# taz.de -- Thomas de Maizière in der Kritik: Der eisern Dienende | |
> Das G36. Die Drohne. Der BND. Thomas de Maizière wollte stets korrekt | |
> sein. Nun kämpft er ums politische Überleben. | |
Bild: Innenminister Thomas de Maizière: einer, der das Staatswohl stets über … | |
Als Thomas de Maizière seinen drei Kindern erklärte, was ein Geheimnis ist, | |
sprach er von Geschenken. Darüber müsse man schweigen, damit sich der | |
Beschenkte an Weihnachten freue, sagte de Maizière. Süße Geheimnisse, das | |
verstehen Kinder. | |
März 2008, zwei taz-Reporter treffen den Chef des Bundeskanzleramtes. Ein | |
Gespräch über Verschwiegenheit soll es werden. Thomas de Maizière erwähnte | |
damals auch ihre dunkle Seite. „Ein Geheimnis schließt notfalls die Lüge | |
ein.“ | |
[1][Das Gespräch liest sich in der Rückschau fast prophetisch.] Thomas de | |
Maizière, 61 Jahre, heute Innenminister, früher Kanzleramtschef, noch | |
früher in fast jedem Amt, das Landesregierungen zu bieten haben, ist in | |
einen Strudel geraten, den keiner mehr überblickt. Auch nicht er, der | |
Verwaltungsprofi, der Kontrolle und Übersicht liebt wie kaum ein anderer. | |
Ein Sturmgewehr, das nicht richtig trifft. Tausende Flüchtlinge, die im | |
Mittelmeer ertrinken. Ein unkontrollierter Geheimdienst, der möglicherweise | |
den Amerikanern half, europäische Spitzenpolitiker und wichtige Firmen | |
auszuspionieren. Dazu kommen seit Mitte vergangener Woche noch | |
Ministerialbeamte, die in de Maizières Zeit als Verteidigungsminister mit | |
dem Militärischen Abschirmdienst gegen Journalisten vorgehen wollten, die | |
kritisch über den G36-Waffenbauer Heckler & Koch berichteten. De Maizière | |
ist nicht nur in eine, sondern gleich in sämtliche Affären verwickelt, die | |
die Republik gerade beschäftigen. | |
## Hat er gelogen? | |
Am gefährlichsten könnte die sein, die mit bösen Geheimnissen zu tun hat. | |
De Maizière leitete vier Jahre lang das Bundeskanzleramt, von 2005 bis | |
2009. Als treuer Organisator der Macht hielt er seiner Chefin, Kanzlerin | |
Angela Merkel, den Rücken frei. In diese Zeit fällt ein schwerer Vorwurf: | |
Schon 2008 soll er vom BND erfahren haben, dass der amerikanische | |
Geheimdienst NSA rechtswidrige Spitzelattacken startete – ohne diese zu | |
unterbinden. | |
Ein zweiter Punkt ist nicht minder brisant. Hat er als Innenminister die | |
Wahrheit verschwiegen, gar gelogen? Auf eine Anfrage der | |
Linken-Bundestagsfraktion antwortete sein Ministerium im April, es habe | |
„keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch die NSA“. Vier | |
Wochen zuvor war aber die Regierung vom BND über die Selektoren, die | |
rechtswidrigen NSA-Suchbegriffe, informiert worden. | |
Mittwoch, im Untergeschoss eines Bundestagsgebäudes in Berlin-Mitte: Thomas | |
de Maizière, schwarzer Anzug, tiefe Furchen im Gesicht, drückt den Rücken | |
durch. Vor ihm Dutzende Mikrophone, taghell leuchtende Scheinwerfer. Die | |
Meute lauert. Gerade ist eine Sitzung des Parlamentarischen | |
Kontrollgremiums zu Ende gegangen. Raum U1 215, dicke Stahltür, | |
abhörsicher. Hier tagen regelmäßig neun Abgeordnete, die den deutschen | |
Bundesnachrichtendienst kontrollieren sollen. Gerade haben sie de Maizière | |
gegrillt, oder besser: Sie haben es versucht. | |
De Maizière redet ruhig und konzentriert, die Hände vor dem Bauch gefaltet. | |
Nur die beiden Daumen, die sich um sich selbst drehen, verraten etwas von | |
seiner Anspannung. „Von den gegen mich erhobenen Vorwürfen bleibt nichts | |
übrig.“ Er habe 2008 als Kanzleramtschef „nichts erfahren von Suchbegriffen | |
der US-Seite, von Selektoren und Ähnlichem oder Wirtschaftsspionage“. Im | |
Gegenteil: Er habe damals eine tiefergehende Kooperation, die sich die | |
Amerikaner wünschten, unterbunden. Genauer wird er nicht. | |
## Den preußischen Tugenden verpflichtet | |
De Maizière, der Dienende. Einer, der das Staatswohl stets über das eigene | |
Ego stellt. Der sich den preußischen Tugenden verpflichtet fühlt. Das ist | |
das Bild, das er von sich zeichnet. De Maizière, verheiratet mit einer | |
Sozialpädagogin, Klavierspieler und Liebhaber klassischer Musik, stammt von | |
einer französischen Hugenottenfamilie ab. Sein Vater war Berufsoffizier und | |
Generalinspekteur der Bundeswehr, sein Cousin der letzte Ministerpräsident | |
der DDR. | |
De Maizière ist ein Freund politischer Klarheit. Das überdreht er manchmal. | |
Als Flüchtlinge im Mittelmeer starben, irritierte er mit dem Argument, mehr | |
Seenotrettung spiele den Schlepperbanden in die Hände. Eine eiskalte | |
Überlegung in einer emotionalen Debatte. | |
Er warb für bewaffnete Drohnen, weil der Staat die Pflicht habe, Soldaten | |
im Einsatz zu schützen. Damit legte er sich nicht nur mit der Opposition | |
und den Kirchen an, sondern gleich mit einem ganzen Volk, den | |
kriegsskeptischen Deutschen. | |
Seine Unterstützer sagen, er habe Mut zur Ehrlichkeit. Seine Gegner werfen | |
ihm Zynismus vor. Aus seiner Sicht ist das vielleicht: sagen, was ist, auch | |
wenn es weh tut. | |
## Keiner scheint ihm zu glauben | |
Die Affäre um die Geheimdienste jedenfalls muss sein Weltbild ins Wanken | |
gebracht haben. Keiner scheint ihm mehr zu glauben. Die [2][Bild]-Zeitung | |
druckte eine Montage, de Maizière mit Pinocchio-Nase. Der Spiegel hob ihn | |
auf den Titel, neben Merkel und dem BND-Chef. Darüber in dicken Buchstaben: | |
„Der Verrat“. Verrat. Das Wort muss einen protestantischen Pflichtmenschen | |
quälen. | |
De Maizière beantwortet vor den Mikrofonen noch drei, vier | |
Journalistenfragen. Manchmal weicht er aus. Seit wann er von den Listen mit | |
Suchbegriffen gehört habe, welche die NSA dem BND zum Ausspähen übersandte? | |
Er sagt: Das müsse er erst in den Akten nachschauen. Dann nickt er kurz. | |
„Gut.“ Seine Leibwächter drücken Journalisten zur Seite, de Maizière geht | |
mit schnellen Schritten. | |
Die Opposition wäre verrückt, ließe sie sich die Chance entgehen, den | |
Minister weiter zu jagen. Der Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz sagt | |
tags darauf, dass sich de Maizière nach einer geheimen Sitzung selbst | |
freispreche, sei ein „Treppenwitz“. Am Abend veröffentlicht der | |
ARD-Deutschlandtrend, dass nur noch 38 Prozent der Befragten mit de | |
Maizières Arbeit zufrieden sind. Der schlechteste Wert seit Beginn der | |
Legislatur. | |
Am Donnerstag lehnt Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU, eine für den | |
Folgetag von der Opposition beantragte Sondersitzung des NSA-Ausschusses | |
ab. Vorgesehener Zeuge: Thomas de Maizière. Es gebe keinen „erkennbaren | |
Grund“, lässt Lammert verlauten, „dass das jetzt so stattfinden muss“. E… | |
Verschnaufpause für den Innenminister. | |
## Die Abteilung 6 prüft | |
Natürlich weiß auch de Maizière, dass noch mehr kommen kann. Im Kanzleramt | |
ist eine ganze Abteilung zuständig für den Bundesnachrichtendienst. Sie | |
prüft im Moment akribisch alle Vorgänge, die mit den NSA-Spähwünschen zu | |
tun haben – auch die in de Maizières Zeit. Jene Abteilung 6 berichtet an | |
einen eigenen Staatssekretär, dieser wiederum ist direkt dem | |
Kanzleramtschef unterstellt, also der rechten Hand Merkels. | |
Das ist das Brisante an der Affäre, nach oben sind die Drähte kurz. Merkel | |
schätzt de Maizières Loyalität, aber sie wird ihn schwer halten können, | |
sollten substanziellere Vorwürfe öffentlich werden. Gleichzeitig ist de | |
Maizière der Letzte, der noch zwischen ihr und der Affäre steht. | |
Dazu kommt, dass die Stimmung in der Koalition gereizt ist, auch wenn nach | |
einer irren Woche alle gelassen tun. SPD-Chef Sigmar Gabriel brach den | |
Koalitionsfrieden, indem er Merkel und das Kanzleramt ins Zentrum der | |
Affäre rückte. Keine gute Basis für einen Minister, der um sein Überleben | |
kämpft. | |
De Maizière tut, was man in so einer Lage tun muss. Er macht einfach | |
weiter. Am Freitag, heißt es im Ministerium, sei der Innenminister in | |
Meißen unterwegs, seinem Wahlkreis in Sachsen. Als sei alles völlig in | |
Ordnung. | |
8 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] /1/archiv/digitaz/artikel/ | |
[2] http://www.bild.de/politik/inland/thomas-de-maiziere/sie-luegen-wie-gedruck… | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Sabine am Orde | |
Ulrich Schulte | |
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