| # taz.de -- Wohnungsnot in Berlin: Vermieten und verleiden | |
| > In überhitzten Wohnungsmärkten versuchen Vermieter oft, ihre Mieter mit | |
| > Schikane loszuwerden. Was das bedeutet, zeigt ein Fall aus | |
| > Berlin-Friedrichshain. | |
| Bild: Für viele Mieter wird es eng auf dem Wohnungsmarkt: Blick auf Berlin-Fri… | |
| Berlin taz | Die Bodenfliesen im Bad sind herausgerissen, die Badewanne | |
| liegt gekippt auf dem rauen Beton – und das seit fast vier Monaten. So | |
| lange schon können Simone Wirz, die eigentlich anders heißt und hier anonym | |
| bleiben möchte, und ihre zwei erwachsenen Söhne in ihrer eigenen Wohnung | |
| weder duschen noch baden. Wer auf die Toilette muss, friert, denn auch die | |
| Heizung wurde abgebaut. Der Grund: schwarzer Schimmel und Wasserschäden in | |
| den Wohnungen darüber und darunter. | |
| Die kleine Familie wohnt in Friedrichshain-Kreuzberg, nicht weit vom | |
| Ostkreuz entfernt. Hier schreitet die Gentrifizierung ungebremst voran, bei | |
| Neuvermietungen verlangen Vermieter:innen laut dem Berliner | |
| Mieterverein oft kräftige Zuschläge. Die [1][Mietpreise steigen und | |
| steigen], der Abstand zur ortsüblichen Vergleichsmiete wird immer größer. | |
| Langjährige Mieter:innen loszuwerden, kann also ein lukratives Geschäft | |
| sein. | |
| Was dies für Anwohner:innen bedeutet, die schon länger in der gleichen | |
| Wohnung leben, weiß Wirz nur zu gut. Ihre Miete wurde kürzlich um knapp | |
| hundert Euro erhöht. Mehr noch leidet sie aber unter der Schikane der | |
| Verwaltung Schön & Sever, die laut eigenen Angaben 6.000 Wohnungen | |
| bundesweit betreut. | |
| ## Große psychische Belastung | |
| „Ich musste hart kämpfen, damit die Verwaltung überhaupt etwas gegen den | |
| Schimmel unternimmt“, sagt die 51-Jährige, die hier schon über zwölf Jahre | |
| wohnt und Bürgergeld bezieht. Sie habe etliche Briefe geschrieben, die | |
| meist unbeantwortet blieben. Erst als Wirz weniger Miete bezahlte, um Druck | |
| zu machen, kam Bewegung in die Sache: Die Verwaltung schickte | |
| Handwerker:innen zur Begutachtung vorbei. Doch nicht nur eine Person. | |
| Laut Wirz machten mehrere Handwerker:innen, sie schätzt insgesamt zehn, | |
| Termine bei ihr aus und inspizierten über Wochen hinweg ihr Badezimmer. | |
| Parallel forderte Schön & Sever, die sich auf ihrer Website als „Verwaltung | |
| mit Herz“ bezeichnet, die Mietminderung zurück und drohte mit rechtlichen | |
| Schritten – das entsprechende Schreiben liegt der taz vor. | |
| Aus Angst, ihre Wohnung zu verlieren, zahlte Wirz, die an Depressionen | |
| leidet. „Der psychische Druck ist mir zu groß geworden“, sagt sie. Danach | |
| war erneut Warten angesagt. Der Vermieter müsse die Kostenvoranschläge | |
| prüfen und dafür würde sich dieser Zeit nehmen, begründete die Verwaltung | |
| gegenüber Wirz. Um wen es sich dabei genau handelt, ist nicht bekannt. | |
| Auf dem Mietvertrag ist als Eigentümerin lediglich die GmbH „Projekt Ahorn“ | |
| angegeben. Recherchen der taz zeigen, dass diese GmbH Teil eines | |
| undurchsichtigen Firmengeflechts ist, das mit der „Blue Rock Group“ mit | |
| Hauptsitz in der Schweiz verwandt ist. Dieser Konzern investiert laut | |
| Webseite gezielt in den Immobilienmarkt Berlins und betreibt | |
| Niederlassungen in Zürich, Berlin, Gibraltar, Luxemburg und Manchester. | |
| ## Verwaltung antwortet nicht mehr | |
| Die Sanierungsarbeiten im Badezimmer von Simone Wirz begannen schließlich | |
| Ende vergangenen Jahres. Die Handwerker:innen nahmen die Heizung ab, | |
| rissen Fliesen und Badewanne heraus und stellten wochenlang | |
| Trocknungsgeräte auf. Eine alternative Duschmöglichkeit wurde der Familie | |
| nicht gestellt. Im Februar wurden die Geräte wieder entfernt, doch die | |
| Baustelle blieb. Zum weiteren Vorgehen machte die Verwaltung keine Angaben. | |
| Auf Fragen reagierte sie nicht, und wenn doch, dann nur mit Vertröstungen. | |
| Dieses Vorgehen ist der Geschäftsführerin vom Berliner Mieterverein, Dr. | |
| Ulrike Hamann-Onnertz, bekannt: „Es ist naheliegend, dass hinter diesem | |
| Verhalten die Absicht steht, die Mietenden loszuwerden.“ Aufgrund der hohen | |
| Nachfrage, besonders in Friedrichshain-Kreuzberg, sei der Anreiz, eine | |
| Wohnung neu zu vermieten, extrem groß geworden. Diese Vermutung stützt | |
| auch, dass andere Hausbewohner:innen ebenfalls über gestiegene | |
| Nebenkosten, Mängel in den Wohnungen und unbeantwortete Anfragen an die | |
| Verwaltung klagen. „Jeder hier hat Angst, seine Wohnung zu verlieren“, sagt | |
| Wirz. | |
| Die taz konfrontierte Schön & Sever mit den Vorwürfen. Am Telefon | |
| wiederholte die zuständige Sachbearbeiterin den Satz: „Mir liegen keine | |
| Informationen vor“ und bat darum, sich per Mail zu melden. Doch auch auf | |
| schriftlich gestellte Fragen folgten keine Antworten. Die Hausverwaltung | |
| ist der privaten Mieterberatung Asum bekannt. Laut Julian Wickert, | |
| Teamleiter bei Asum, verwaltet Schön & Sever unter anderem Objekte des | |
| umstrittenen Bauunternehmers Ioannis Moraitis, der bereits mit halbfertigen | |
| Bauprojekten und aggressiven Geschäftspraktiken Schlagzeilen machte. | |
| Zur [2][Praxis der Entmietung] sagt Wickert, dass es solche Fälle zwar | |
| schon seit vielen Jahren gebe, doch seien die Auswirkungen auf | |
| Mieter:innen heute deutlich gravierender, besonders in Städten mit | |
| angespannten Wohnungsmärkten. „Weil bezahlbarer Wohnraum fehlt, ist ein | |
| Wohnungsverlust heute viel einschneidender“, so Wickert. Deshalb seien | |
| viele Mieter:innen heute auch eher bereit, Schikane zu ertragen. | |
| So auch Wirz: Sie erzählt, dass sie bereits seit rund drei Jahren an | |
| Mängeln in der Wohnung leidet, im Winter unter Eisblumen aufgrund von alten | |
| Fenstern, die mittlerweile ersetzt wurden, und im Sommer an Schimmel. Vor | |
| drei Jahren, das war 2022, wurde das Haus verkauft, Schön & Sever übernahm | |
| die Verwaltung. Inzwischen wehrt sich Wirz mit Hilfe eines Anwalts. Dieser | |
| hat bereits vor rund zwei Monaten ein Schreiben aufgesetzt, in dem er | |
| unverzüglich Zugang zu sanitären Anlagen fordert. Weil darauf sowie auf ein | |
| zweites Schreiben im April in der gesetzten Frist keine Antwort kam, | |
| beantragte der Anwalt beim zuständigen Amtsgericht den Erlass einer | |
| einstweiligen Verfügung auf „sofortige Wiederherstellung der Bade- und | |
| Duschmöglichkeiten“. | |
| ## „Koalitionsvertrag ist Zeugnis der Willenlosigkeit“ | |
| Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) sieht in | |
| diesem Fall auch ein politisches Versagen. Auf Landesebene fehle ein | |
| Wohnungswirtschaftsgesetz, um Aktivitäten von Vermieter:innen | |
| systematisch zu erfassen und Verstöße effektiver ahnden zu können. Zudem | |
| fordert Schmidt, dass das Vorkaufsrecht des Landes konsequenter genutzt | |
| wird, doch es mangele am politischen Willen. | |
| Auch der Bund müsse handeln: „Der [3][Koalitionsvertrag] ist leider ein | |
| Zeugnis der Willenlosigkeit von SPD und Union“, sagt Schmidt. So werde etwa | |
| die Kappungsgrenze nicht gesenkt, die begrenzt, wie stark Vermieter die | |
| Miete innerhalb eines bestimmten Zeitraums erhöhen dürfen. Schmidts Fazit: | |
| „Gerade in Großstädten werden die [4][Mieten weiter stark steigen].“ | |
| Ähnlich sieht Caren Lay, Bundestagsabgeordnete der Linken und | |
| wohnungspolitische Sprecherin der Partei, im neuen Koalitionsvertrag | |
| lediglich „Leerstellen und Luftblasen“, wenn es um wirksame Maßnahmen gegen | |
| Entmietung geht. Sie fordert, das gesetzliche Instrument der Mietminderung | |
| als Druckmittel auszuweiten – derzeit kann ein zu hoher Mietrückstand noch | |
| immer zur Kündigung führen. Außerdem spricht sich Lay dafür aus, den | |
| Kündigungsschutz bundesweit zu stärken und die kommunalen | |
| Wohnungsaufsichten rechtlich, personell und finanziell besser auszustatten. | |
| Zumindest politisch ist für Simone Wirz mittelfristig also keine Besserung | |
| in Sicht. Wie die Verwaltung auf die Klage des Anwalts reagiert, wird sich | |
| zeigen. Bis dahin wird sie weiterhin auf eine Dusche in den eigenen vier | |
| Wänden verzichten müssen. Selbst die Bitte, das Bad einer leerstehenden | |
| Wohnung im Haus benutzen zu dürfen, lehnte die Verwaltung ohne Begründung | |
| ab. Immerhin kann sie auf den Rückhalt in der Nachbarschaft zählen. In den | |
| vergangenen drei Monaten durften sie und ihre Söhne bei anderen | |
| Hausbewohner:innen duschen. | |
| 24 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kai Vogt | |
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