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# taz.de -- Grünenpolitiker über Zukunft des Bauens: „Wir müssen mehr im B…
> Grünen-Politiker Kassem Taher Saleh sagt, dass Union und SPD die Probleme
> auf dem Wohnungsmarkt unterschätzten. Es reiche nicht, nur neu zu bauen.
Bild: Sanieren statt immer nur neu bauen ist auch eine Option – und dazu klim…
taz: Herr Taher Saleh, Schwarz-Rot hat sich auf einen Koalitionsvertrag
geeinigt. Wie zuversichtlich sind Sie als Baupolitiker und Bauingenieur,
dass die künftige Regierung die Wohnungsnot in den Griff bekommt?
[1][Kassem Taher Saleh]: Eigentlich habe ich gehofft, dass mittlerweile
auch Union und SPD begriffen hätten, wie dringend das Wohnungsproblem ist.
Doch die langen Diskussionen über eine Abschaffung des Bauministeriums und
das zähe Ringen um eine Verlängerung der Mietpreisbremse lassen mich
befürchten, dass die Prioritäten der Bundesregierung an anderen Stellen
liegen. Wir brauchen dringend bezahlbaren Wohnraum, der das Klima nicht
weiter aufheizt. Das heißt ganz konkret: [2][Bestand erhalten], sanieren
und auf diese Weise mehr leistbaren Wohnraum schaffen.
taz: Sehen Sie das im Koalitionsvertrag?
Taher Saleh: Der Gebäudesektor verursacht 34 Prozent der globalen
CO₂-Emissionen und verbraucht 32 Prozent der globalen Energie. Zur
Wärmewende, also dazu, wie wir CO₂ im Gebäudebereich reduzieren und unsere
Gebäude effizienter und damit das Heizen günstiger machen, kann man im
Koalitionsvertrag nur lesen: So lange aufschieben wie möglich.
taz: Das Verbändebündnis Wohnungsbau bezeichnet die Wohnungsnot als
sozialen Sprengstoff Nummer eins. Ist das zu alarmistisch?
Taher Saleh: Wenn wir nichts tun, wird die Wohnungsfrage zum sozialen
Sprengstoff. Viele Menschen können sich die Miete nicht mehr leisten oder
finden gar keine Wohnung. [3][Eine Studie der Universität Mannheim] zeigt,
dass steigende Mietpreise in städtischen Gebieten dazu führen, dass
einkommensschwache Mieter zur AfD tendieren. Es geht also – neben dem Klima
– auch um Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
taz: In den ersten 100 Tagen möchte Schwarz-Rot einen Gesetzentwurf für
einen Bauturbo vorlegen. Aber wie schafft man es, dass am Ende wirklich
bezahlbares Wohnen entsteht?
Taher Saleh: Das gelingt nur, wenn soziale Kriterien im Gesetz verbindlich
verankert werden. Schon die letzte Baugesetz-Novelle hat gezeigt:
Schnelligkeit allein reicht nicht. Ohne klare Vorgaben drohen steigende
Bodenpreise und die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte. Deshalb
braucht es verbindliche Quoten für bezahlbaren Wohnraum und
Mietpreisbindungen – sonst wird aus dem „Turbo“ nur weiterer Druck auf den
Wohnungsmarkt.
taz: Für die Klimaziele ist der Gebäudesektor zentral. Gleichzeitig wird
Klimaschutz oft als Kostenfaktor diskutiert. Auch Schwarz-Rot möchte beim
Neubau wieder den niedrigeren Effizienzstandard EH55 fördern – das
Gegenteil von dem, was die Grünen wollten.
Taher Saleh: Wir müssen [4][die Wärmewende] endlich ohne weitere
Verzögerung angehen – mit klaren Zielvorgaben und ambitionierten
CO₂-Grenzwerten. Es darf kein Entweder-oder geben. Wir müssen sowohl
Emissionen senken als auch unsere Gebäude effizienter machen. Dafür braucht
es eine Lebenszyklusperspektive, die nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern
auch planungssicher ist. Diese muss entsprechend der europäischen
Gesetzgebung zeitnah gesetzlich verankert werden, um Investitionen
verlässlich zu steuern und Klimaziele realistisch zu erreichen.
taz: Wenn wir die Klimakrise ernst nehmen, müssten wir dann nicht möglichst
wenig bauen?
Taher Saleh: Sozialpolitik und Klimapolitik dürfen nicht gegeneinander
ausgespielt werden, auch wenn Populisten das gerne tun. Wir brauchen
Wohnungen, die man sich leisten kann. Einen Großteil des Problems können
wir lösen, indem wir Gebäude aufstocken, umbauen und sanieren und dazu
sicherstellen, dass nicht nur Luxuswohnungen im Dachgeschoss entstehen.
taz: Es gibt seit der Pandemie viele ungenutzte Büroflächen, die man zu
Wohnraum umfunktionieren könnte. Aber es heißt, das sei sehr kompliziert.
Taher Saleh: Wir müssen unsere Baukultur verändern. Ich habe
Bauingenieurwesen studiert: Es ging immer nur um Beton und Neubauen,
anstatt um Bauen im Bestand. Aber Ingenieure und Handwerker können das!
Wenn wir das Wissen [5][über Bauen im Bestand] endlich nutzen und in der
Praxis anwenden, wird Umbau auch billiger. Beim Bauen geht es schließlich
immer auch um Geld.
taz: Schwarz-Rot möchte, dass auch der Planungs- und Bauprozess schneller
wird, damit es billiger wird. Wo hakt es?
Taher Saleh: Zur Ehrlichkeit gehört: Die Produktivität im Bausektor
stagniert seit Jahren. Ich habe als Bauleiter gearbeitet und weiß, wie
frustrierend das sein kann. Die Verwaltung muss digitaler und effizienter
werden, damit es nicht Monate dauert, bis eine Baugenehmigung vorliegt.
Gleichzeitig darf die Entbürokratisierung nicht zum Selbstzweck werden. Es
hilft nicht, wenn wir schnell bauen, aber dann keine leistbaren und
klimaeffizienten Gebäude entstehen und wir in wenigen Jahren wieder alles
abreißen müssen.
taz: Viele klagen über zu viele Bauvorschriften. Stimmen Sie zu?
Taher Saleh: Ja, es gibt auf jeden Fall zu viele Normen und Regulierungen.
Ein Vorschlag der Ampel für mehr Einfachheit im Bauen war ja der
[6][sogenannte „Gebäudetyp E“]. Geplant war, auf Komfortstandards zu
verzichten, die nicht zwingend erforderlich sind. Das heißt konkret: Wie
viele Steckdosen in einem Raum sind oder ob eine Geschossdecke 35 oder 30
Zentimeter dick sein muss. Die Kernziele der Bauordnung wie
Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz
sind natürlich weiter zu erfüllen, aber Normen, die über dies hinausgehen,
können in Absprache mit dem Auftraggeber vernachlässigt werden. Das macht
vieles pragmatischer.
taz: Den Gebäudetyp E möchte Schwarz-Rot immerhin auch.
Taher Saleh: Das unterstützen wir. Wichtig ist, dass am Ende ein neues
Gesetz angewendet wird, mit dem einfacher, aber trotzdem in guter Qualität
gebaut wird.
10 Apr 2025
## LINKS
[1] /Gruene-Politik-im-Alltag/!5893462
[2] /Architekturexpertin-ueber-Wohnungsbau/!6009296
[3] https://www.spiegel.de/wirtschaft/wohnungsmangel-studie-sieht-zusammenhang-…
[4] /Waermewende/!6060522
[5] /Ausstellung-ueber-Bauen-mit-Bestand/!5879545
[6] /Buerokratie-in-Deutschland/!6025008
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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