# taz.de -- Wirtschaftsexperte zur Afrika-Emigration: „Migrieren ist völlig … | |
> Der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft | |
> erklärt, warum wir uns auf mehr Migration aus Afrika einstellen sollten. | |
Bild: Markt in Lagos, Nigeria: „Langsamer, aber erkennbarer Aufstieg“ | |
taz: Herr Kannengießer, in der Debatte über Afrika als aufstrebender | |
Kontinent geht es immer um „Humankapital“, also die große Masse an jungen | |
Afrikanern im arbeitsfähigen Alter – und um ihre Bildung. Ein Vorschlag ist | |
da immer das deutsche System der Berufsschulen. Ist das eine Lösung? | |
Die Notwendigkeit einer vernünftigen Grundbildung bleibt essentiell. Bei | |
der Frage, wie man berufliche Bildung nach deutschem Muster hinbekommt, bin | |
ich etwas skeptisch: Wer soll das machen? Man braucht dafür jedenfalls | |
Investitionen, um die Ausgebildeten dann auch einstellen zu können. Wir | |
brauchen also Firmen, die ein eigenes Interesse daran haben, Wissenstranfer | |
nach Afrika durchzuführen. Investitionen sind der Schlüssel. | |
Warum beneiden uns alle um unsere duale Ausbildung? | |
Das hat meiner Meinung nach weniger mit den theoretischen Inhalten zu tun, | |
sondern damit, dass Unternehmen genau das ausbilden, was sie brauchen. Weil | |
die Unternehmen das selber bezahlen und nicht der Staat, haben sie ein | |
Interesse, die ausgebildeten Menschen auch einzustellen. Wir bilden keine | |
Leute auf Vorrat aus, die dann arbeitslos enden. Die Logik ist: Erst die | |
Investition, dann die Bildung. Der umgekehrte Weg wird nicht funktionieren. | |
Die Entwicklungszusammenarbeit kann die Berufsschule zur Firma bauen, aber | |
überall einfach Berufsschulen hinzubauen macht keinen Sinn. | |
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten zahlreiche Konzepte zur | |
Wirtschaftsförderung in Afrika vorgestellt, darunter den Marshall-Plan. Was | |
halten Sie davon? | |
Der Begriff Marshallplan war ja sehr umstritten. Mit der Zuspitzung auf | |
diesen eher unpassenden historischen Vergleich hat er doch zumindest eine | |
Debatte angestoßen. Der größte Verdienst dieses Plans war, dass er andere | |
unter Handlungszwang setzt, sich damit auseinanderzusetzen, was man | |
eigentlich in Afrika zusätzlich und anders machen kann als bisher. | |
Finden Sie denn den Marshall-Plan von seinen Inhalten her angemessen? | |
Gut finden wir den partnerschaftlichen Duktus. Es geht ja nicht darum, dass | |
man primär den afrikanischen Staaten hilft, sondern darum, dass man eine | |
Dynamik schafft, die den Privatsektor fördert – also nicht Regierungen, | |
sondern Privatakteure. Ich denke, das macht generell mehr Sinn. Das ist | |
eine der zentralen Erkenntnisse aus Jahrzehnten der | |
Entwicklungszusammenarbeit. | |
Sind die Instrumente dafür vorhanden? | |
Da sehen wir das Defizit. Zum Beispiel heißt es, man wolle neue | |
Garantieinstrumente oder einen Fond für Investitionen in den Bereichen | |
Energie und Infrastruktur. Aber: Wer verwaltet diese Fonds? Wo kommt das | |
Geld her? Was braucht man? Wie wird das ausgestaltet? Viele aktuell | |
unbeantwortete Fragen. Wenn man jetzt dringend etwas erreichen will mit | |
Blick auf das ambitionierte Ziel der Fluchtursachenbekämpfung, kann man | |
nicht erst einmal jahrelang diskutieren, sondern dann muss man Prioritäten | |
setzen und dafür auch Geld investieren. Wir haben kleine Fortschritte | |
erzielt: Im Bereich der Hermes-Deckungen wurde Abschied von der Logik | |
genommen, „wer einmal entschuldet worden ist, der kann als öffentlicher | |
Besteller keine Bürgschaft mehr bekommen“ mit der Folge, dass man keinen | |
Handel treiben kann. Das ist schon 2014 aufgebrochen worden. Das ist für | |
viele Unternehmen von ganz elementarer Bedeutung. Damals wurde über | |
Flüchtlinge aus Afrika überhaupt noch nicht gesprochen. | |
Warum sind deutsche Unternehmen immer noch so zögerlich, wenn es um | |
Investitionen in Afrika geht? | |
Afrika ist in Deutschland nie groß ein Thema gewesen. Und wir Deutschen | |
sind traditionell immer eher spät dran, so war das auch in Lateinamerika | |
und Asien der Fall. Das hat mentale und strukturelle Gründe, denn wir haben | |
einfach viele kleine und mittelständische Familienunternehmen, die nicht so | |
risikofreudig sind. Man sollte die Informationslücke schließen, um Risiken | |
besser abwägen zu können – aber strukturell lässt sich wenig ändern: Die | |
deutschen Firmen sind Hochtechnologieanbieter, wir bauen kaum Straßen und | |
eben auch eher keine Fabriken mehr, sondern liefern die Maschinen, die dann | |
in diesen Fabriken stehen werden. Deutschland kommt damit später ins Spiel. | |
Unter welchen Bedingungen ist ein deutsches Unternehmen bereit, in einem | |
afrikanischen Land eine Fabrik aufzubauen, in der zum Beispiel Kühlschränke | |
hergestellt werden? | |
Wahrscheinlich würde heute niemand auf die Idee kommen, Kühlschränke in | |
Afrika herstellen zu lassen und sie in Europa verkaufen zu wollen. Das | |
macht eher keinen Sinn, weil es genug Kapazitäten gibt. Im Moment ist das | |
Kalkül: Es ist billiger, Kühlschränke in China herzustellen und nach Afrika | |
zu bringen. Das könnte sich ändern, wenn die Märkte in Afrika größer und | |
aufnahmefähiger werden, etwa durch regionale Integration. Dann könnte es | |
Sinn machen, diese regionalen Bedarfe durch Produktion vor Ort zu | |
befriedigen. | |
Was sind da die größten Hindernisse? | |
Das Problem liegt in den Grundengpässen einer verstärkten wirtschaftlichen | |
Entwicklung. Das ist erstens die Infrastruktur, die internationale | |
Unternehmen behindert – vor allem in den Bereichen Transport, Logistik und | |
Energie. Zweitens wissen wir, dass die afrikanischen Staaten es sich nicht | |
leisten können, das alleine aufzubauen. Aber wir wissen, dass es möglich | |
ist, Infrastruktur über die Kapitalmärkte zu finanzieren. Man muss aber | |
berücksichtigen, dass das in Afrika komplizierter ist und dass es länger | |
dauert und dass die Erfolgswahrscheinlichkeit geringer ist als anderswo. | |
Probleme sind auch die Währungsrisiken und der nicht gut funktionierende | |
Bankensektor. Zum Beispiel: Ein privater Investor baut eine Straße und | |
refinanziert das z.B. über Maut-Einnahmen. Wer garantiert, dass diese | |
Straße auch über diesen Zeitraum betrieben wird und dass die Maut | |
Mindesteinnahmen in einer kalkulierbaren Größenordnung einbringt? Dafür | |
braucht man eine Garantie von einem Garantiegeber. Das ist in Europa zum | |
Beispiel ein Staat. Damit geht man dann zu einer Bank und die stellen eine | |
Finanzierung zur Verfügung. Das funktioniert klassischerweise beim Strom: | |
Die staatliche Stromgesellschaft garantiert für den eingespeisten Strom für | |
20 Jahre die Menge X und zahlt den Preis Y. Das Problem ist nun, wenn man | |
mit einer Garantie etwa der staatlichen äthiopischen Stromgesellschaft zu | |
einer deutschen Bank geht, dann dürfte das als Sicherheit nicht ausreichen. | |
Solche Garantien zu übernehmen, scheint ein Instrument zu sein, was sich | |
die EU-Kommission jetzt als Instrument mit Hebelwirkung überlegt hat. | |
Sind wirtschaftliche Förderkonzepte Teil der Fluchtursachenbekämpfung? | |
Wir haben darauf hingewiesen, dass, wenn wir uns nicht sputen, die nächste | |
große Flüchtlingswelle aus Afrika kommen kann. Und zwar nicht, weil Afrika | |
so arm ist, sondern weil die Zahl der Menschen wächst, die sich Mobilität | |
über kontinentale Grenzen hinweg leisten können, bis hin zur Obszönität, | |
Schlepper zu nutzen; und dass die Zahl der Menschen wächst, die eine nicht | |
unberechtigte Hoffnung haben, dass ihr Humankapital in einem Industrieland | |
produktiv veredelt werden kann. Der langsame aber erkennbare Aufstieg in | |
vielen Regionen Afrikas ist also auch ein Treiber für Migration. Wenn es | |
aber gelingt, den wirtschaftlichen Aufholprozess deutlich zu beschleunigen, | |
dann kann es aus unserer Sicht gelingen, den Migrationsdruck aus Afrika zu | |
kanalisieren. Der Wunsch, in Regionen mit besseren Lebensbedingungen zu | |
migrieren, ist aber völlig normal und auch nicht ganz zu unterbinden. Ich | |
erwarte, dass es in Zukunft in den europäischen Straßen und Städten | |
sichtbarer wird, dass Afrika unser Nachbarkontinent ist – mit allen damit | |
verbundenen Herausforderungen und Chancen. | |
6 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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