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# taz.de -- BND-NSA-Skandal: Das Rätsel der Selektoren
> Ist die BND-Affäre ein großer Skandal oder eine aufgebauschte Affäre?
> Eine Übersicht zu den Erkenntnissen und den wichtigsten Fragen.
Bild: BND-Chef Gerhard Schindler im Juni 2014 in der Abhörstation Bad Aibling
KARLSRUHE taz | Im Zentrum der Affäre steht die Abhörstation im bayerischen
Bad Aibling. Die Anlage, die vor allem satellitengestützte Kommunikation in
Nordafrika und im Nahen Osten überwachte, gehörte früher den USA. Nachdem
aber im Jahr 2000 im Zuge der „Echelon“-Affäre herauskam, dass die USA in
Bad Aibling wohl auch Wirtschaftsspionage betrieben, sollte die Anlage
zunächst dichtgemacht werden.
## Das Memorandum of Agreement
Doch nach den Al-Qaida-Anschlägen von 2001 schlossen Deutschland und die
USA ein Memorandum of Agreement. Danach ging die Anlage in Bad Aibling ab
2004 an den BND über. [1][Der BND muss bei der Nutzung aber eng mit der NSA
kooperieren.] Die Vereinbarung dient sicher der Terrorabwehr, ein zweites
Ziel war aber wohl die Vermeidung von illegalen Rüstungsexporten. Gab es
noch mehr vertragliche Ziele? Der Vertrag ist bisher geheim.
Konkret sah die Kooperation so aus, dass die NSA dem BND vorgab, wonach er
in den Datenströmen suchen soll. Wohl täglich lieferte die NSA sogenannte
Selektoren. Das sind zum Beispiel Telefonnummern, E-Mail- und IP-Adressen
von Zielpersonen, aber wohl auch verdächtige Begriffe wie bestimmte
Sprengstoffzutaten. Im Lauf der Jahre erhielt der BND wohl Millionen
solcher Selektoren. Im Gegenzug lieferte der BND die so entdeckten E-Mails,
SMS und Telefonate an die NSA – wohl im Volltext und nicht nur mit den
Verbindungsdaten.
Bei der Erfassung (oder erst bei der Lieferung?) sollten wohl deutsche und
amerikanische Ziele von vornherein ausgenommen werden. Das dürfte schon im
Memorandum von 2002 so geregelt gewesen sein. Offen ist, ob sonstige
europäische Ziele generell verschont werden sollten.
## Problematische Praktiken
Etwa 2005 (warum erst so spät?) fiel dem BND auf, dass die erhaltenen
Selektoren teilweise problematisch waren. Konkret ging es damals um die
Firmen EADS (heute Airbus) und Eurocopter, beide mit deutscher Beteiligung.
Damals wurde das Kanzleramt aber wohl noch nicht unterrichtet (warum
nicht?). Erst 2008 und 2010 machte der BND das Kanzleramt auf
problematische Praktiken der NSA aufmerksam.
Unklar ist, wie das Kanzleramt reagierte. Ob es bei der NSA protestierte
oder dem BND vertraute, dass dieser die nötigen Gegenmaßnahmen ergreifen
wird.
Immerhin hatte der BND (wann?) eine Datei der von ihm abgelehnten
Selektoren angelegt, mit der die ständig neu gelieferten NSA-Selektoren
abgeglichen wurden. Bis 2013 sollen sich rund 40.000 Selektoren in dieser
Ablehnungsdatei befunden haben. Bisher ist aber unbekannt, wie viele dieser
Selektoren bereits eingesetzt waren oder vom BND sofort nach Lieferung
aussortiert wurden.
Nach den Snowden-Enthüllungen prüfte ein BND-Unterabteilungsleiter die
aktiven Selektoren erneut und fand dabei 12.000 Selektoren, die sich auf
rund 2.000 Personen und Unternehmen bezogen. Diese wurden dann auch Teil
der Ablehnungsdatei. Die Bundestagsgremien wollen nun klären, wann die
BND-Spitze und das Kanzleramt vom Umfang der Ablehnungsdatei und dem
[2][Fund der 12.000 Selektoren] erfuhr. Sollte beides erst im März 2015
aufgrund von Nachfragen des NSA-Untersuchungsausschusses bekannt geworden
sein, wäre die Annahme berechtigt, dass der BND ein unkontrolliertes
Eigenleben führte.
Doch das allein würde das Kanzleramt noch nicht entlasten. Nach der
„Echelon“-Vorgeschichte musste schließlich damit gerechnet werden, dass die
USA sich auch für europäische Unternehmen interessieren. Hat die Regierung
dem BND wirklich keine wirksamen Kontrollen aufgegeben? Warum hat der
damalige Kanzleramtsminister [3][Thomas de Maizière (CDU) nicht genau
nachgefragt], als er 2008 erstmals von den Problemen erfuhr?
## Die Rolle von de Maizière
Möglicherweise war de Maizière damals gar nicht untätig. Denn immerhin
wurde 2008 das seit vier Jahren laufende [4][Eikonal-Projekt] beendet.
Dabei lieferte der BND gigantische Datenmengen, die er am Frankfurter
Internetknoten abzweigte, auch an die Amerikaner. Die G-10-Kommission des
Bundestags hatte den BND-Zugriff zwar genehmigt, weil der BND die
internationale Kommunikation von und nach Deutschland „strategisch“
überwachen darf. Dass die Daten aber auch an die NSA gehen, wusste die
G-10-Kommission nicht und fühlt sich getäuscht. Ein Problem war, dass bei
Eikonal auch Daten von Deutschen an die USA geliefert wurden, weil die
entsprechenden BND-Filter nicht zuverlässig funktionierten.
## Die Größe des Schadens
Der Schaden für deutsche und europäische Interessen hängt vor allem davon
ab, welche Daten der BND mit den USA teilte. In Bad Aibling dürften
überwiegend Exportinteressen von Firmen und die Außenpolitik von Staaten
betroffen gewesen sein. Daten aus Frankfurt können aber auch
innereuropäische Kommunikation enthalten haben.
Besonders bedenklich ist, dass der BND laut Spiegel ab 2012 versuchte,
gemeinsam mit der NSA und dem englischen Geheimdienst GCHQ, „Transitdaten“
in Frankfurt abzuschöpfen. Das Projekt Monkeyshoulder wurde zwar 2013 nach
den Snowden-Enthüllungen vor der Realisierung aufgegeben, die Regierung war
bis dahin aber angeblich nicht informiert. Auch dies spräche für ein
Eigenleben des BND.
6 May 2015
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## AUTOREN
Christian Rath
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