# taz.de -- Vormarsch der Musikcomics: Bloß Bob Dylan fehlt noch | |
> Lebe wild und durchgeknallt: Musikcomics haben sich als eigenes Subgenre | |
> etabliert. Und Comiczeichner und Musiker sind ja längst Verbündete. | |
Bild: Bilder zu Tönen: Seite aus "Ausgetrickst" von Alex Robinson. | |
Musik und Comics haben schon seit geraumer Zeit ein Verhältnis. Die | |
Geschichte der Bildgeschichte beginnt mit einem Musikcomic - Wilhelm Buschs | |
"Der Virtuos" von 1865. Busch bildet hier erstmals wirklich dynamische | |
Bewegungsabläufe ab, nämlich das genialisch-exaltierte Gefrickel des | |
Klavierspielers, und erfindet so den Genre-Archetyp. | |
Wer sich einmal die Biografien heutiger Comiczeichner vornimmt, wird | |
erstaunt feststellen, dass jeder zweite zugleich auch Musiker ist. Robert | |
Crumb rettet mit seinen Les Primitifs du Futur den Salonjazz der 30er über | |
die Zeit; Klaus Cornfield dilettiert im Liedermacherfach, Jim Avignon | |
weitet sein Avantgarde-Konzept mit Neoangin ins Akustische aus; Gary Panter | |
macht einfach nur gequirlten Solokrach; Thomas Ott hat mit The Playboys | |
eine Punkband um sich geschart, ebenso der "American Elf" James Kochalka, | |
Ahnherr des Comictagebuchs, der mit James Kochalka Superstar die | |
College-Radios kujoniert; und Joe Sacco, der später, in Berlin gestrandet, | |
unter anderem Konzertplakate für City Slang entwirft, hat in den frühen | |
90er-Jahren immerhin die Punkband Miracle Workers während einer | |
Europa-Tournee als Roadie begleitet. | |
Aber wie im richtigen Leben auch ist die Liebe bisweilen innig und | |
aufrichtig - bisweilen auch bloß gekauft. So hat sich die Musikindustrie | |
schon immer gern der grellen, opulenten und also werbewirksamen Schauwerte | |
des Comics bemächtigt und die Meister der Zunft nicht zuletzt für das | |
Cover-Artwork arbeiten lassen. Moebius, der vermutlich einflussreichste | |
Comiczeichner des 20. Jahrhunderts, der mit seinen Sci-Fi-Storys für das | |
Magazin Heavy Metal die Coverkunst nicht zuletzt der härteren Rockmusik | |
indirekt, aber dafür umso maßgeblicher beeinflusst hat, ließ sich etwa für | |
ein Doppelpack-Reprint der Hendrix-Alben "Are You Experienced + Axis: Bold | |
As Love" gewinnen; Philippe Druillet zeichnete eine alternative "Electric | |
Ladyland"-Version, Robert Crumb einige Alben von Janis Joplin | |
beziehungsweise Big Brother and the Holding Company, Charles Burns ist | |
verantwortlich für das Cover von Iggy Pops "Brick By Brick", Daniel Clowes | |
für Urge Overkills "Supersonic Storybook", Mark Marek für "Dirty Work" von | |
den Rolling Stones, Mark Beyer hat Alben von The Residents, Snakefinger und | |
John Zorn verschönert, Simon Bisley hat für Motörhead und Danzig | |
gearbeitet, Richard Corben für Meat Loaf, Gary Panter hat Alben von Red Hot | |
Chili Peppers, Frank Zappa und Duke Ellington gestaltet usw. usw. Es ist | |
ein sehr weites, kaum wirklich ausmessbares Feld. | |
Überdies haben die Plattenfirmen gern auch die Popularität des Genres | |
selbst für die Auratisierung und massenwirksame Vermarktung ihrer Stars | |
genutzt. Bereits die Monkees bekamen ihren eigenen Comic - die Beatles mit | |
"Yellow Submarine" sogar einen Zeichentrickfilm -, viel später auch die | |
Ärzte und der Wu-Tang-Clan; Kiss, ohnehin als inkarnierte Superhelden an | |
die Öffentlichkeit getreten, ließen sich eine mehrteilige wilde Räubervita | |
zeichnen und versuchten die Grenzen zwischen Fiktion und Realität noch ein | |
weiteres Mal symbolisch aufzuheben, indem sie Gerüchte streuten, man habe | |
ihr eigenes Blut in die Druckfarben gemischt. Na ja, man muss schon Fan | |
oder mit einem enormen Trash-Bedürfnis gesegnet sein, um all dem einen | |
ästhetischen Mehrwert abgewinnen zu können, aber hier ging es ja auch nur | |
um den monetären. | |
Es gab jedoch auch immer wieder ästhetisch avancierte Versuche, sich dem | |
Thema anzunähern. Zuallererst muss man wohl Robert Crumbs biografische und | |
auch stilistisch kongeniale Annäherungen an die alten Bluesmen nennen, | |
bereits 1993 gesammelt in "Robert Crumb Draws the Blues" (Last Gasp) und | |
immer noch nicht übersetzt. Joe Sacco hat seine Tourerfahrungen mit den | |
Miracle Workers in einer Comic-Reportage festgehalten, nachzulesen in "But | |
I Like It" (Fantagraphics), einem schönen, leider auch noch nicht | |
übersetzten Sammelband seiner frühen Arbeiten, der neben Konzertplakaten | |
und Stones-Illumination auch seine grandiose Reportage über das | |
Fat-Possum-Label enthält ("The Rude Blues"). Jacques Loustal entwirft in | |
"Besame Mucho" (Schreiber & Leser) eine atmosphärisch stimmige | |
Introspektion des Jazzmilieu der Nachkriegszeit, dessen Held, der | |
Saxofonist Barney Wilem, offensichtlich Stan Getz nachempfunden ist. Und | |
das Duo José Muñoz und Carlos Sampayo zeichnet in ihrem empathischen | |
Porträt "Billie Holiday" (Edition Moderne) die Erfolgs- und | |
Passionsgeschichte der Jazz-Chanteuse nach. | |
Solche "Biographics" haben sich in den vergangenen Jahren auf dem | |
deutschsprachigen Comicmarkt, gewissermaßen parallel zur Konjunktur der | |
Musiker-Biopics, als so eine Art Bonsai-Trend durchgesetzt - durchaus auf | |
einem gewissen Niveau. "Zappaesk" (Ehapa) von Andreas Rausch muss man hier | |
erwähnen. Weniger eine Biografie als eine ambitionierte, durchgeknallte und | |
insofern wirklich kongeniale Adaption der Collage-Ästhetik Zappas. Reinhard | |
Kleists "Cash - I see a darkness" lässt sich schon eher als - wenn auch | |
notwendig etwas kursorische - Lebensbeschreibung von Johnny Cash lesen. | |
Kleist hat ein gutes Auge für historische Lokalitäten, evoziert mit der | |
gleichen Souveränität die Baumwollfelder von Dyess, Mississippi, das | |
Sun-Studio und den Folsom-Knast. Überdies wirkt hier ein feinfühliges | |
Sensorium für Stimmungen und Atmosphären. Seine Illustrationen etwa des | |
Folsom-Prison-Auftritts und der kanonischen Cash-Songs sind mimetische | |
Meisterleistungen. | |
Der gerade erschienene, ebenfalls von Kleist zusammen mit Titus Ackermann | |
herausgegebene, von diversen Zeichnern gestaltete Band "Elvis - die | |
illustrierte Biographie" (Ehapa) fällt dagegen enorm ab. Wie schon in dem | |
von Jörg Scheller und Christoph Tauber besorgten "Inter View"-Band (Ehepa) | |
stört die stilistische Heterogenität. Aber da war das zumindest motiviert | |
durch die Vielzahl der musikalischen Hausheiligen - von Adam Green bis | |
Lemmy -, denen sich die unterschiedliche Zeichnertemperamente nähern | |
sollten. Hier wird der Mythos zum bloßen Flickenteppich. Fast noch schwerer | |
wiegen die bisweilen erschreckende Schlichtheit der Dialoge sowie der | |
Umstand, dass diese biografischen Skizzen auch inhaltlich nie über die | |
üblichen Allgemeinplätze hinauskommen. Das hat einem ja auch schon bei | |
"Kurt Cobain - Godspeed. Sein Leben als Comic" (Schwarzkopf & Schwarzkopf), | |
dieser grafisch sogar recht überzeugende Kollaboration des Zeichners | |
Flameboy mit den Szenaristengespann Legg und McCarthy, den Spaß verdorben. | |
Die Elvis-Fraktion möge sich etwas in Geduld üben. Zu Weihnachten erscheint | |
Rich Koslowskis "The King" (Edition 52), da geht es zwar nur um einen | |
Elvis-Imitator, aber der könnte ja auch der Echte sein! Und auch danach | |
steht noch einiges zu erwarten in diesem Marktsegment: Arne Bellstorf sitzt | |
an einer Beatles-Buch, wie man hört, und Bob Dylan fehlt ja auch noch! | |
Eine weitere Untergruppe im Genre Musikcomic bilden die Fiction-Comics. | |
Hier könnte man differenzieren zwischen jenen Werken, in denen in erster | |
Linie die Rezeption von Popmusik, und jenen, in denen das Musikmachen | |
selbst thematisiert wird. In Andreas Michalkes autobiografisch fundierten | |
Büchern "Smalltownboy", "Monovision" und "Bigbeatland" (Reprodukt) etwa | |
oder in der "Love and Rockets"-Serie der Brüder Hernandez (Fantagraphics) | |
ist Musik, vornehmlich Punk und Indie, integratives Element einer | |
bestimmten Jugend- und Gruppenkultur und zugleich wesentlicher | |
Sozialisationsfaktor. So auch in Peter Bagges "Hate"-Serie um seinen | |
Jedermann Buddy Bradley. Im Sammelband "Buddy does Seattle" (Fantagraphics) | |
beispielsweise fängt Bagge ziemlich sensibel den Habitus, die Dress- und | |
Sprachcodes der 90er-Jahre-Slacker-Kultur ein und lässt Buddy unter anderem | |
eine Band managen, in der auffällig viele Mitglieder den Namen Kurt tragen. | |
"Die Band" selber, so der Titel des besten einschlägigen Comics von Mawil | |
(Reprodukt), hat die gleiche Schutz- und Trutzfunktion, nach außen | |
abgrenzend, nach innen solidarisierend, und kommt deshalb nicht von | |
ungefähr vor allem in Coming-of-Age-Geschichten zum Einsatz. So auch in Ai | |
Yazawas großartigem, die Tokioter Jugendkultur der Jetztzeit ausleuchtendem | |
Mädchen-Manga-Epos "Nana" (Ehapa, bisher 18 Bände) um die Punksängerin Nana | |
Osaki. Oder in Gipis gerade erschienenen "5 Songs" (avant). In seinem | |
rohen, impressionistischen Skizzenstil, der durch die nachträgliche | |
Aquarellierung aber noch etwas sublimiert wird, schildert er die Freuden | |
und Nöte einer jungen Rockband. Mit ein paar exemplarischen Szenen gibt er | |
nicht nur allen vier Musikern ein unterscheidbares Charakterprofil, er | |
beschreibt auch sehr eindrücklich die normalschrecklichen Familienbande, | |
aus denen sich die Jungs mithilfe ihrer Instrumente herausstemmen. | |
Allerdings merkt man dem Buch an, dass sein Sujet recherchiert und eben | |
nicht selbst erlebt wurde. Mawil ist einfach noch dichter dran. | |
Mit Alex Robinsons wunderbarer, vielschichtiger, frisch ins Deutsche | |
übertragener Graphic Novel "Ausgetrickst" (Edition 52) kommen wir zu einem | |
der Höhepunkte des Musikcomics. Im Zentrum steht der zynische, | |
inspirationslose Songwriter Ray Beam, der seit fünf Jahren keinen Song mehr | |
geschrieben hat, bis ihm das Latino-Girl Lily wieder auf die Sprünge hilft. | |
Parallel dazu erzählt Robinson auf vier weiteren, zunächst locker, dann | |
immer enger verknüpften Plotsträngen die Schicksale von Nick, dem manischen | |
Aufschneider und Fälscher von Baseball-Devotionalien, von Phoebe, die ihren | |
schwulen Vater sucht, von Steve, dem schizophrenen Nerd und Ray-Beam-Fan, | |
der sein Medikamente absetzt und langsam abdreht, und schließlich von | |
Caprice, der Wuchtbrumme mit Bindungsängsten. | |
Virtuos arrangiert Robinson diese komplexe Handlung und lässt am Ende alle | |
Personen ohne auffälliges Krachen im Gebälk zu einem großen Showdown | |
zusammenfinden. Zudem gibt er seiner polyperspektivischen Story das nötige | |
Unterfutter, indem er bei allen Protagonisten das Motiv der Täuschung, des | |
trügerischen Spiels mit Images und Identitäten variiert - und die grafische | |
Umsetzung ist stupend und überaus ambitioniert. Sein Strich ist klar, | |
detailgenau und facettenreich, die Seitengestaltung vielfältig und | |
bisweilen fast experimentell. Nicht zuletzt die aus Steves Perspektive | |
erzählten Szenen, in denen sukzessive der Wahnsinn um sich greift, | |
demonstrieren eindrucksvoll Robinsons zeichnerisches Potenzial. | |
"Ausgetrickst" ist herausragend, nicht nur in dem hier umrissenen Subgenre. | |
14 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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