# taz.de -- EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien: Fundamentals first | |
> Die EU und Serbien haben offiziell Gespräche über den Beitritt begonnen. | |
> Serbien muss Europas Grundwerte übernehmen – und sein Kosovo-Problem | |
> lösen. | |
Bild: Sogar eine Extra-Briefmarke gibt es in Serbien anlässlich der EU-Beitrit… | |
BRÜSSEL taz | Irgendwann zwischen 2020 (serbischer Wunsch) und 2024 | |
(EU-Erwartung) dürfte Serbien der EU beitreten. Doch es sieht nicht gerade | |
nach einer Liebesheirat aus: Erst wurde die Anbahnung verschoben – Berlin | |
wollte vor der Bundestagswahl keine Erweiterungsdebatte. Offenbar hatte man | |
Angst, dies könne die AfD beflügeln. Und nun, da es endlich losgeht, müssen | |
die Europäer ausgerechnet mit zwei ehemaligen Weggefährten des autoritären | |
Exmachthabers Slobodan Milosevic verhandeln: mit Premier Ivica Dacic und | |
seinem Vize Alexander Vucic. | |
Beide sind keine besonders angenehmen Partner für die EU-Außenminister, die | |
gestern in Brüssel den offiziellen Startschuss gaben – der prompt mit | |
frechen Sprüchen aus Belgrad gekontert wurde: „Hätte mir in den 90er Jahren | |
jemand gesagt, Bulgarien tritt vor Serbien der EU bei, ich hätte ihn für | |
dumm erklärt“, prahlte etwa Dacic in Belgrad. | |
Für Serbiens Premier ist es gar keine Frage, dass sein Land einen festen | |
Platz in Europa hat. Formal hat er damit auch recht. Schließlich haben die | |
Europäer schon 2003 in Thessaloniki beschlossen, die Tür für den Beitritt | |
aller Balkanstaaten offen zu halten – Serbien inklusive. | |
Doch seither hat sich viel verändert. In der Europäischen Union machte sich | |
nach dem gleichzeitigen Beitritt von zehn ost- und südeuropäischen Staaten | |
im Jahr 2004 der „Erweiterungs-Blues“ breit. Viele Alt-Europäer haben keine | |
Lust mehr auf Neu-Mitglieder. Schon die Nachzügler Bulgarien und Rumänien | |
wurden 2007 nur noch widerwillig empfangen. Wegen massiver Probleme mit | |
Demokratie und Justiz stehen sie bis heute unter besonderer Aufsicht. | |
Seither prüft die EU-Kommission noch genauer, ob ein Kandidat wirklich reif | |
für die Aufnahme in den europäischen Club ist. Bei Schwierigkeiten werden | |
sogar ganze Verhandlungskapitel auf Eis gelegt, wie das Beispiel Türkei | |
zeigt. Einen Freifahrschein – also eine Garantie auf einen schnellen, | |
reibungslosen und quasi automatischen Beitritt – gibt es nicht mehr. | |
Dies dürfte auch Serbien schnell zu spüren bekommen. Der frisch gebackene | |
Kandidat muss nicht nur die üblichen 35 Beitrittskapitel abarbeiten und die | |
umfangreichen europäischen Rechtsvorschriften übernehmen. Zudem muss | |
Serbien neu eingeführte Zwischenziele erreichen. | |
Im Mittelpunkt steht dabei der Kampf gegen Korruption und organisiertes | |
Verbrechen. Dies ist eine Lehre aus dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens, | |
der sich im Rückblick als verfrüht erwiesen hat. „Fundamentals first“ –… | |
Grundwerte zuerst – heißt die neue Regel. | |
Außerdem muss Serbien noch eine ganz besondere Bedingung erfüllen – und | |
sich mit Kosovo, seiner umkämpften ehemaligen Provinz, auf eine Art | |
Grundlagenvertrag einigen. Ob und wie das gelingt, kann derzeit selbst in | |
Brüssel niemand sagen. | |
Zwar hat Serbien sich unter der Ägide der EU-Außenvertreterin Catherine | |
Ashton auf „historische“ Gespräche mit Kosovo eingelassen. 14 Jahre nach | |
dem Kosovokrieg ist offenbar das Eis gebrochen. Die Beitrittsverhandlungen | |
sind eine Art Belohnung dafür. | |
Doch wohin die Reise führt, ist immer noch unklar. Denn die 28 | |
EU-Mitglieder sind sich untereinander selbst nicht einig, wie sie mit | |
Kosovo umgehen sollen. Während Deutschland die vollständige Anerkennung | |
fordert, verweigern fünf EU-Mitglieder dem Land diesen Status. Spanien etwa | |
fürchtet, selbst seine abtrünnigen Regionen zu verlieren, wenn es Kosovo | |
anerkennt. | |
## Kosovos Status | |
Um dieses Problem zu umgehen, haben sich die Brüsseler Bürokraten für | |
Serbien ein ganz besonderes Procedere ausgedacht. In jedem | |
Verhandlungskapitel gibt es einen Bezug zum Kosovo, und am Ende soll ein | |
„rechtlich bindendes Abkommen“ stehen, das die offene Statusfrage löst. | |
Ausgerechnet Deutschland, das ja selbst lange geteilt war und um die damit | |
verbundenen Probleme wissen müsste, hatte auf dieses schikanöse Verfahren | |
gedrängt. Ob es der richtige Weg ist, muss sich erst zeigen. Einigkeit | |
besteht in Brüssel nur darin, dass es für Serbien ein langer, schwerer Weg | |
in die EU wird. Vorher dürfte wohl noch das benachbarte exjugoslawische | |
Montenegro beitreten; die Verhandlungen laufen seit knapp zwei Jahren und | |
kommen gut voran. | |
Auch Nachbarn wie die exjugoslawischen Staaten Mazedonien und Bosnien oder | |
Albanien haben sich auf den Weg nach Europa gemacht. Genau wie Serbien | |
werden sie alle von der Hoffnung auf Freiheit und einem Ende der | |
Balkan-Krise getrieben. Ob sie am Ende begeistert empfangen werden, steht | |
auf einem anderen Blatt. Derzeit tendiert die Zustimmung der EU-Bürger zu | |
neuen Beitrittsrunden nämlich gegen null. | |
22 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
## TAGS | |
Serbien | |
Europäische Union | |
EU-Beitritt | |
Kosovo | |
Kosovo | |
Europäische Union | |
Mazedonien | |
Serbien | |
Serbien | |
Serbien | |
Bosnien und Herzegowina | |
Schwerpunkt Türkei | |
Serbien | |
Kommunalwahlen | |
Kosovo | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte Kosovo und die EU: Unser Star für Prishtina | |
Die wahren Herren des Kosovo sind die Missionen von EU und UN. Der Pass des | |
Landes ist wertlos. Es ist Zeit für eine europäische Perspektive. | |
Mittelpunkt der EU: Die Mitte ist am Arsch der Welt | |
Es gibt Leben in Westerngrund, man muss es nur suchen. Die unterfränkische | |
Gemeinde ist seit 2014 der geografische Mittelpunkt der EU. | |
Präsidentschaftswahl in Mazedonien: Wenn der halbe Friedhof mitwählt | |
Die erste Runde der Wahl geht klar an Amtsinhaber Ivanov, Wahlfälschung | |
inklusive. Doch sind Überraschungen in der Stichwahl möglich. | |
Parlamentswahl in Serbien: Sieg der Proeuropäer | |
Die proeuropäische Fortschrittspartei unter Alexander Vucic gewinnt die | |
Wahl in Serbien. Die Konservativen könnten damit allein eine neue Regierung | |
bilden. | |
Parlamentswahl in Serbien: Der neue Heilsbringer | |
Der Rechtspopulist Aleksandar Vucic wird voraussichtlich der neue starke | |
Mann in Belgrad. Er verunglimpft seine politischen Gegner als „Mafia“. | |
Völkermordverfahren gegen Serbien: UN-Gericht eröffnet den Prozess | |
Zehntausende Kroaten waren im Jugoslawien-Krieg vertrieben und getötet | |
worden. Kroatien macht dafür Serbien verantwortlich. | |
Kommentar Proteste in Bosnien: Gemeinsam gegen Nationalismus | |
Es könnte heikel werden für die Machthaber: Denn vor allem junge Leute | |
solidarisieren sich über ethnische Grenzen hinweg. | |
Drastische Zinserhöhung in der Türkei: Kampf dem Kursverfall | |
Befreiungsschlag der türkischen Notenbank: Um die Entwertung der Lira zu | |
bremsen, erhöht die Bank die Zinsen. Die Märkte reagieren positiv. | |
Politthriller in Belgrad: Mord auf Bestellung | |
Die Ermordung des Journalisten Ćuruvija scheint 15 Jahre nach der Tat | |
aufgeklärt – die mutmaßlichen Täter sollen aus Geheimdienstkreisen kommen. | |
Kommunalwahlen im Kosovo: Wer nicht abstimmt, riskiert den Job | |
Am Sonntag finden im serbischen Teil Mitrovicas Nachwahlen statt. Belgrad | |
will eine Wiederholung des Boykotts auf jeden Fall verhindern. | |
Neuer Kurs in Belgrad: Teileinigung bei Kosovo-Gesprächen | |
Belgrad hofft auf eine Teilnahme der Kosovoserben an den Komunalwahlen. | |
Dann könnten die Beitrittsgespräche mit Serbien beginnen, verspricht die | |
EU. |