| # taz.de -- Künstlerin und Comedienne aus Bosnien: Süchtig nach Punchlines | |
| > Mit Stand-up-Comedy und Kunst verarbeitet Mila Panic persönliche | |
| > Erfahrungen und Migrationsgeschichten. Ein Besuch in ihrem Berliner | |
| > Atelier. | |
| Bild: „I was deboning chickens by the age of three“, Mila Panic bei der Aut… | |
| Beim Betreten des Studios ist das neue Kunstwerk von Mila Panic nicht zu | |
| übersehen: Eine Skulptur aus Gips. Man erahnt eine Art Reifen. Die | |
| Künstlerin trägt einen blauen Overall, die Ärmel aber sind an der Hüfte | |
| zugeknotet. Unter dem Overall schaut ein weißes Top hervor. | |
| Panic steht mitten in ihrem viel zu heißen Studio: „Ja das ist ein Problem | |
| hier, die Hitze im Sommer. Grässlich!“ Sie zeigt auf den Ventilator. „Und | |
| das Ding funktioniert jetzt auch nicht wirklich. Es zirkuliert nur die | |
| warme Luft im Zimmer.“ Sie grinst. „Ich muss in diesem Raum schnell sein, | |
| was meine Skulpturen betrifft. Bei der Wärme trocknen sie schnell. Es ist | |
| ein Wettkampf gegen die Zeit,“ erklärt sie lachend. | |
| Mila Panic studierte an der Bauhaus-Universität und machte ihren Master | |
| 2017 in Public Art and New Artistic Strategies. Schon während ihres | |
| Studiums fiel ihr eine Sache auf, und zwar die Liebe zu Gegenständen: „Ich | |
| hatte schon immer eine Faszination für Objekte.“ Für sie ist der | |
| Herstellungsprozess der Moment, der die Kunstwerke mit Leben erfüllt. | |
| Sie gießt sich noch eine Tasse Wasser ein. Trinkt aus dem Becher, als wäre | |
| es ein Heißgetränk und erklärt: „Für mich ist der beste Teil meiner Arbei… | |
| der Prozess der Herstellung. Sobald es fertig ist, fühlt sich auch die | |
| Geschichte dahinter fertig an. Bis ich wieder anfange darüber zu reden.“ | |
| ## Alle sitzen im selben Bus | |
| Panic zeigt auf die Skulptur, die mitten im Zimmer steht: „Diese Skulptur, | |
| an der ich gerade arbeite, ist für eine Ausstellung im Oktober“, erklärt | |
| sie. Auf dem Couchtisch steht eine Schale mit Kirschen. Sie steckt sich | |
| eine in den Mund. Behält sie auf der rechten Seite ihrer Wange. Dann kaut | |
| sie und redet weiter: „Sie stellt einen Busreifen dar.“ Spuckt den | |
| Kirschkern aus und visualisiert mit ihren Armen den Durchmesser. | |
| „Der Reifen symbolisiert eine Gesellschaft und ihre Reise nach | |
| Deutschland“, fängt sie an zu erzählen. „Früher sind wir mit dem Reisebus | |
| von [1][Bosnien] nach Frankfurt gefahren, um eben in Deutschland zu | |
| arbeiten. Ich bin auch nach Frankfurt gereist mit einem dieser Busse, um | |
| den Sommer mit Arbeiten zu verbringen.“ | |
| Panic erinnert sich, inzwischen ist sie aufgestanden, schnürt die Ärmel | |
| ihres Overalls an der Hüfte fest. „Auf diesen Busreisen zwischen Bosnien | |
| und Deutschland ist einiges passiert. Viel Emotionales, wie Angst, Panik, | |
| Trauer und das Schmuggeln von banalen Gütern.“ Es ist kurz still, sie guckt | |
| auf ihre Skulptur. Der rechte Mundwinkel schiebt sich nach oben zu einem | |
| schiefen Grinsen. | |
| „Oh Mann, war das anstrengend und stressig! Und die Fahrten mochte ich | |
| damals gar nicht. Aber jetzt, wo ich so drüber nachdenke, war es wirklich | |
| schön. Nostalgie!“ Sie redet von dem Zusammenhalt der Leute im Reisebus. | |
| Die Reisenden waren nämlich nicht nur Arbeiter und Arbeiterinnen, sondern | |
| auch Akademiker*innen, Schriftsteller*innen, reiche Leute waren unter | |
| ihnen. „Wir saßen alle im selben Bus. Nach Deutschland. Und in dieser | |
| Zeitkapsel zwischen Bosnien und Deutschland lernten wir uns alle besser | |
| kennen; wir waren genervt voneinander, wurden Freunde, Feinde und sogar | |
| Geliebte!“ | |
| ## Aufenthaltsgenehmigung jederzeit widerrufbar | |
| An den Wänden von Panics Studio sind einige ihrer Zeichnungen zu sehen. | |
| Alle eingerahmt. Unter anderem auch ein Brief von der [2][Ausländerbehörde | |
| in Berlin]. Auf den ersten Blick scheint es so, als wäre es eine | |
| Bestätigung für eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. | |
| „Nein, nein, leider ist das keine Bestätigung, sondern eher eine Ermahnung | |
| von der Ausländerbehörde“, Panic sitzt wieder auf der Couch, hinter ihr | |
| befindet sich der eingerahmte Brief. | |
| Ihr Kopf ist an die Wand gerichtet, schaut den Brief an und sagt: „Das ist | |
| eigentlich eine wirklich seltsame, aber auch irgendwie lustige Geschichte | |
| im Nachhinein. Es war für mich dennoch ein traumatisches Erlebnis.“ [3][Auf | |
| einer Dating-Plattform] trifft Mila Panic auf einen Mann. Ein Deutscher. | |
| Sie treffen sich für einige Monate, reden viel über persönliche Erlebnisse. | |
| Über Panic und ihre Arbeit in Berlin und ihre Herkunft. Sie erzählt ihm | |
| auch von ihrem wichtigen Termin bei der Ausländerbehörde. Nach einiger Zeit | |
| jedoch bricht Panic den Kontakt zu dem Mann ab. | |
| Sie geht zu ihrem Termin bei der Behörde und ihr wird vorgeworfen, dass | |
| ihre Dokumente allesamt nicht genehmigt werden könnten. Sie seien nämlich | |
| gefälscht. Panic erzählt weiter, sie ist sehr ruhig dabei, wirkt traurig: | |
| „Es hat sich herausgestellt, der Typ hat der Behörde eine anonyme Mail | |
| geschrieben, dass ich illegal in Deutschland sei und dass alle meine | |
| Papiere nicht original wären. Stell dir das mal vor?“ | |
| Sie bekommt einen Brief mit dem Aktenzeichen: 3031 Js 10296/18. In dem | |
| steht Folgendes: „Ihrem Antrag auf Aufenthalt in Deutschland wird | |
| stattgegeben, die Entscheidung jedoch kann jederzeit widerrufen werden, wie | |
| es das deutsche Recht vorsieht, da zuvor Zweifel an der Gültigkeit der | |
| Dokumente bestanden.“ | |
| ## Mit Kunst und Comedy gegen die Ungerechtigkeit | |
| Was tat Mila Panic? Erst weinte sie, sie fühlte sich hintergangen. Es war | |
| unfair, so behandelt zu werden. Und dann verarbeitet sie es in ihrer Kunst. | |
| Mila Panic zuckt mit den Schultern und ihr leicht verschmitztes Grinsen | |
| erscheint wieder in ihrem Gesicht: „Ich war sehr enttäuscht über | |
| Deutschland. Die Behörden schenkten einer anonymen E-Mail mehr Vertrauen, | |
| als mir, die zu dem Zeitpunkt seit fünf Jahren in Deutschland lebte. Ich | |
| fühlte mich, als wäre ich in einer toxischen Beziehung mit dem Land, in dem | |
| ich lebe, und so dachte ich, auch wenn in Deutschland alles schief laufen | |
| sollte, kann ich immer noch zurück nach Bosnien.“ | |
| Solche Erlebnisse verarbeitet Panic nicht nur in ihren künstlerischen | |
| Installationen, die sie im Sommer etwa bei der [4][Autostrada-Biennale im | |
| Kosovo] gezeigt hat, sondern auch in ihren Comedy-Shows: „Ich benutze | |
| Humor, um befreiende Augenblicke zu schaffen oder um über das Patriarchat, | |
| Verdrängung oder verzweifelte Situationen zu lachen. Aus meiner Sicht | |
| kommen Stand-up-Comedy, bildende Kunst und Schreiben vom selben Ort – aus | |
| einem Spektrum von Irritation, Wut und Wahnsinn. Diese Elemente wurden für | |
| mich zur Grundlage, um die Sichtweise der Besucher auf bestimmte Themen | |
| umzugestalten. Wenn sie lachen, ist das der Beweis dafür, dass ich nicht | |
| verrückt bin, oder verrückt geworden bin“, erklärt Panic. Während Corona | |
| entschied sie sich [5][einen Kurs in Stand-up-Comedy] zu belegen. Und: „Ich | |
| wurde direkt süchtig nach Punchlines.“ | |
| Während sie diesen Satz sagt, lacht sie laut. Nimmt sich noch eine Kirsche | |
| in die Hand, schlägt ihre Beine übereinander: „Meiner Meinung nach ist | |
| diese Art von Kunst der Musik näher als der bildenden Kunst, was die | |
| Unmittelbarkeit der Körperreaktion angeht. Dennoch ist Stand-up-Comedy für | |
| mich nur ein weiteres Medium der zeitgenössischen Kunst – das | |
| wahrhaftigste. | |
| ## Normen und Machtstrukturen hinterfragen | |
| Egal ob mit einem Witz oder einer Installation – das Ziel ist dasselbe: Das | |
| Publikum dazu zu bringen, gesellschaftliche Normen zu überdenken und | |
| Machtstrukturen zu hinterfragen. In meinem Fall scheinen Witze eine | |
| bevorzugte Sprache zu sein. Witze haben einfach mein ganzes Leben | |
| ‚infiziert‘.“ | |
| Ja, Panic lacht viel, auch über die tragischen Geschichten in ihrem Leben. | |
| Nun steht sie wieder auf, geht zum Kühlschrank. Die Wasserflasche ist | |
| nämlich leer und es ist immer noch sehr heiß in ihrem Studio. Die Skulptur | |
| ist inzwischen hart. An der muss sie wahrscheinlich am nächsten Tag erneut | |
| arbeiten. Auf dem Schrottplatz war sie leider auch noch nicht erfolgreich. | |
| Es fehlt noch eine Felge für den Reifen. | |
| Die Skulptur muss bis zur Eröffnung am 6. Oktober fertig sein. Panic hat | |
| während dieser Ausstellung [6][im Hamburger Künstlerhaus Sootbörn] | |
| eventuell einen Stand-up-Auftritt: „Mir gefällt die Idee, in diesen Räumen | |
| laut zu sein und andere Menschen zum Lachen zu bringen. Das Publikum in | |
| Galerien und Institutionen ist viel härter und eingeschränkter als in einem | |
| Comedy-Club. Ich habe das Gefühl, sie und ihre Erwartungen zu kennen, da | |
| ich selbst jahrelang zu ihnen gehört habe. Ich genieße es, sie zu lockern | |
| und über Themen zu lachen, die mit Sex und Politik kokettieren.“ | |
| 25 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Derya Türkmen | |
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