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# taz.de -- Demos in Bosnien und Herzegowina: Tränengas und Steinehagel
> Die Massenproteste gegen schlechte Lebensbedingungen ergreifen weitere
> Städte. Mehrere Verwaltungsgebäude stehen in Flammen.
Bild: Demonstranten in Tuzla.
SARAJEVO taz | Wie ein Flächenbrand haben sich die Demonstrationen und
Belagerungen von öffentlichen Gebäuden in Bosnien und Herzegowina am
Freitag ausgebreitet. In Sarajevo versammelten sich im Laufe des
Nachmittags mehrere Tausend Menschen. Die Polizei setzte Tränengas ein, die
Demonstranten antworteten mit einem Steinehagel. In der 120.000 Einwohnder
zählenden Industriestadt Tuzla drangen Demonstranten erneut in das
Verwaltungsgebäude des Kantons ein und zündeten es an. Es brannte nieder.
Mit den Rufen „Diebe“ und „verschwindet“ belagerten Demonstranten das
Gebäude des Kantonsgebäudes in der 100.000 Einwohner zählenden Stadt
Zenica. Dort geriet die Lage am Nachmittag außer Kontrolle, es kam zu
Schlägereien auf offener Straße, die Polizei war hilflos. Anhänger des
Fußballvereins Sloboda Tuzla (Freiheit Tuzla) riefen zum Bau von
Molotowcocktails auf.
Militante Proteste gegen die lokalen Politiker gab es auch in Bihac, wo
ebenfalls das Kantonsgebäude besetzt wurde, und in den Kleinstädten Donji
Vakuf, Sanski Most, Brcko und Mostar demonstrierten jeweils Hunderte. Ruhig
verliefen dagegen kleinere Demonstrationen in den serbisch kontrollierten
Städten Banja Luka und Prijedor.
In Sarajevo wurde für den Abend eine noch größere Menschenmenge erwartet.
Deshalb formierte sich ein großes Polizeiaufgebot. Busse von Emigranten aus
Wien werden in Tuzla erwartet, Serben aus Bijeljina und anderen Städten
Ostbosniens verbreiten im Internet ihre Solidarität mit den Arbeitern in
Tuzla.
## Warnung in sozialen Netzwerken
Die Politiker scheinen abgetaucht zu sein. Lediglich Fahruddin Radoncic,
Vorsitzender der Partei „Für eine bessere Zukunft“ und Chef der größten
Zeitung Dnevni Avaz, erklärte, die Kantonsregierungen seien an der Lage
schuld, er hätte auf die Brisanz der Situation wiederholt hingewiesen.
In sozialen Netzwerken wird vor weiterer Gewalt gewarnt. Bei den
Gewalttätigen könnte es sich auch um Provokateure handeln, sagen manche.
Doch die Stimmung heizt sich weiter auf.
Allmählich entsteht auch ein Bild, wie alles begonnen hat. Wie schon seit
Monaten demonstrierte am vergangenen Mittwoch eine Gruppe Arbeiter vor dem
Gebäude der Kantonsregierung in Tuzla. Zu den Klängen einer Harmonika
sangen sie Lieder, schwenkten die altbosnische Lilienflagge und hielten das
Poster des ehemaligen Staatschefs Jugoslawiens Josip Bros, genannt Tito,
hoch. Sie forderten, mit den Verantwortlichen des Kantons zu sprechen, weil
sie seit 27 Monatren keinen Lohn mehr erhalten hatten.
Als niemand auf ihre Forderungen reagierte, versuchte die Delegation der
Protestierenden, das Gebäude mit Gewalt zu betreten. Als Polizisten sie
daran hinderten, kam es zu Rangeleien. Angesichts dieser Situation riefen
Aktivisten der Zivilgesellschaft junge Menschen zum Protest auf, über
Facebook mobilisiert kamen weitere Menschen hinzu, um gegen die „Diebe“ und
die „Korrupten“ zu demonstrieren.
## Übergriffe der Polizei
Aktivisten der Organisation „Udar“ (Schlag) und der Facebookseite „50.000
Leute auf die Straße für einen besseren Morgen“ unterstützten die Arbeiter.
Der mit dem Bild von Che Guevara auf Facebook agierende Aldin Sragojevic,
Sprecher von Udar, wurde festgenommen. Gerüchte machten die Runde, die
Polizei hätte ihm die Beine gebrochen, was die Mobilisierung verstärkte.
Doch auch tatsächliche Übergriffe durch die Polizei ließen die Situation
eskalieren. Immer mehr Menschen erklären jetzt in den Medien, in den
letzten Monaten Hunger gelitten zu haben. Im Fernsehen TVBiH wurde über
Fälle von Selbstmord vieler Menschen berichtet, die nicht mehr ihr Leben
finanzieren können.
7 Feb 2014
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Bosnien und Herzegowina
Protest
Demonstrationen
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