Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte NPD-Verbot: Rechtsstaatliche Realsatire
> Das fragwürdige NPD-Verbotsverfahren droht erneut am Verfassungsschutz zu
> scheitern. Der Prozess muss entweder fair sein oder platzen.
Bild: Die Frage ist: Hat der Verfassungsschutz seine V-Leute tatsächlich abges…
Ein „Parteiverbot (trage) das Risiko in sich, die Freiheit der politischen
Auseinandersetzung zu verkürzen. Insbesondere ist der Gefahr zu begegnen,
dass dieses Instrument im Kampf gegen den politischen Gegner missbraucht
wird“, schrieb 2001 Jutta Limbach, damals Präsidentin des
Bundesverfassungsgerichts, und mahnte: „Auf zwei Wegen lässt sich dieser
Gefahr entgegenwirken: zum einen durch eine restriktive Auslegung der
Voraussetzungen des Verbots; zum anderen durch ein strenges justizförmiges
Verfahren.“
Was das strenge rechtsstaatliche Verfahren angeht, so hat der Zweite Senat
mit seinem „Geheimdienste-Beschluss“ vom 19. März Pflöcke eingeschlagen u…
die Bedingungen für einen fairen Prozess gegen die NPD bekräftigt.
Der Beschluss könnte auch schon den Anfang vom Ende des Verbotsverfahrens
eingeleitet haben. Denn jetzt ist der Bundesrat am Zuge: Liefert er die
angeforderten Belege nicht, weil die Innenminister mit dem üblichen
Versteckspiel namens „Quellenschutz“ mauern, dann könnte das Verfahren
wieder scheitern, weil Aussagen und Verhalten der NPD nicht klar genug vom
Einfluss verdeckter Agenten des Staates zu unterscheiden sind.
Schaut man die „Hausaufgaben“ durch, die das Bundesverfassungsgericht dem
Bundesrat aufgibt, wird schnell klar, dass es hart zur Sache geht. Der
Zweite Senat verlangt Beweise, dass die V-Leute in den Vorständen der NPD
tatsächlich am 2. April 2012 abgeschaltet worden sind. Die im Verbotsantrag
vorgelegten „Testate“, in denen die Innenminister das pauschal versichern,
genügen dem Gericht nicht.
## Es kommt noch peinlicher
Die Verfassungsrichter wollen jetzt Genaueres über die „Zahl und den
Ablauf“ der behaupteten „Abschaltungen“ wissen. Und sie wollen Nachweise
für den „Vollzug des Verzichts auf Nachsorge“ bei den „abgeschalteten“
Informanten bis spätestens Dezember 2012 sehen.
Aber es kommt noch peinlicher für die Antragsteller: Das Gericht verlangt
vom Bundesrat darzulegen, dass „keinerlei nachrichtendienstlich erlangte
Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin
entgegengenommen“ werden – und dass der NPD-Anwalt Peter Richter, selbst
ein Parteifunktionär, weder abgehört noch sonst überwacht wird. Im Übrigen
solle man nachweisen, dass dennoch erlangte Informationen nicht ins
Verbotsverfahren eingeführt würden.
Offenbar nimmt der Senat den Verdacht der Überwachung des NPD-Anwalts
durchaus ernst. Hier tun sich Abgründe auf: Wie die FAS am 8. Februar 2015
berichtet, hatte ein von einem Verfassungsschützer gesteuertes Auto 2013
das Fahrzeug der Mutter des Anwalts angefahren.
## Das ist Realsatire
Der Beschluss gipfelt in der Forderung, die Verbotsbetreiber mögen
„insbesondere zur Frage der Quellenfreiheit des Parteiprogramms Stellung
nehmen“ – auf Deutsch: Sie sollen erklären, ob V-Leute daran mitgeschrieben
haben. Das ist Realsatire, und es muss doch in einem rechtsstaatlichen
Verfahren geklärt werden. Fluch der schlechten Gewohnheit: Wer
jahrzehntelang eine Kleinstpartei geheimdienstlich infiltriert, braucht
sich nicht zu wundern, wenn ihn in Karlsruhe regelmäßig V-Leute-Probleme
einholen.
All das war absehbar: Haben die Bundesländer wirklich geglaubt, die
Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts würden sich in einem
Verfahren, das schon einmal an der fehlenden „Staatsfreiheit“ der NPD
gescheitert war, mit treuherzigen Beteuerungen abspeisen lassen?
Allein den Antragstellern obliegt es, hieb- und stichfest darzulegen, dass
keine geheimdienstlich bedingten Verfahrenshindernisse vorliegen:
„Darstellen und in geeigneter Weise belegen“ – eine messerscharfe
Formulierung! Der Geheimdienstebeschluss zwingt die Innenminister zur
Entscheidung: Wollen sie ihren „Testate“ genannten Lippenbekenntnissen
endlich Taten folgen lassen und Verfassungsschutzakten herausgeben, die
ihren Umgang mit V-Leuten nachvollziehbar machen?
## Abgeschaltete V-Leute
Der Berichterstatter des Bundesverfassungsgerichts, der ehemalige
saarländische Ministerpräsident Peter Müller, dürfte bis zum 15. Mai eine
detaillierte Aufstellung über sämtliche „abgeschaltete“ V-Personen
erwarten. Denn anders wären Behauptungen der NPD kaum zu widerlegen, es
gebe nach wie vor aktive Spitzel in der Führungsebene.
Was wird den Innenministern also wichtiger sein: der Erfolg des
Verbotsverfahrens oder die Geheimhaltung der „Quellen“ und Arbeitsweisen
ihres „Verfassungsschutzes“? Denn alles, was jetzt dem Gericht geliefert
werden muss, ist selbstverständlich auch dem NPD-Anwalt zuzuleiten. Und es
müsste in öffentlicher Verhandlung erörtert werden. Denn ein
nichtöffentliches „In-camera-Verfahren“, von dem die NPD-Vertreter
ausgeschlossen werden, kommt, wie der ehemalige Verfassungsrichter Dieter
Grimm vor Jahr und Tag erklärte, aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in
Betracht (FAZ vom 22. 2. 2002).
„Die Politik läuft in eine unsägliche Falle“, warnte 2011 Hans-Jürgen
Papier, auch er ehemals Präsident des Verfassungsgerichts. Doch der
Bundesrat schlug alle Warnungen in den Wind und setzte ein Verfahren in
Gang, das alle Züge von Wiederholungszwang trägt.
## Widerliche Parolen
Nüchtern betrachtet ist die NPD eine isolierte Splitterpartei, ihr
Niedergang offenkundig. Sie lehnt zwar das Grundgesetz ab und verbreitet
widerliche Parolen, doch ihr untauglicher Versuch, die „Grundordnung“
dieser Demokratie zu beseitigen, grenzt an ein Wahndelikt.
Dass sich nun das Verfassungsgericht auf geradezu spektakuläre Weise
entschlossen zeigt, das Verfahren gegen die NPD in rechtsstaatliche Bahnen
zu lenken – dafür kann man es nicht hoch genug loben. Offenbar will man
sich vom „Verfassungsschutz“ nicht noch einmal an der Nase herumführen
lassen.
Kurz und gut: Was den Verbotsbetreibern schlaflose Nächte bereiten dürfte,
ist für Rechtsstaat und Demokratie eine ausgesprochene Wohltat – denn nur
so ist ein „strenges justizförmiges Verfahren“, nur so ist „fair trial�…
garantieren.
30 Mar 2015
## AUTOREN
Johannes Lichdi
Horst Meier
## TAGS
Verbotsverfahren
Bundesverfassungsgericht
V-Männer
Parteiverbot
NPD
Bundesländer
Bundestag
Konzentrationslager
V-Leute
Demokratie
Tino Brandt
Verfassungsschutz
NPD
NPD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Verbotsverfahren gegen die NPD: Elf V-Leute in Spitzenämtern
Der Bundesrat liefert neues Material für das Verbotsverfahren der
rechtsextremen Partei – inklusive einer Liste einstiger Top-V-Leute.
NPD-Demo vor dem Reichstag: „Eine unappetitliche Provokation“
Rechtsextreme rufen zu einer Demonstration am 70. Jahrestag der Befreiung
vom Faschismus auf – ausgerechnet vor dem Reichstag in Berlin.
NPD provoziert mit Webseite: .kz
Die Webseite der Nazi-Partei ist mit dem kasachischen Länderkürzel „.kz“ …
erreichen. Verantwortlich dafür ist eine bekannte Partei-Größe.
ARD-Doku über V-Leute: Nazis in geheimer Mission
„V-Mann-Land“ holt vier Ex-V-Leute vor die Kamera – und lässt sie erzäh…
wie Beate Zschäpe ihre Blumen goss, während sie die Welt bereisten.
Kommentar zu NPD-Verbot: Schneller ist nicht immer besser
Das Verfahren wird kurz sein: Entweder lässt sich der Partei keine konkrete
Gefahr nachweisen oder sie wird verboten, weil sie demokratiefeindlich ist.
Thüringen schaltet V-Leute ab: Neonazis bald auf Jobsuche
Rot-Rot-Grün will sich von Informanten aus der rechten Szene trennen. Doch
wie geht das Land mit Infos von V- Männern außerhalb Thüringens um?
Beschluss zu NPD-Verbotsverfahren: Karlsruhe will mehr Beweise
Das letzte NPD-Verbotsverfahren scheiterte wegen des Einsatzes von
V-Leuten. Nun fordert das Gericht mehr Beweise für die Abschaltung der
V-Leute.
Kommentar NPD-Verbotsverfahren: Demokratiefeindlich, nicht gefährlich
Ist das NPD-Verbotsverfahren mit dem Wahlverlust in Sachsen obsolet? In
ihrem Niedergang ist die Partei kaum noch eine Gefahr.
NPD vor dem Verbotsverfahren: Ein letztes Aufbäumen
Das Parteiverbotsverfahren soll eingestellt werden, fordert die NPD. Denn
es gebe weiterhin V-Leute. Der Bundesrat sieht das anders.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.