Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Kosovo und die EU: Unser Star für Prishtina
> Die wahren Herren des Kosovo sind die Missionen von EU und UN. Der Pass
> des Landes ist wertlos. Es ist Zeit für eine europäische Perspektive.
Bild: Kosovarische Flaggeneuphorie anlässlich eines Fußballspiels gegen Haiti.
Sie wollten, dass ich nach Deutschland komme, als eine vorbildliche
Journalistin aus einem Dritte-Welt-Land. Ihr perfektes kleines Opfer. Aber
de facto bin ich wertlos für sie. Wegen meiner Unzulänglichkeiten, meinen
Reiseproblemen, den Problemen in meinem Herkunftsland. Sie wollen ein
Opfer. Aber ein möglichst unabhängiges. Von den Problemen des Opfers wollen
sie nicht allzu viel wissen. Sie, das sind die EU-Europäer.
Kosovo ist seit 2008 ein unabhängiger Staat. Aber die Staatsbürgerschaft
hat uns nicht mehr, sondern weniger Eigenständigkeit gebracht. Für einen
Bürger des Kosovo fühlt sich jede Reise ins Ausland wie eine bedingte
Haftentlassung an.
An die Klaustrophobie in dem Land, das gerade mal ein Siebtel der Größe
Bayerns und 2 Millionen Einwohner hat, kann man sich zwar irgendwie
gewöhnen. Aber auszuhalten ist sie nur, wenn man auch raus kann. Das aber
geht nicht. Außer nach Mazedonien, Montenegro, Albanien und Serbien.
Es gibt nicht viele Pässe, die weniger wert sind als ein kosovarischer
Ausweis. Auf dem Visa-Beschränkungs-Index von Henley & Partners liegt
Kosovo hinter Nordkorea und Südsudan.
Man würde erwarten, dass sich im Kosovo Frustration und Wut gegen die EU
breitmacht. Aber weit gefehlt. Während in der EU gerade die Rechten mit
ihrer Anti-EU-Politik für Aufregung sorgen, ist die Haltung zur EU im
Kosovo ungebrochen positiv. In den letzten Umfragen des Gallup Balkan
Monitor befürworten immer noch 87 Prozent der Kosovaren einen EU-Beitritt.
Vor jedem Regierungsgebäude hängen EU-Fahne und Kosovo-Fahne nebeneinander.
Die kosovarische Flagge unterscheidet sich kaum von der EU-Flagge. Die
kosovarische Hymne heißt „Europa“ – wenn auch ohne Text –, neben Serbi…
und Albanisch ist Englisch die Amtssprache, der Euro ist die Währung. 23
der 28 EU-Staaten haben die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt.
## Die wahren Herren
In der Realität ist der jüngste Staat Europas aber nur dem Namen nach
unabhängig. Die eigentlichen Herrscher des Landes heißen Unmik, KFOR, Eulex
und ICO. Offiziell gibt es eine unabhängige Justiz und eine unabhängige
Politik. Doch sobald die supranationalen EU-Missionen ein Gesetz, ein
politisches Vorgehen, eine Sicherheitslage interessant, falsch oder brisant
finden, greifen sie ein, reden sie mit, bestimmen sie die Linie. Und die
kosovarischen Institutionen halten sich dran.
Spazieren sie auf der wichtigsten Einkaufs- und Flaniermeile „Mutter
Teresa“, spazieren neben Ihnen weniger Kosovaren als Menschen aus aller
Welt, die hier auf Mission sind. Zehntausende Ausländer leben seit der
Unabhängigkeit in Kosovo. Sie haben die schönsten Häuser, die beste
Schokolade, sie haben ihre eigenen Karaoke-Bars und ihre eigenen
Facebook-Gruppen. Und sie verstehen uns nicht.
Ein Beispiel: Letztes Jahr hatte die EU zum Europatag am 9. Mai im Zentrum
Prishtinas eine „Europa-Straße“ organisiert. Unter einem großen Torbogen
konnte man in die EU eintreten. Auf der „Europa-Straße“ wurden Bars
eingerichtet, die jeweils ein EU-Land repräsentierten. Ein Affront! So eine
Europa-Straße würde sich in Passau oder Pirmasens sicher gut als Werbung
für die EU eignen. Aber in Prishtina? Die Kosovaren können in keines der
EU-Länder reisen und sollen sich mit einer „Bar Deutschland“ begnügen?
## Kosovo*
Sie wollen einen unabhängigen und multikulturellen Staat. Aber wenn etwas
nicht so funktioniert, wie sie es sich vorstellen, dann reden sie davon,
dass die Kosovaren noch nicht demokratiereif sind, dass die Kosovaren noch
viel lernen müssen und dass es so, wie sich das die Kosovaren vorstellen,
auf gar keinen Fall geht.
Sie, das sind die EU-Institutionen. Seit diese 2012 Beitrittsverhandlungen
mit Serbien aufgenommen haben, ist außerdem unklar, wie sie die
Unabhängigkeit des Kosovo wirklich sehen: Kosovo darf auf EU-Konferenzen
auftreten, aber nicht mehr als Republik, sondern nur als Kosovo*. In jedem
EU-Dokument, in dem das Wort Kosovo vorkommt, muss ein Sternchen auf die
Fußnote verweisen, in der steht, dass der Konflikt um den Status des Kosovo
ungeklärt ist.
Der Kosovo ist die größte zivile Mission in der Geschichte der EU. Und es
bleibt das größte europäische Projekt. Wenn das Kosovo seinen Bürgern keine
Perspektive geben kann, wird sich die Europa-Begeisterung in Zorn
verwandeln.
Noch grüßt Bill Clinton am Eingang Prishtinas von einem Sockel. Aber eines
Tages könnte er vom Sockel gestoßen werden. Ob dann ein EU-Politiker diesen
Platz einnehmen wird, ist offen.
21 May 2014
## AUTOREN
Una Hajdari
## TAGS
Kosovo
Serbien
EU
Fußball
Kosovo
Kosovo
Hashim Thaci
Kosovo
Hashim Thaci
Grüne
Belgrad
Serbien
## ARTIKEL ZUM THEMA
EM-Quali-Spiel Serbien gegen Albanien: Fahne des Anstoßes
Eine Drohne mit der Flagge Großalbaniens fliegt über den Platz, eine
Prügelei beginnt, das Spiel wird abgebrochen. Serbien fühlt sich
provoziert.
Gewalt im Kosovo: Wieder Unruhen in Mitrovica
Serben im Norden der geteilten Stadt sperren erneut die Brücke über den
Fluß Ibar. Die Proteste von Albanern enden in Straßenschlachten.
Serbische Minderheit im Kosovo: Blumen statt Beton
Erst bauen sie eine Barriere ab, dann schaffen sie eine neue. Die ist
allerdings grün. Die Serben im Nordkosovo geben nicht auf.
Machtkampf im Kosovo: Opposition bootet Hashim Thaci aus
Der bisherige Premier hat zwar die Wahl gewonnen, aber keine Mehrheit im
Parlament. Neuer Regierungschef könnte ein Ex-UCK-Kommandant werden.
Neue Regierung im Kosovo: Wahlsieger muss in die Opposition
Die politischen Feinde des bisherigen Kosovo-Regierungschefs Thaci haben
sich zusammengetan und bilden die neue Regierung. Ein politisches Erdbeben.
Parlamentswahl im Kosovo: Ruhige Atmosphäre als größter Erfolg
Im jüngsten Staat Europas hat eine ganz normale Wahl stattgefunden. Die
Partei des Ministerpräsidenten Hashim Thaçi gewinnt erneut.
Europawahlkampf der Grünen: Joschka und die Zwerge 
Der frühere Außenminister Fischer diskutiert in Berlin über die Ukraine und
Putin. Dabei ist er ganz der Alte und bügelt Kritik mit leichter Hand ab.
Unterwegs in der serbischen Hauptstadt: Schlaflos in Belgrad
Flanieren im Zentrum, Techno, gemeinsames Singen im Park Vojvode Vuka, viel
Bier - Impressionen aus der serbischen Hauptstadt.
EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien: Fundamentals first
Die EU und Serbien haben offiziell Gespräche über den Beitritt begonnen.
Serbien muss Europas Grundwerte übernehmen – und sein Kosovo-Problem lösen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.