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# taz.de -- Debatte Flüchtlingspolitik Europa: Von den USA lernen
> Während Europa Flüchtlinge im Mittelmeer verrecken lässt, setzt sich in
> den USA langsam Pragmatismus durch. Das hat auch mit der Machtfrage zu
> tun.
Bild: Ducken vor dem US-Grenzschutz: Flüchtling aus Mexiko im kalifornischen G…
Militärschiffe ins Mittelmeer, mehr Geld für Abschottung, Kampf den
Schleusern – die Schlagworte, mit denen Europa versucht, Antworten auf
ankommende Flüchtlinge und die Katastrophen vor den Küsten der Union zu
finden, klingen altbekannt, wirft man einen Blick in ein Land, das schon
seit Jahren eine erbitterte Einwanderungsdebatte führt: die Vereinigten
Staaten von Amerika.
„Von Amerika lernen heißt siegen lernen“, scheint das Credo zu sein, unter
dem die Lösungsansätze europäischer Politik laufen. Härte statt Humanität,
Notfallintervention statt wirklicher Hilfe. Dabei lohnt ein genauerer Blick
auf die Debatte in den USA, um zu verstehen, in welchen Punkten Europa von
den Strategien dort lernen kann und wo die US-Politik schlechtes Vorbild
ist.
Mehr als 41 Millionen Einwanderer – also Menschen, die bei Geburt keine
US-Staatsbürgerschaft besaßen – leben heute in den USA, deren Gründung als
Nation ausschließlich auf ihnen und ihren Vorgängern beruht. Es waren die
religiös motivierten Pilgerväter aus England, später Iren und Deutsche, die
aus wirtschaftlicher Not nach Amerika aufbrachen.
Hinzu kamen politische Flüchtlinge, die in der neuen Welt aus Kolonien
schließlich 1776 eine Nation gründeten. Die Idee des melting pot, des
Schmelztiegels, ist zu einem Begriff geworden, um den sich der
Gründungsmythos der USA rankt und der heute noch als Charakteristik der
Gesellschaft dient.
## Verheißung endet an der Südgrenze
Doch den so schön erdachten melting pot leben nicht mehr als elitäre Zirkel
im Land. Dort schmückt man sich gern mit globaler Kompetenz von Asien bis
Lateinamerika. Für die allermeisten jedoch endet jegliche Verheißung an der
Südgrenze der USA.
Mehr als 11 Millionen Einwanderer sind illegal – Papierlose. Geflohen vor
Gewalt, Korruption, politischen Regimen und wirtschaftlicher Not, kommen
die meisten Menschen aus Zentralamerika in das vermeintlich „gelobte Land“.
Seit die USA ihre schwere wirtschaftliche Rezession überwunden haben, ist
die Zahl der Flüchtlinge wieder sprunghaft angestiegen, darunter sind
Zehntausende Kinder, die sich allein auf den gefährlichen Weg machen.
Vor allem konservative Republikaner bewerten die illegalen Einwanderer, die
etwa 3,5 Prozent der Gesamtbevölkerung in den USA ausmachen, als massives
Problem. Marc Rubio, der 2016 gern Präsidentschaftskandidat werden würde
und selbst Kind kubanischer Einwanderer ist, machte kürzlich deutlich, was
seine Priorität ist: die Grenzen zu sichern und Flüchtlinge davon
abzuhalten, in die USA zu gelangen oder dort zu bleiben.
Damit steht Rubio exemplarisch für die Republikaner und die konservativen
Wähler. Die Ängste vor Einwanderern sind simpel: Angst vor Jobverlust,
Angst vor wirtschaftlichem Abstieg und die „üblichen“ Sorgen vor
Kriminalisierung und Überfremdung.
## Schön niedrige Lohnkosten
Gleichzeitig ist gerade die Position konservativer Politiker im
wirtschaftlichen Kontext scheinheilig. Zwar tritt man dafür ein,
Einwanderer nicht ins Land zu lassen, die Grenzpatrouillen zu erhöhen und
den Grenzzaun nach Zentralamerika lückenlos hochzuziehen. Gleichzeitig sind
es vor allem im mächtigen Agrarsektor Millionen Illegale, die für ein paar
Dollar arbeiten. Papierlose machen mehr als 5 Prozent der gesamten
Arbeitskraft im Land aus.
Die von den Republikanern hofierte Industrie lebt de facto von den billigen
Arbeitskräften, die ohne Rechte die Lohnkosten schön niedrig halten und
ohne Sozialversicherung dem Wohlfahrtsstaat nicht auf der Tasche liegen.
Ein illegaler ist ein guter Einwanderer, weil er den Staat nichts kostet
und die Wirtschaft stützt.
## Die Angst des weißen Mannes
Neben den wirtschaftlichen Faktoren fürchten viele weiße Amerikaner den
Verlust ihrer Dominanz. Melting pot hin oder her, seit Gründung der USA war
es stets der weiße Mann, der die politischen wie wirtschaftlichen Geschicke
dominierte. Durch den demografischen Wandel dank legaler wie illegaler
Einwanderung ist diese Vormachtstellung nun in Gefahr. Es ist daher auch
der drohende Machtverlust, der Republikaner zwingt, sich in der
Einwanderungsdebatte zu öffnen. Ihre Position, die Grenzen aufzurüsten und
abzuschotten, werden sie nicht aufgeben. Doch sind sie bereit – und hier
ist Amerika weiter als Europa –, die Frage des Danach zu diskutieren.
Wie geht es weiter mit den Flüchtlingen, die im Land leben? Bei dieser
Frage geht es den Republikanern, und nicht wenigen Demokraten, weniger um
das Humanitäre, sondern um Macht. Die Stimmen der Hispanics im Land werden
bei der Wahl im nächsten Jahr mit entscheidend sein, die Biografien vieler
von ihnen sind Flüchtlingsgeschichten.
Barack Obama, der einst angetreten war mit dem Versprechen, als Präsident
die Einwanderungspolitik zu reformieren, ist stets am Widerstand der
Republikaner gescheitert. Im vergangenen Jahr verfügte er per
Exekutivorder, all jenen einen sicheren Aufenthaltsstatus zu gewähren, die
Kinder haben, die in den USA geboren sind und mindestens fünf Jahre dort
leben. Einen Abschiebestopp für Kinder, die allein flüchten, gibt es
bereits seit 2012.
## Die Methoden des US-Grenzschutzes
Den Republikanern passt dieser Weg nicht, und sie versuchen derzeit, ihn
juristisch zu blockieren. Doch kein Anwärter auf das Weiße Haus kann sich
der Frage einer Einwanderungsreform verwehren. Nicht umsonst stellt Jeb
Bush immer wieder heraus, dass seine Frau Mexikanerin ist.
Die Methoden des US-Grenzschutzes darf sich Europa auf keinen Fall zum
Vorbild nehmen, wohl aber die Notwendigkeit, eine Lösung für die Menschen
zu finden. Die USA haben jahrzehntelang nicht agiert und führen deshalb
jetzt eine Debatte, die Millionen betrifft. Dass die Machtfrage dabei
zentral ist, mag zynisch sein. Aber solange aus Pragmatismus eine
Diskussion entsteht, die die Menschen in den Vordergrund stellt und die
Flüchtlingsfrage nicht immer nur als lästiges Problem sieht, muss das
nichts Schlechtes sein.
Im besten Fall hilft der amerikanischen Gesellschaft neben ihrem
Pragmatismus hier auch der unerschütterliche Glaube an Chancen. In dieser
Hinsicht kann und sollte Europa von Amerika tatsächlich lernen.
5 May 2015
## AUTOREN
Rieke Havertz
## TAGS
Illegale
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