# taz.de -- Nachruf auf Holm Sundhaussen: Die Zwischentöne Sarajevos | |
> Der Historiker Sundhaussen war prägend für die Debatten um Nationalismus | |
> und Chancen in Exjugoslawien. Auch vor Provokantem scheute er nicht | |
> zurück. | |
Bild: Die Lateinerbrücke in Sarajevo: Dem Historiker Sundhausser gelang es, di… | |
Die Begegnungen mit Holm Sundhaussen waren nicht immer nett. Ein netter | |
Mensch wollte er – zumindest nach außen hin – auch gar nicht sein. Der | |
renommierte Historiker und Spezialist für Südosteuropäische Geschichte ist | |
am 21. Februar gestorben. Am 4. Märt wird er in Berlin beerdigt. | |
Sundhaussen war zurückhaltend und höflich, konnte aber sehr scharf | |
argumentieren, wenn ihm eine These oder Interpretation der geschichtlichen | |
Ereignisse nicht angemessen schien. | |
Das war schon während seiner Studienzeit in München so. Der 1942 in Berlin | |
geborene Sundhaussen studierte dort von 1966 bis 1972 Slawistik, Geschichte | |
und Germanistik und promovierte 1973 über den Einfluss Herders auf die | |
Nationenbildung. Um die damalige Studentenpolitik kümmerte Sundhaussen sich | |
zu der Zeit nicht allzu viel. | |
## Die Seele Sarajevos | |
Als er 1988 Professor an der Freien Universität wurde, änderte sich dies. | |
Er war vor allem während der Zuspitzung der Lage im ehemaligen Jugoslawien | |
und der kriegerischen Auseinandersetzungen dort ein von den Medien, der | |
Politik und den Kollegen viel beachteter Gesprächspartner. | |
Sein letztes Buch erschien 2014. Es ist ein berührendes Werk über die | |
bosnische Stadt Sarajevo, nicht nur, weil es für den Text eines Historikers | |
erstaunlich spannend und flüssig geschrieben ist. Sundhaussen hat die Seele | |
Sarajevos im Sinne des berühmten bosnischen Schriftstellers Dzevad | |
Karahasan verstanden. | |
Wie kann man die Geschichte einer Stadt schreiben, fragt er – Reiseführer | |
oder chronologische Darstellungen seien langweilig. „Reizvoller ist eine | |
gekreuzte Geschichte mit einem multiperspektivischen Ansatz, jenseits der | |
nationalen Narrative, die im Falle Sarajevos ohnehin keinen Sinn machen.“ | |
Herausgekommen ist ein Buch, das ein Gesamtbild malt; kein literarisches, | |
geschichtliches Gemälde, sondern bei allen Seitenwegen historisch | |
faktentreu. Dass Sundhaussen den Nationalismus nicht mag, die | |
multinationale Geschichte jedoch ebenfalls nicht idealisiert, dass er die | |
Zwischentöne seit der Gründung der Stadt bis heute aufspürt und zu | |
beschreiben in der Lage ist, hebt dieses Werk von allen anderen ab. | |
## Das Problem des Nationalismus | |
Sundhaussen hat in den wichtigsten Debatten in Bezug auf den Nationalismus, | |
den Krieg und die Chancen für einen Neuanfang im ehemaligen Jugoslawien | |
bleibende Impulse gesetzt. Der These, multinationale Gesellschaften wie die | |
der Habsburger, der Osmanen oder Jugoslawiens mussten scheitern, setzte er | |
bei einer Diskussion in Sarajevo die Frage nach dem „Wodurch“ entgegen. | |
Bosnien und Herzegowina sei gescheitert, weil serbische und kroatische | |
Nationalisten die Bestrebungen, eine multinationale Nation zu schaffen, | |
massiv torpediert hätten, war seine These. Für serbische Nationalisten | |
seien Bosnien und Herzegowina „serbische Länder“, eine These, die | |
Sundhaussen in jeder Hinsicht für absurd hielt, genau wie die kroatische | |
Position, die bosnischen Muslime seien eigentlich Kroaten. | |
Sein Buch über Serbien und die seine Geschichte hat in Serbien selbst 2009 | |
zu scharfen Auseinandersetzungen geführt. Sudhaussen wurde „antiserbische“ | |
Geschichtsschreibung vorgeworfen. Er konterte mit der Bemerkung, die | |
wissenschaftliche Beschäftigung mit der Vergangenheit spiele im | |
Selbstverständnis der serbischen Gesellschaft nur eine sehr geringe oder | |
keine Rolle. Die Auseinandersetzung mit historischen Mythen stecke in | |
Serbien noch in den Anfängen. | |
Dieser Satz ist wohl partiell auch für die kroatische | |
Geschichtsaufarbeitung gültig. Die Auseinandersetzung mit Sundhaussen steht | |
nach seinem Tod vor allem in den Gesellschaften des Balkan auch weiterhin | |
auf der Tagesordnung. | |
25 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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