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# taz.de -- Schriftsteller Karahasan ist gestorben: Tod einer „bosnischen See…
> Unser Autor lernte den preisgekrönten Schriftsteller Dževad Karahasan auf
> dessen Flucht kennen. Daher erinnert er sich gut an den nun Verstorbenen.
Bild: Brachte Tiefgang in jede Diskussion: der Schriftsteller Dževad Karahasan
Sarajevo taz | Am liebsten war er Vermittler zwischen den Welten. Zwischen
Bosnien und Herzegowina und dem westlichen Europa. Der 70-jährige
bosnisch-herzegowinische Schriftsteller Dževad Karahasan ist am Freitag in
Graz gestorben. Kaum ein anderer verkörperte die „bosnische Seele“ –
bosanska duša – so wie er. Das lernte ich schnell, als ich ihn 1993
kennenlernte.
Damals konnte er mithilfe von kroatischen Intellektuellen aus dem
belagerten Sarajevo nach Zagreb fliehen. Doch die Stimmung in Kroatien
gegenüber bosnischen Muslimen war keine gute. Auch Karahasans Frau Dragana,
eine bosnische Serbin, wurde angefeindet. Das Paar hatte berechtigterweise
Angst vor Übergriffen – doch ihre kroatischen Freunde unterstützten sie.
So kamen Dževad und Dragana auf die kroatische Mittelmeerinsel Čiovo in die
Wohnung, die ich als Kriegsreporter mit kroatischem Presseausweis gemietet
hatte. Die beiden waren dort sicher, aber Dževad Karahasan konnte seinen
Heimatort Duvno (Tomislavgrad) in Westherzegowina nicht besuchen.
Dort hatten im Mai 1993 kroatische Extremisten die Macht übernommen und
begannen, die von ihnen beherrschten Regionen „ethnisch zu säubern“. Darum
machte sich Dževad Karahasan Sorgen um Mutter und Schwester, die weiterhin
in Duvno lebten.
## Buchpreise für Dževad Karahasan
Karahasan selbst musste angesichts der zu allem bereiten Extremisten um
sein Leben fürchten. Und so kam es, dass ich einen Brief an seine Mutter
und Schwester nach Tomislavgrad überbringen sollte und ein Schreiben
zurück. Beide haben überlebt.
Und Karahasan machte seither einen Bogen um Kroatien. Er hatte anderswo
genug zu tun: in Essays für den Spiegel und die Zeit, mit vielen Interviews
im Radio und Fernsehen. So kämpfte er für die belagerten, für die
malträtierten und vergewaltigten Menschen in seinem Heimatland.
Dass er all die empathie- und verständnislosen Fragen der damaligen
Journalistengeneration geduldig und geradezu liebevoll beantwortete, sagt
viel über seinen Charakter aus. Wer einmal mit ihm in einem Café in der
Baščaršija sitzen durfte, konnte erleben, wie er die dort aufgeworfenen
Fragen mit großem Ernst und mit einer immer wieder überraschenden Tiefe
beantwortete und weitersponn.
## Fähigkeit, Schmerz anderer zu teilen
Er war stolz darauf, ein mit einer Serbien verheirateter muslimischer
Bosnier zu sein. Er beteiligte sich nur vermittelt an der komplexen
Diskussion über den europäischen, bosnischen Islam und konterte den
Islamismus mit seinen Büchern über die Sufis und andere Strömungen. Alles,
was er diskutierte, bekam Tiefe und eignete sich nur begrenzt für die
Tagespolitik. Vor allem seine Wärme und Fähigkeit, den tiefen Schmerz
anderer zu teilen, machte ihn zu einem besonderen Menschen.
Als Dževad Karahasan 1996 Stadtschreiber in Graz wurde, begann er, zwischen
Sarajevo und der steirischen Landeshauptstadt zu pendeln. Er unterrichtete
an der Universität Sarajevo und schrieb und schrieb.
Viele seiner Bücher wurden ins Deutsche übersetzt, darunter „Der östliche
Divan“ (1993), „Das Buch der Gärten“ (2002), „Berichte aus der dunklen
Welt“ (2007) und „Der Trost des Nachthimmels“ (2016). Karahasan erhielt
dafür zahlreiche Preise, wie 2004 den Leipziger Buchpreis und 2020 den
Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main.
21 May 2023
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Islam
Bosnienkrieg
Schriftsteller
Bosnien und Herzegowina
Kroatien
Bosnien-Herzegowina
Installation
Bosnienkrieg
Reform
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Geschichtsaufarbeitung
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