# taz.de -- Adam Green über seinen neuen Film: „Aladdin ist materialistische… | |
> Musiker Adam Green wagt sich an ein Märchen aus Tausendundeine Nacht. | |
> Heraus kommt Kapitalismuskritik mit hohem Dada-Faktor. | |
Bild: „Ob die Leute ‚Aladdin‘ für einen Film oder ein Album halten, ist … | |
taz: Adam Green, seit Jahren schon reden Sie immer wieder von „Aladdin“. | |
Nun wir können Ihren „Aladdin“-Film sehen und die Platte dazu hören, die | |
auch als Soundtrack funktioniert. Warum das alles? | |
Adam Green: Ich arbeite seit drei Jahren an diesem Gesamtkunstwerk. Es ging | |
mir um eine moderne Version des Märchens. Die Wunderlampe unserer Zeit ist | |
doch wohl der 3-D-Drucker oder nicht? In meinem „Aladdin“-Film druckt diese | |
moderne Wunderlampe die analoge Version des Internets aus. Meine Prinzessin | |
sollte etwas von Kim Kardashian haben. Und da ich selbst Aladdin spielen | |
wollte, musste er natürlich ein Indie-Rock-Sänger sein (lacht). Nein, | |
ehrlich gesagt hatte ich davor zehn andere gefragt, die ablehnten. Ich war | |
am Ende einfach die berühmteste Person, die ich auftreiben konnte. | |
Was hat Sie überhaupt an „Aladdin“ gereizt? Für den Disney-Film waren Sie | |
1992 ja wohl schon zu cool als Teenager. | |
Ich war gerade noch in dem Alter, um ihn zu sehen. Aber meine Mama hatte | |
mir vorher schon Aladdin als Gutenachtgeschichte erzählt. Die ging etwas | |
anders als die Disney-Version. Da hatte Aladdin unendlich viele Wünsche, | |
bei Disney nur drei. Schon als Kind kam ich also drauf, dass man | |
verschiedene Versionen einer Geschichte erzählen kann. | |
Und die Wunderlampe? | |
Irgendwann in meinem Film kommt jemand auf die Idee, sich vom | |
Wunderlampen-Drucker eine weitere Wunderlampe zu wünschen! All das ist | |
natürlich materialistischer Exzess: Wünsche nach Wohlstand ohne Limits oder | |
Regeln. Dabei sollte man heute eher umdenken, nicht am laufenden Bande | |
blödsinnige Dinge produzieren, für die der Planet keinen Platz hat. Meine | |
Fantasie ist, dass Leute in der Zukunft „Aladdin“ für eine sehr altmodische | |
Geschichte halten, weil sie sich nicht mehr nach Wirtschaftswachstum | |
sehnen. Ich selbst versuche auch, nicht zu viel Schrott zu horten. | |
Das klingt ja fast schon pädagogisch. Richtig kindertauglich ist Ihr Film | |
aber nicht. | |
Man sollte lieber 13 oder 14 sein. Es wird ein bisschen sexuell: | |
Pappmaché-Titten, Drogenkonsum und eine sprechende Vagina. Meine Platten | |
waren ja schon immer eher für Teenager als für 8-Jährige. Das unterscheidet | |
mich vielleicht von den meisten anderen Bands. | |
Jetzt aber noch mal: Wozu überhaupt ein Remake dieses Märchens? | |
Fast jeder hat doch schon mal gehört von Aladdin, der Prinzessin und dem | |
Flaschengeist. Natürlich wollte ich nicht einfach die alte Leier wieder | |
abspielen. Mir ging es darum, all das auf eine Weise zu reinterpretieren, | |
die mit mir selbst, aber auch der Zeit, in der wir leben, zu tun hat: | |
egozentrischer Materialismus. Wenn mein Wunderlampen-3-D-Drucker mehr | |
Output produziert, als es überhaupt Platz gibt in der analogen Welt, steckt | |
da natürlich auch eine ökologische Botschaft mit drin. Und eine | |
psychologische: Die Welt ist zu klein, wenn jeder sein Ego aufplustert. | |
Gerade weil jeder die Symbole aus 1.001 Nacht kennt, sind sie für | |
Aktualisierungen besonders gut brauchbar, denn man spürt die Differenzen zu | |
älteren Versionen. Wenn ich mir über große Dinge einen Kopf mache, treiben | |
da aber schnell wieder Cartoons in meinem Gehirn ihr Unwesen. Und deshalb | |
sieht auch der Film so aus. | |
Wie hängen für Sie als Multimedia-Künstler überhaupt Film und Musik und | |
bildende Kunst zusammen? | |
Film ist für mich die ultimative Kunst. Ich kann dafür malen, schreiben, | |
bildhauen, musizieren. Meine Gemälde erzählen ja nicht direkt Geschichten | |
und sehen eher so aus, als ob ein Kind sie malen könnte. Die Filmfiguren | |
aber leben in der Welt meiner Gemälde und ich kann eine Story mit ihnen | |
erzählen. Aber natürlich bin ich zuallererst ein Musiker. Ob die Leute | |
„Aladdin“ für einen Film oder ein Album halten, ist mir trotzdem egal. | |
Definitiv ist es das Ehrgeizigste, woran ich je gearbeitet habe. Und | |
hoffentlich auch das Nachhaltigste. | |
Und wie lief das konkret bei „Aladdin“? Gab es erst die Musik oder erst den | |
Film? | |
Die Songs hab ich um Weihnachten 2014 herum in L. A. aufgenommen. Das Album | |
ist ein psychedelischer Soundtrack für den Film. Gleichzeitig habe ich am | |
Film gebastelt, der aber erst noch finanziert werden musste: Ich schrieb | |
auf kleine Karteikarten, die ich auf dem Boden verteilte. Dann suchte ich | |
Verbindungen zwischen den Zeilen auf den Karten und fragte mich: Ist das | |
ein Dschinn- oder ein Prinzessinnen-Vers? All diese Stimmen waren Teil | |
meines Unterbewusstseins. Ich habe an einem Mythos gearbeitet, aber so wie | |
in einer psychiatrischen Praxis. Ich nahm diese Stimmen in meinem Kopf und | |
ließ sie miteinander reden. Durch den Plot von Aladdin. Und dieser Aladdin | |
ähnelt Seinfeld: Alle anderen spielen verrückt, aber er behält einen kühlen | |
Kopf. | |
50.000 Dollar für den Film kamen über Kickstarter-Crowdfunding. Warum? | |
Den Studios war das Projekt zu abgefahren. Mit dem Geld konnte ich eine | |
Lagerhalle mieten. Mein Praktikant Wilson und ich hatten eine Liste mit 500 | |
Pappmaché-Objekten, die wir basteln mussten. | |
Das haben Sie im Kindergarten gelernt? | |
Über die Jahre hinweg hab ich meine Fertigkeiten aufgefrischt. Es ist gar | |
nicht so schwer. Nach ein paar Tagen hab ich Fotos auf Instagram gepostet. | |
Leute kamen vorbei und haben geholfen. Musiker, Filmleute und solche, die | |
bloß Sommerlangeweile hatten. Die Konturen habe ich aber selbst gemalt, | |
denn sie sollten so aussehen wie meine Zeichnungen. | |
Der Film steckt voller Gesellschaftskritik: Ständig sind Reality-TV-Teams | |
vor Ort. Und eine lächerliche Schergentruppe, bewaffnet mit Dolchen, nennt | |
sich CIA. | |
Die entwickeln auch eine App namens „Thankster“ – mit der kann man Freund… | |
dafür danken, dass sie sich bei einem bedankt haben. Wofür sich die dann | |
wiederum bei einem bedanken. Ein Endloskreis. | |
Und dann gibt es da Ralph, gespielt von Macaulay Culkin. Ein Revolutionär, | |
der davon träumt, dass Geld verrottet wie Gemüse. Wie Disneys „Aladdin“ i… | |
„Kevin allein zu Haus“ natürlich selbst Teil kommerzieller | |
Kinder-Popkultur. Die Band „Golf“ hat einen eigenen Song über ihn | |
geschrieben. Warum gibt es diesen Hype um seine Person? | |
Macaulay ist eine Ikone und dreht ja kaum noch Filme, aber wir beide machen | |
noch Kunstprojekte zusammen. Das kommt daher, dass wir befreundet sind. So | |
geht es aber allen im Aladdin-Projekt. Auch Natasha Lyonne aus „Orange Is | |
the New Black“. Sie ist eine New Yorker Legende und spielt Aladdins Mutter. | |
Natasha so: „Wir kennen uns, seit wir 19 sind, haben zusammen Party gemacht | |
mit gefälschten IDs. Du machst diesen Pappmaché-Film? Klar, ich bin dabei!“ | |
Den Dschinn spielt Francesco Clemente, ein Kultkünstler seit den 1980ern. | |
Er hing mit Leuten wie Keith Haring und Andy Warhol ab. Wir tranken | |
bisschen Bier in seinem Atelier, ich hatte das Drehbuch dabei. Sein | |
Soho-Loft war super einschüchternd. Plötzlich, auf Seite 20 des Drehbuchs, | |
lachte Francesco: „Das klingt wie etwas, das ich sagen würde.“ Als ich | |
später in den Fahrstuhl stieg, sagte er: „Warte! Ich will dein Dschinn | |
sein!“ | |
In der ersten Szene klagt Aladdin darüber, taub gegenüber der eigenen Seele | |
zu sein. | |
Das Gefühl ist mir sehr vertraut. Da es im Film irgendwie auch um Roboter, | |
Medien und Technologie geht, kam mir dieser Gedanke von Entfremdung. Die | |
alten Ägypter glaubten übrigens, dass wir sieben Seelen haben, die | |
miteinander reden. Langsam verstehe ich, was sie damit meinen. Aber | |
vielleicht sind das nur rostige Ideen. Vielleicht können Seelen bald von | |
Maschinen simuliert werden. | |
Im Film streift Aladdin auch an einem Friedhof für Aliens vorbei. Ist das | |
auch autobiografisch? | |
Mein Bruder ist Astrophysiker, er hat schon für die Nasa gearbeitet. Er hat | |
das berechnet. Übrigens spielt er auch Oboe und Klarinette auf meinen | |
Platten. Vielleicht würden die Aliens uns zerstören. Ich glaube nicht, dass | |
sie viel Gutes mit uns anstellen. Wir wären nur Würmer für sie. | |
Jetzt aber zu einem anderen Familiengeheimnis: Ist Kafka wirklich nicht Ihr | |
Großvater? Die Trennung von Felice Bauer, Ihrer Urgroßmutter, lag ja kaum | |
ein Jahr vor der Geburt Ihres Großvaters. Da könnte es doch sein … | |
Alles ist möglich! Vielleicht ja doch. Es gibt einige sehr bizarre | |
Kurzgeschichten von Kafka, die ich enorm mag. Und meine Urgroßmutter kommt | |
ja im „Proceß“ als „F. B.“ vor. Kafka war einer derjenigen, die die | |
Subkultur erfanden. | |
7 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hochgesand | |
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