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# taz.de -- Neufassung des „Dschungelbuchs“: Weg von der hippiesken Heiterk…
> Disney macht in der neuen „Live-Action“-Version des Dschungelbuchs vieles
> anders und vieles richtig. Es ist ernster und zugleich kindgerechter.
Bild: Jon Favreaus Version ist eine tiefe Verneigung vor dem heiteren Original …
Wenn man eines nicht erwartet von der Neufassung des „Dschungelbuchs“, dann
ist es – etwas Neues. Schließlich sind Remakes eigens dafür erfunden
worden, dem ewig skeptischen Kinogänger überraschungsfreie Zonen zu
gewähren. Statt dass man mit einem Ticket einen Trip ins Unbekannte bucht,
soll einmal auch im Kino das gelten, wofür man in der übrigen Warenwelt die
vielen schönen Markennamen hat: Man möchte genau das bekommen, wofür man
bezahlt hat.
Die Frage, warum man knapp 50 Jahre später einen Disney-Zeichentrickfilm in
„Live-Action“-Version neu dreht, erübrigt sich. Abgesehen davon, dass sich
eventuell auch Geld damit verdienen lässt, tut man bei Disney fast so, als
handle es sich um bloßen Kundenservice, eine Art Wartung der alten
Besitztümer, ein rein technisches Überarbeiten dessen, was man schon kennt
(in Deutschland betrifft das immerhin ganze 27 Millionen gezählte
Zuschauer, mehr als „Titanic“ (18,8) oder „Avatar“ (11,3)). Aber mit dem
neuen „Dschungelbuch“ kommt es dann doch anders.
Dabei bleibt die Geschichte im Wesentlichen dieselbe wie im
Animationsklassiker von 1967: Das Menschenjunge Mogli wächst bei den Wölfen
im Dschungel auf, wird dabei supervisiert von Panter Baghira und eines
Tages bedroht vom Tiger Shir Khan. Von der Schlange Kaa lässt er sich
einwickeln, mit dem Bären Balu hat er Spaß, und gegenüber dem Affen King
Louie muss er bestehen. Wie gesagt, alles wie gehabt. Und trotzdem ist „Das
Dschungelbuch“ von 2016 dem „Dschungelbuch“ von 1967 weniger ähnlich als
etwa „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ (2015) dem ursprünglichen „Star
Wars“ (1977).
Regisseur Jon Favreau und Drehbuchautor Justin Marks verfahren mit dem
Stoff des alten Films wie beziehungserfahrene Liebhaber, die wissen, dass
man den Zauber des ersten Mals durch kein Reenactment, und sei es auch noch
so nah dran, wiederherstellen kann. Stattdessen weben sie ein raffiniertes
Netz aus alten und neuen Elementen, lassen das eine weg, fügen etwas
anderes hinzu und evozieren auf diese Weise den Charme des Vergangenen wie
eine Melodie, die man nur von Ferne hört, die aber umso mächtigere
emotionale Wirkung entfaltet.
Dem tautologischen Kunstwort „Live-Action“ zum Trotz ist auch das neue
„Dschungelbuch“ in erster Linie ein Animationsfilm, schließlich ist der
einzige Schauspieler, den man physisch, also mit seinem Körper, vor Augen
hat, der Junge Neel Sethi in der Rolle des Menschenjungen Mogli. Alle
anderen Wesen – und ein großer Teil der Landschaften – sind
computergeneriert.
## Ausdrucksvolle Köpfe
Doch von den ausdrucksvollen Köpfen der Wölfe bis zum schwarz glänzenden
Fell des Panters, von der markanten Gesichtsmaserung des Tigers bis zu den
leicht ekligen Fettfalten am Hals des Affen verfügen die Tiere hier über so
viel Wahrhaftigkeit und Präsenz, dass man fast erschrickt, wenn sie
anfangen, in Menschensprache zu sprechen. Und als wüsste er um diesen
Effekt, lässt Favreau seine Dschungeltiere auch erst sehr viel später
singen, als man es erwartet.
Wie überhaupt man den neuen „Dschungelbuch“-Machern fast dankbar ist dafü…
dass sie die gravitätische Wirkung ihrer visuell so überzeugenden
Kreationen ernst genug nehmen, um die Tonlage des ganzen Films zu
verschieben. Wo das Original trotz seiner auch gefahrenbetonten Abenteuer
durchgängig von einer geradezu hippiesken Entspanntheit und Heiterkeit
geprägt war, geht es im neuen Film seriöser und bedrohlicher zu – (und
könnte für manch jüngere Kinder auch eine Spur zu einschüchternd sein).
Näher dran an den Erzählungen von Rudyard Kipling werden etwa Moglis
Menschennatur und die Auseinandersetzungen, die es im Dschungel darum gibt,
hervorgehoben. Der Kleine (von Sethi mit liebenswerter Verschmitztheit
gespielt) kann Werkzeuge herstellen, sich aus Kokosschalen Trinkgefäße
basteln und komplexe Problemlösungen mit Seilen und Hebelwirkung kreieren.
Er solle sich mit seinen „Tricks“ zurückhalten, bekommt er mehrfach
angeraten. Aber anders als bei Kipling wird im neuen Disney-Film daraus
kein Diskurs über die Unmöglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens von
Mensch und Tier.
Im Gegenteil, auch wenn Shir Khan dem kleinen Mogli seine Feindschaft mit
der schlechten Erfahrung erklärt, die er als Tiger mit einem Menschen
machte – der Filmzufall will es, dass es sich dabei um Moglis Vater
handelte –, so erweisen sich alle „Tricks“, die Mogli im Film anwendet,
letztlich als Dienste für seine tierischen Freunde. Den Vorwurf, die
empfindliche Ökologie des Dschungels zu stören, handelt sich denn auch Balu
der Bär ein, der Mogli für die Honigbeschaffung ziemlich ausbeuterisch in
Anspruch nimmt.
So ist das neue „Dschungelbuch“ ernster und zugleich „kindlicher“ als d…
Original. Bezeichnend dafür mag die völlige Abwesenheit der Geier stehen,
die einst so wunderbar doppeldeutig ihre Freundschaft zu allen
Dschungellebewesen besangen, von wegen „We never met an animal, we didn’t
like“. Über solche Zweideutigkeiten, mit denen sämtliche von den
Sherman-Brüdern komponierten Songs gespickt waren und die ja auch den
Originaltext von den „bare“ bzw. „bear necessities“ (komponiert und
getextet von Terry Gilkyson) ausmachten, lachte man als Kind lange Jahre,
ohne sie zu begreifen – bis man es dann eben doch tat. Jon Favreaus
„Dschungelbuch“ macht sich weitgehend frei von diesem „Sleeper“-Humor, …
setzt an die Stelle aber ein Stimmenensemble, das es noch mehr in sich hat
als das bereits in seiner Zeit ungewöhnlich namhafte von 1967.
## Ein lebhafter Balu
Ben Kingsley als stets mahnender und stets ein wenig nervender Panter
Baghira, Scarlett Johansson als betrügerisch-verführerische Schlange Kaa,
Idris Elba als bedrohlich-bassbetonter Shir Khan – sie alle führen vor, wie
viel Charakter allein darin steckt, wie man Sachen spricht. Und weil ihre
zugeordneten, computergenerierten „Hüllen“ diesmal so täuschend echt
aussehen, kreieren die Stimmen der Schauspieler Figuren, die im besten
Sinne von der Leinwand springen beziehungsweise den Zuschauer in den Film
hineinziehen, viel mehr, als es jede noch so ausgefeilte 3D-Technik vermag.
Und dann fügt sich Bill Murray als Balu so organisch in seinen trägen und
zugleich ungeheuer agilen Charakter, dass sein Bär weit lebendiger wirkt
als viele Figuren, die man den Schauspieler in „real-live-action“ in
letzter Zeit hat verkörpern sehen. Aber den vielleicht größten, staunend
machenden Auftritt im Film hat Christopher Walken, dessen King Louie
diesmal kein Orang-Utan, sondern ein Gigantopithecus ist.
Als gigantisches Affenwesen, das wie eingewachsen in einem verfallenen
Dschungelpalast haust, mischt Walken Referenzen an General Kurtz in
„Apocalypse Now“ mit solchen auf den Drachen Smaug im „Hobbit“. Den
deutschen Stimmen um Armin Rohde, Heike Makatsch, Christian Berkel und Ben
Becker wird es nicht leicht gemacht, da mitzuhalten.
Wenig überraschend ist am Ende, dass es kein echtes Ende gibt. Da machen es
sich Mogli, Baghira und Balu auf einem Ast bequem, als ob sie abwarten
wollen, bis das nächste Drehbuch fertig ist. Wie man hört, wird an
„Dschungelbuch 2“ schon gearbeitet. Und wie man auch hört, reiben sich die
Herren des Disney-Konzerns gegenwärtig die Hände, bis sie wund werden:
Selbst wenn der nächste „Star Wars“ – unwahrscheinlicherweise – ein Fl…
würde, selbst wenn das „Marvel Cinematic Universe“ der Apokalypse
anheimfällt oder Pixar keine originellen Ideen für Animationsfilme mehr
haben sollte, selbst wenn also alle Stricke reißen sollten, kann man sich
auf Jahrzehnte hin auf das Geschäftsmodell berufen, die alten
Animationsklassiker als „Live-Action“ mit CGI und prominenten Stimmen ins
Kino zu bringen. Was soll da noch schiefgehen?
13 Apr 2016
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
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