ihrem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier. Noch 2013 hätten | |
insgesamt 300 Boote mit 20.000 Menschen an Bord „die gefährliche Reise nach | |
Australien unternommen“. 1.200 seien im Meer gestorben. Die meisten | |
Bootsflüchtlinge stammen aus Iran, Irak, Afghanistan und Sri Lanka und | |
bezahlten Menschenschlepper für die Fahrt. Diesen wolle man „das Geschäft | |
entziehen“, so Abbott. | |
Die offiziellen Zahlen sind zwar beeindruckend, aber nicht unabhängig | |
überprüfbar. Die konservative Regierung hat den Umgang mit Flüchtlingen der | |
Geheimhaltung unterworfen. Verfehlungen – etwa Äußerungen von Besuchern in | |
Lagern oder von Marinesoldaten auf See – werden von Canberra rigoros | |
geahndet. | |
Dazu kommt die geografische Isolation: Journalisten ist es praktisch | |
unmöglich, die Situation im Meeresgebiet zwischen Indonesien und Australien | |
zu beobachten. Unklar ist, wie viele Boote heute noch die Überfahrt | |
beginnen. Es kann nicht bestätigt werden, ob alle der oft kaum seetüchtigen | |
Schiffe es noch in ihre Ursprungshäfen schaffen, nachdem sie von der | |
australischen Marine in indonesische Gewässer zurückgeschleppt wurden. | |
## Zurück in den Tod | |
Nur gelegentlich drängen Informationen vom Geschehen auf hoher See an die | |
Öffentlichkeit. Sie zeichnen ein Bild verzweifelter Menschen, die von | |
Australien gegen ihren Willen in eine Situation zurückgeschickt werden, die | |
für sie möglicherweise den Tod bedeutet. Flüchtlingsorganisationen klagen, | |
Canberra liefere tamilische Flüchtlinge an die Marine Sri Lankas aus. In | |
mindestens einem Fall soll die Rückführung in Folter und Tod eines | |
Betroffenen geendet haben. | |
Die UN und humanitäre Organisationen meinen, mit der forcierten Rückführung | |
und der Internierung auf unbestimmte Zeit verstoße Australien gegen eine | |
Vielzahl von Abkommen zum Schutz von Asylsuchenden und Kindern. Peter | |
Young, der früher für die Lager zuständige Psychiater, beschreibt die | |
Methoden als „Folter“. Es gehe darum, Menschen zu „zermürben“, um Nach… | |
abzuschrecken. | |
Solche Kritik prallt an der Regierung nicht nur ab. Kritiker, wie die | |
Chefin der australischen Menschenrechtskommission, Gillian Triggs, werden | |
von Kabinettsministern öffentlich denunziert. Dass die Bevölkerung die | |
Abwehr von Schutzsuchenden ausdrücklich unterstützt, hilft dem von | |
Skandalen geplagten Abbott politisch. Denn die Praxis ist eines von wenigen | |
Wahlversprechen, die er bisher gehalten hat. Sein Slogan 2013: „Wir werden | |
die Boote stoppen.“ | |
23 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
## TAGS | |
EU | |
Tony Abbott | |
Australien | |
Flüchtlinge | |
Australien | |
Australien | |
Tamilen | |
Australien | |
Drogenhandel | |
Triton | |
Schleuser | |
Frontex | |
Mittelmeer | |
Flüchtlinge | |
Tony Abbott | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jugendgefängnis in Australien: Folteraufnahmen sorgen für Entsetzen | |
Mit Sack über dem Kopf an einen Stuhl gefesselt, wochenlange Einzelhaft: | |
Nach Bekanntwerden von Bildern aus einer Haftanstalt schaltet sich die | |
Politik ein. | |
Flüchtlingspolitik auf Nauru: Freiheit auf der Insel | |
Der Pazifikstaat hat ein australisches Flüchtlingslager geöffnet. 600 | |
internierte Flüchtlinge können sich jetzt frei auf Nauru bewegen. | |
Parlamentswahl in Sri Lanka: Von Geistern und Elefantenhaaren | |
Vor der Parlamentswahl senden Astrologen und Demoskopen gemischte Signale. | |
Viele fürchten die Rückkehr des Expräsidenten Rajapaksa. | |
Protest in Australien: „Tampon-Steuer“ auf der Kippe | |
Tampons und Binden könnten in Australien billiger werden. Knapp 100.000 | |
Unterschriften gegen die Besteuerung der Hygieneartikel wurden gesammelt. | |
Todesurteile wegen Drogendelikten: Indonesien kennt keine Gnade | |
Der internationale Protest scheint ungehört zu bleiben: Indonesien will | |
weitere neun Verurteilte wegen Drogendelikten hinrichten. | |
EU-Sondergipfel zu Flüchtlingshilfe: Das Militär, dein Retter | |
Beim Krisengipfel in Brüssel wird die umstrittene „Triton“-Mission im | |
Mittelmeer massiv aufgestockt. Angela Merkel verkauft das als humanitäre | |
Aktion. | |
Europäische Flüchtlingspolitik: SchülerInnen diskutieren mit Frontex | |
Schwere Vorwürfe haben Berliner SchülerInnen gegen Frontex-Chef Klaus | |
Rösler. Und draußen vor der Tür wartet eine Flüchtlingskundgebung. | |
EU-Plan zur Seenotrettung: Mit Waffen gegen Schlepper | |
Sicher ist: Frontex soll mehr Geld bekommen. Ansonsten bleibt der | |
Zehn-Punkte-Plan der EU zur Flüchtlingsrettung schwammig. | |
UNHCR-Vertreter über Flüchtlingspolitik: „Wir haben so viel Zeit verloren“ | |
Es ist offen, ob die EU mit ihrem Zehn-Punkte-Plan richtige Antworten auf | |
die Schiffskatastrophen im Mittelmeer gibt, sagt der UNHCR-Vertreter | |
Vincent Cochetel. | |
Australiens Flüchtlingspolitik: Syrische Couchpotatoes gesucht | |
Australien will Asylsuchende mit einem TV-Drama abschrecken. Der Film soll | |
Menschen vor „Haft, Enttäuschung und sogar dem Tod retten“. | |
Kritik an Australiens Flüchtlingspolitik: Abbott hat die Nase voll davon | |
Das Land verstößt gegen die Antifolterkonvention der UN, weil es | |
Flüchtlinge auf Inseln einsperrt und auch Kinder interniert. Der Premier | |
sieht das als humanitär an. | |
Misshandlungsvorwürfe in Australien: Ein gefährlicher Ort für Kinder | |
Flüchtlingskinder in Australien werden eingesperrt und misshandelt, zeigt | |
ein Menschenrechtsbericht. Premier Tony Abbott kritisiert die Untersuchung. |