| # taz.de -- Weihnachtsfilm von Disney-Pixar: Seele Nr. 22 ist ein schwerer Fall | |
| > Der neue Disney-Pixar-Film „Soul“ behandelt Geburt und Tod. Wichtig in | |
| > der gewagten Animation sind aber auch Pizza und Jazz. | |
| Bild: „Soul“ zitiert auch „Abbey Road“ | |
| Da hat man ein wichtiges Vorspiel bestanden, wähnt sich unter den | |
| Auserwählten – und dann macht einem das Schicksal einen Strich durch die | |
| Rechnung. So geht es nicht nur dem Aushilfslehrer und Jazzpianisten Joe | |
| Gardner in der neuen Pixar-Produktion „Soul“, so erging es dem Film selbst. | |
| Ursprünglich hätte er im Mai in Cannes Premiere feiern sollen und wäre dann | |
| im Juni in die Kinos gekommen. Nun startet er stattdessen [1][zu | |
| Weihnachten auf Disney+.] | |
| Eigentlich kann man nur darüber staunen, dass das dem Film keinen Abbruch | |
| tut. Im Gegenteil, vielleicht macht die Krise rundherum die geplagte | |
| Zuschauerseele sogar noch empfänglicher für die typische | |
| Disney-Pixar-Botschaft: Sei du du! Genieße das Leben! Gelobt sei, dass es | |
| Pizza gibt. Und Jazz. | |
| Der New Yorker Joe Gardner, seines Zeichens der erste afroamerikanische | |
| Held im [2][Zentrum eines Pixarfilms], liebt den Jazz. Aber statt zum | |
| erfolgreichen Musiker hat er es nur zum Musiklehrer gebracht. Dann erreicht | |
| ihn der Anruf eines Exschülers, der gerade als Schlagzeuger mit der | |
| berühmten Saxofonistin Dorothea Williams in der Stadt gastiert. Ihr Pianist | |
| ist ausgefallen, ob Joe nicht einspringen könne? | |
| Für Joe wird ein Traum wahr – aber auf dem Rückweg vom erfolgreichen | |
| Vorspiel fällt er in einen Gully und landet im Jenseits. | |
| Dort, auf der Treppe in den Himmel, herrscht ein ziemliches Gedränge. Und | |
| weil Joe es nicht einsieht, dass er den tollsten Gig seines Lebens | |
| verpassen soll, nur weil er tot ist, versucht er sich zu drücken, stolpert | |
| und landet plötzlich in einer ihm und dem Zuschauer bislang gänzlich | |
| unbekannten Welt: dem „Großen Davor“. | |
| ## Gewagter Sprung ins Kubistische | |
| Die Animation macht einen gewagten Sprung an dieser Stelle: Von der | |
| hyperrealistischen und detailverliebten Fülle, mit der zuvor Joes Alltag in | |
| New York dargestellt wurde, wechselt der Stil zu einer flachen, | |
| quasi-kubistischen Ästhetik ohne viel Ausschmückungen. Bevölkert wird das | |
| „Große Davor“ von einer Menge an hellen Kügelchen mit runden Augen und | |
| zarten Stimmchen. | |
| Sie stellen noch unfertige Seelen dar, erklärt eine Gestalt, die direkt aus | |
| Picassos später Phase stammen könnte, dem staunenden Joe, der sich in ein | |
| blaues Ei mit Brille und Hut verwandelt hat. Sie hält Joe für einen | |
| „Mentor“, einen namhaften Erdenbewohner, der die unfertigen Seelen | |
| inspirieren soll, wie das offenbar so Brauch ist seit Jahrtausenden. | |
| Joe bekommt Seele Nr. 22 zugeteilt. 22 ist ein schwieriger Fall. Trotz | |
| Coachings von Prominenten der Weltgeschichte konnte 22 bislang noch nicht | |
| inspiriert werden, den Sprung ins Leben zu wagen. Nicht dass Joe sich große | |
| Chancen ausrechnet; er will 22 nur benutzen, um zurück zur Erde und zu | |
| seinem Gig zu kommen. | |
| ## Hommage an die „Verrückten“ | |
| Und mittels einer herrlichen Hommage des Films an die Abwesenden und | |
| „Verrückten“ dieser Welt, musikalisch begleitet von keinem Geringeren als | |
| Bob Dylan mit „Subterranean Homesick Blues“, gelingt ihm das auch. | |
| Trotz seiner kindlich-zuversichtlichen Carpe-diem-Botschaft ist „Soul“ ein | |
| ungewohnt erwachsener Film. Nicht nur, weil an seiner Darstellung von Sein | |
| und Nichtsein, Geburt und Tod das „normalste“ Element ein pedantisches | |
| Strichmännchen ist, das darauf besteht, dass die Zahlen am Ende stimmen | |
| müssen. Sondern vor allem, weil die zahlreichen Anspielungen in Wort und | |
| Bild sich diesmal nicht mit der engen Welt der Popkultur zufrieden geben. | |
| Da sind all die Details einer afroamerikanischen Normalität, die es in | |
| dieser lockeren Selbstverständlichkeit in der Animationswelt noch nie gab. | |
| Und da sind die musikalisch und zeichnerisch gleichermaßen fantastischen | |
| Jazz-Szenen, die, während sie noch illustrieren, wie diese Musik einen | |
| fortträgt in andere Gefilde, das dann tatsächlich tun. Pizza und Jazz, ganz | |
| im Ernst, was braucht es mehr zum Leben? | |
| 25 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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