| # taz.de -- Kommentar Proteste in Bosnien: Gemeinsam gegen Nationalismus | |
| > Es könnte heikel werden für die Machthaber: Denn vor allem junge Leute | |
| > solidarisieren sich über ethnische Grenzen hinweg. | |
| Bild: Ein Demonstrant in Tuzla am 6. Februar 2014. | |
| Noch muss man natürlich vorsichtig mit der Beurteilung der Ereignisse in | |
| Bosnien und Herzgowina sein. Die Baby-Revolution (Babylution) vom letzten | |
| Sommer hat nur wenige Tage angehalten. Doch vieles deutet jetzt darauf hin, | |
| dass es sich bei den Demonstrationen und militanten Auseinandersetzungen, | |
| die in der Industriestadt Tuzla begonnen haben, nicht mehr um eine | |
| Eintagsfliege handelt. Zu viel hat sich bei vielen Menschen angestaut, zu | |
| viel an Frustration über die soziale und politische Lage. | |
| Gefährlich für die herrschenden politischen Parteien ist die Verbindung der | |
| verzweifelten Arbeiter, die angesichts der hohen Arbeitslosigkeit nichts | |
| mehr zu verlieren haben, mit den depravierten Mittelschichten, die selbst | |
| an der Armutsgrenze leben. Das Bündnis der Arbeiter mit den Aktivisten der | |
| jungen und gut ausgebildeten facebook-Generation, die ebenfalls kaum eine | |
| Chance auf einen Beruf oder überhaupt nur einen Job haben, eröffnet eine | |
| politische Perspektive. | |
| Denn eines ist jetzt schon klar: diese Protestbewegung macht vor allem bei | |
| den jungen Leuten nicht vor den sogenannten ethnischen Grenzen halt. Die | |
| soziale Lage bietet den gleichen Zündstoff im serbischen Teilstaat wie in | |
| der bosniakisch-kroatischen Föderation. Dass am Freitag | |
| Solidaritätsdemonstrationen mit Tuzla, das in der Föderation liegt, in den | |
| serbisch kontrollierten Städten Prijedor und Banja Luka stattgefunden | |
| haben, ist ein gewichtiges Indiz dafür. | |
| Noch ist das alles nur ein Anfang. Doch für die gesamte Bevölkerung in | |
| Bosnien und Herzegowina ist seit Jahren klar, dass sich etwas gravierend | |
| ändern muß: das Nachbarland Kroatien ist in die EU aufgenommen worden, mit | |
| Serbien verhandelt Brüssel, Bosnien jedoch bleibt draußen und steht kurz | |
| vor dem Abgrund. Der von der internationalen Staatengemeinschaft | |
| geschaffene komplizierte Staatsaufbau begünstigt die Herrschaft von | |
| Parteien mit verantwortungslosen und korrupten Politikern, die von der | |
| Situation profitieren und kein Interesse an Reformen haben, die für eine | |
| EU-Perspektive notwendig sind. | |
| Es geht jetzt schon nach erst drei Tagen Protest um mehr als „nur“ die | |
| soziale Seite des Ganzen. Nichts fürchten die Nationalisten aller Seiten | |
| mehr, als wenn sich Menschen aus allen Volksgruppen solidarisieren. Die | |
| ethnische Trennung garantiert ihnen bislang ihre Machtstellung. Die | |
| Demonstrationen stellen zudem eine schallende Ohrfeige für die | |
| internationalen Institutionen in Bosnien dar, die nur ein Interesse an der | |
| Ruhe im Land haben, nicht jedoch an dessen Entwicklung. Für die | |
| Demonstranten geht es um nichts weniger als um die Zukunft ihres Landes. | |
| Und deshalb hat die Protestbewegung Sprengkraft. | |
| 7 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Erich Rathfelder | |
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