# taz.de -- Demos in Bosnien-Herzegowina: Die Revolution nimmt Gestalt an | |
> Die bürgerliche Mittelschicht hat sich den Protesten in | |
> Bosnien-Herzegowina angeschlossen. In mehreren Städten wurden Räte | |
> gebildet. | |
Bild: Die „Banditen“ sollen zurücktreten, fordern diese Demonstranten in S… | |
SARAJEVO taz | Die Demonstrationen gegen die korrupten Politiker und die | |
gekauften Eliten in Bosnien und Herzegowina weiten sich aus. Auch in | |
Kleinstädten wie in der südbosnischen Gemeinde Gorazde ist es in den | |
vergangenen Tagen zu größeren Demonstrationen gekommen. | |
Die Protestierenden wenden sich vor allem gegen die Korruption der | |
Kantonsbehörden und fordern wie anderswo auch den Rücktritt der „Diebe“ u… | |
verantwortlichen Politiker. | |
Nun schalten sich auch Berufsgruppen in den allgemeinen Protest ein. Für | |
Dienstagnachmittag ist eine Demonstration der Angestellten der | |
Verkehrsbetriebe „Gras Sarajevo“ angekündigt. Auch die Feuerwehrleute der | |
Hauptstadt stellten schon Forderungen. So seien Fuhrpark und Gerätschaften | |
der Feuerwehr völlig veraltet, das Personal müsste um 80 Mitarbeiter | |
aufgestockt werden, um den Aufgaben gerecht zu werden. | |
Schon im Herbst hatten die Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe mit Warnstreiks | |
auf sich aufmerksam gemacht. Um die Jahreswende war die Auszahlung von | |
Gehältern für die Angestellten der staatlichen Institutionen um mehr als | |
zwei Monate verzögert worden. Das hatte schon damals heftigen Unmut | |
ausgelöst. | |
## „Wir alle sind Hooligans“ | |
Die friedlichen Demonstrationen sind seit dem Wochenende vor allem durch | |
die bürgerliche Mittelschicht der Stadt geprägt. Herzhaft mussten viele | |
lachen, als Plakate mit der Parole „Wir alle sind Hooligans“ auftauchten, | |
die von älteren Damen auf die Demonstration getragen wurden. | |
Nach wie vor gibt es keine sichtbare Organisation hinter der Bewegung. Der | |
Politiker der bürgerlich fundamentaldemokratischen oppositionellen „Nasa | |
Stranka“ (Unsere Partei) Pedza Kojovic, Abgeordneter im Kantonsparlament, | |
erklärte gegenüber unserer Zeitung, bei der Umstrukturierung der | |
Kantonsregierung werde es wohl zur Wahl eines Übergangskabinetts aus | |
parteilosen Experten kommen. | |
Die Gehälter der Politiker seien schon jetzt um 50 Prozent gekürzt worden, | |
so wie es die Demonstranten gefordert haben. Eine Parallelstruktur wie in | |
Tuzla werde in Sarajevo voraussichtlich aber nicht aufgebaut. | |
## Eigenes Kabinett gebildet | |
In Tuzla hat sich am Wochenende ein Plenum der Demonstranten formiert, | |
indem mehrere hundert Frauen und Männer – Arbeiter, Studenten, Ingenieure, | |
Professoren und Kriegsveteranen – über die Lage diskutieren und Vorschläge | |
für eine Reform des Kantons erarbeiten. Es soll dort ebenfalls ein Kabinett | |
aus parteilosen Experten gebildet werden. | |
Der populäre sozialdemokratische Bürgermeister Jasmin Imamovic wie auch der | |
Rektor der Universität unterstützen diese Initiative. Die stadtbekannten | |
Intellektuellen aus Sarajevo haben sich bisher auffallend zurückgehalten. | |
Lediglich der Philosoph und politische Analytiker Esad Bajtal und die | |
Filmemacherin Jasmila Zbanic wagten sich am Wochenende aus der Deckung und | |
fungierten als Sprecher der Protestbewegung. | |
„Ich habe schon die deutsche Besatzung erlebt, war Partisan, habe die | |
bolschewistische und die liberale Phase der Titozeit mitgemacht, habe den | |
letzten Krieg überlebt, auch den wilden Kapitalismus danach, die Korruption | |
und die Herrschaft der Nationalisten“, erklärte der 80-jährige Historiker | |
Meho Alicehajic. „Ich war in den letzten Jahren wegen der aussichtslosen | |
Lage in unserem Land schon depressiv geworden, seit ein paar Tagen bin ich | |
aber wieder glücklich.“ | |
11 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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