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# taz.de -- Wahl in Bosnien und Herzegowina: Es weht ein Lüftchen auf dem Balk…
> Bei der Wahl am Sonntag dürften die Politiker bestraft werden, die ein
> korruptes Staatsgeflecht auf nationalistischer Grundlage pflegen.
Bild: Herbstzeit für Milorad Dodik? Der serbisch-bosnische Nationalistenführe…
SARAJEVO taz | Noch weiß in Sarajevo niemand genau, was es mit den 153
Russen auf sich hat, die vor wenigen Tagen kurz vor den Wahlen am Sonntag
in die serbische Teilrepublik von Bosnien und Herzegowina gekommen sind.
Offiziell ist es ein Kosakenchor. „Die Russen sind in kleinen Gruppen von 4
bis 16 oder 20 Leuten nach und nach eingereist“, sagt der Österreicher
Valentin Inzko, Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in
Bosnien und Herzegowina.
Inzko sitzt ganz allein und etwas verloren auf seinem Stuhl im Volkstheater
Sarajevos. Mehr möchte er zu den Russen nicht sagen. Dennoch ist klar, dass
bei den westlichen Geheimdiensten die Alarmglocken klingeln, waren doch im
Frühjahr russische Militärs und Geheimdienstleute mit ähnlichen Vorwänden
in die Ostukraine eingesickert, als Vorbote des Bürgerkrieges dort.
Russland hat in den letzten Jahren seine Position in der serbischen
Teilrepublik ausgebaut. Gasprom hält das größte Tankstellennetz im Land.
Der Regierungschef der Republika Srpksa, Milorad Dodik, hat von Moskau
einen 600-Millionen-Dollar-Kredit erhalten. Im Frühjahr, nach der Annexion
der Krim, kündigte Russland per Sondervotum im Internationalen Friedensrat
für Bosnien, in dem 53 Staaten und Organisationen den bosnischen
Friedensprozess überwachen, den bisherigen Konsens der Unverletzlichkeit
der Grenzen in Bosnien und Herzegowina auf. Seitdem droht Dodik mit der
Abtrennung der Republika Srpska.
Trotz aller Sorgen sieht sich Inzko ganz entspannt das Stück im
Volkstheater an. Er kommt nämlich selbst darin vor. Das Drama „Skupstina“
(Abgeordnetenhaus) soll die Absurdität des bosnischen Staatsaufbaus mit
seinen drei konstitutiven Nationen und den beiden „Entitäten“ – der
serbischen Teilrepublik Republika Srpska und der bosniakisch-kroatischen
Föderation – sowie die endlosen Debatten der Parteien aufs Korn nehmen.
Das Stück zeigt Livemitschnitte aus dem Parlament, es zeigt, wie
nationalistische Minderheiten alle wichtigen Gesetze wie jene zu den
Menschenrechten und dem Verbot extremistischer Gruppen blockieren. Es
zeigt, dass in diesem Parlament grundlegende Reformen für den Eintritt in
die EU nicht durchgesetzt werden können. Und dass der Hohe Repräsentant
demgegenüber wenig ausrichten kann.
## Zeichen für politische Veränderung
Inzko nickt in dem über dreieinhalb Stunden währenden Spektakel mehrmals
ein. Er kennt das alles. Der Schauspieler, der ihn spielt, hat auch keine
Lösung. Die Abgeordneten sind sich nur einig darin, ihre Diäten zu erhöhen
und die wilden Hunde töten zu lassen.
Doch das Theaterstück selbst ist ein Zeichen für politische Veränderung.
Überall in Bosnien und Herzegowina regt sich Unmut. Im Februar und März
sorgten Massenproteste gegen die korrupte Privatisierungspolitik dafür,
dass vier von zehn Kantonalpräsidenten zurücktreten mussten. Wie
diskreditiert die alten Parteien sind, zeigte sich dann im Mai, als nach
heftigen Regenfällen die Flüsse über die Ufer traten und ein Drittel des
Landes überschwemmten. Die betroffenen Menschen waren in den ersten Tagen
der Katastrophe sich selbst überlassen.
Sogar der so medienbewusste „starke“ Mann der Republika Srpska, Milorad
Dodik, schwieg zunächst. Dabei liegen viele der von der Flut betroffenen
Gebiete in seinem Herrschaftsbereich. Als Bürger aus der
bosnisch-kroatischen Föderation in den betroffenen Gebieten der Republika
Srpska helfen wollten, setzte Dodik den wegen seiner rastlosen Arbeit
beliebten Bürgermeister der zentralbosnischen Stadt Doboj ab: Die
„Volkssolidarität“ drohte die ethnisch-politischen Grenzen zu überspringe…
## Blühende Korruption
Erbost sind die meisten Menschen über die blühende Korruption. Die
serbische Ökonomin Svetlana Cenic aus Banja Luka rechnet vor, dass die
ehemals volkseigenen Betriebe der Republika Srpska zu einem Zehntel des
Wertes an Privatinvestoren abgegeben wurden. Viele Fabriken stehen seitdem
still. Die Arbeitslosigkeit liegt je nach Region zwischen 20 und 70
Prozent.
„Die Wahl ist sogar in der Republika Srpska offen“, sagt der
Philosophieprofessor Sulejman Bosto unter dem Nicken der Umstehenden in der
Pause des Theaterstücks in Sarajevo. Eine neue „Allianz für Veränderung“
unter dem populären Liberalen Mladen Ivanic habe erstmals die Chance, dem
Nationalisten Dodik und seiner Allianz Unabhängiger Sozialdemokraten die
Stirn zu bieten. „Es wird spannend werden“, fügt Bosto hinzu.
Auch bei Kroaten und Bosniaken drängen neue Parteien nach vorn. Die meisten
der 3.278.908 registrierten Wähler haben bei der Wahl keinen Favoriten,
alles scheint möglich, so der Konsens.
Nur Valentin Inzko sagt nichts mehr. Er ist vorzeitig nach Hause gegangen.
11 Oct 2014
## AUTOREN
Erich Rathfelder
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