# taz.de -- Wahl-Voraussetzungen für kleine Parteien: Weniger Unterschriften b… | |
> Kleine Parteien müssen Unterschriften sammeln, um auf dem Wahlzettel zu | |
> stehen. Wegen Corona wollen zwei Bundesländer die Quoten senken. | |
Bild: Abstimmung im Landtag von Baden-Württemberg | |
FRANKFURT AM MAIN/KARLSRUHE taz | Winfried Kretschmann wollte sich zu | |
keinem Kommentar hinreißen lassen. Nur weil er selbst einer Partei angehört | |
habe, die mal klein gewesen sei, könne er noch lange nicht beurteilen, ob | |
es unter Coronabedingungen unzumutbar sei, 150 Unterschriften in jedem | |
Wahlkreis zu sammeln. „Sie werden von mir keine Aussage dazu bekommen“, | |
sagte der Ministerpräsident noch letzte Woche vor JournalistInnen. | |
Auch die Fraktionen im Stuttgarter Landtag hatten kein offenes Ohr für die | |
Nöte der kleinen Parteien mit den Hürden, die das Wahlgesetz vorschreibt. | |
Hätte man mal früher angefangen mit dem Unterschriftensammeln, hieß es. Und | |
das Innenministerium riet dazu, statt an Türen zu klingen, digital um | |
UnterstützerInnen zu werben. | |
Der baden-württembergische Verfassungsgerichtshof hatte da klarere | |
Vorstellungen von Chancengleichheit. ÖDP, Linke, Piratenpartei und Die | |
Partei hatten gegen das baden-württembergische Wahlgesetz geklagt und | |
bekamen am Montag nach einer kurzen mündlichen Verhandlung recht. | |
150 Unterschriften in jedem Wahlkreis sammeln zu müssen, wie es das | |
Wahlgesetz für Parteien vorsieht, die bisher nicht im Landtag vertreten | |
waren, sei angesichts von Kontaktsperren eine zu hohe Hürde, entschieden | |
die RichterInnen. Sie empfahlen die Zahl auf 75 zu halbieren. Dann müssten | |
die Kleinen landesweit immerhin noch 5.250 Unterschriften sammeln. | |
## „Unverhältnismäßige Gesundheitsrisiken“ | |
Wahlrechtsänderungen sind immer Machtfragen. Für CDU und Grüne geht es bei | |
der Landtagswahl im März darum, wer die Nase vorn hat. Umfragen sehen mal | |
die Grünen, mal die CDU als stärkste Partei. In den Popularitätswerten | |
liegt Kretschmann uneinholbar vor seiner Kultusministerin Susanne Eisenmann | |
(CDU). Kommen neue Kräfte ins Spiel, müssen beide befürchten, dass am Ende | |
wichtige Prozentpunkte für die Führung fehlen könnten. | |
Bei der CDU könnten das neben der AfD die Freien Wähler sein, wie zuvor | |
schon in Bayern. Die Grünen könnten durch die [1][frisch gegründete | |
Klimaliste], die sich dafür einsetzt, die Pariser Klimaziele entschiedener | |
durchzusetzen, entscheidend geschwächt werden. „Natürlich kann uns das | |
schaden“, hatte Kretschmann schon vor wenigen Wochen [2][zur Gründung der | |
grüneren Grünen] gesagt: „Es kann sein, dass es nicht für die Regierung | |
reicht.“ | |
Vom Verfassungsgerichtshof dazu gezwungen, geht alles nun ganz schnell. | |
Noch diese Woche soll das geänderte Wahlgesetz durch einen | |
interfraktionellen Antrag geändert werden. | |
Einen versöhnlicheren Weg in dieser Frage gehen die etablierten Parteien in | |
Rheinland-Pfalz. Auch dort wird am 19. März gewählt, auch dort könnten die | |
„kleinen“ Parteien der regierenden Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP | |
entscheidende Stimmen wegnehmen. Doch die Koalitionspartner haben sich hier | |
mit der oppositionellen CDU auf eine Anpassung der Wahlgesetze an die | |
Pandemie verständigt, die die Hürden für die Zulassung zur Wahl deutlich | |
absenkt. | |
## Wahlrechtsänderungen immer auch Machtfragen | |
Am Mittwoch beriet der Landtag einen gemeinsamen Gesetzentwurf der vier | |
demokratischen Parteien, der für faire Bedingungen bei der Zulassung zur | |
Wahl sorgen soll. In einer gemeinsamen Erklärung stellen die vier | |
Fraktionen das fest, was in Baden-Württemberg ein Gericht den | |
Verantwortlichen ins Stammbuch schreiben musste. | |
Durch die aktuell geltenden Kontaktbeschränkungen werde die Sammlung der | |
nötigen Unterschriften „in erheblichem Maß erschwert“. In ihrem Statement | |
ist auch von „unverhältnismäßigen Gesundheitsrisiken“ die Rede, denen | |
KandidatInnen und UnterstützerInnen ausgesetzt würden. | |
Deshalb sollen in den Wahlkreisen statt heute 125 künftig nur noch 50 | |
Unterschriften ausreichen. Landeslisten werden zugelassen, wenn sie von 520 | |
WählerInnen unterstützt werden. Bislang waren dafür 2.080 Unterschriften | |
nötig. | |
„Damit wird gewährleistet, dass auch kleine Parteien bis zum Ablauf der | |
Frist am 29. Dezember eine realistische Chance haben, das Quorum zu | |
erreichen“, stellen die vier parlamentarischen Geschäftsführer fest. | |
Außerdem kann nun die Wahl entweder in einzelnen Bezirken oder im ganzen | |
Land als Briefwahl durchgeführt werden, wenn es die Lage erfordern sollte. | |
Allein die AfD hat mit dieser Regelung ein Problem. Eine „verpflichtende | |
Briefwahl“ sei „unverhältnismäßig“ und erhöhe das „Manipulationsris… | |
erklärte die AfD-Landtagsfraktion. | |
Die übrigen „kleinen“ Parteien begrüßen dagegen die Neuregelungen. Im | |
Vorfeld des Wahlkampfs hatte vor allem die [3][neue Partei Volt], die sich | |
„paneuropäisch progressiv“ nennt, gefordert, die Hürden abzusenken. Auch … | |
Rheinland-Pfalz profitieren die UmweltaktivistInnen, die hier ebenfalls mit | |
einer Klimaliste antreten wollen. Außerdem die Partei die Linken: Sie war | |
bislang stets an der Fünfprozenthürde gescheitert und muss deshalb | |
ebenfalls Unterschriften sammeln. | |
11 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /AktivistInnen-gruenden-Politplattform/!5718245 | |
[2] /Fridays-for-Future-und-Politik/!5720941 | |
[3] /Partei-Volt-kandidiert-bei-Hamburg-Wahl/!5662990 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
Benno Stieber | |
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