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# taz.de -- Völkermord-Resolution: Mit Wahrheit zum Frieden
> In seltener Geschlossenheit votierten die Parlamentarier fast einstimmig
> für die Verurteilung des armenischen Genozids.
Bild: Leere Stühle auf der Regierungsbank: Angela Merkel und Sigmar Gabriel ha…
Die Reaktion folgte prompt. Nicht einmal eine Stunde, nachdem der Bundestag
seine Resolution zum Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen
Minderheiten im Osmanischen Reich beschlossen hatte, rief die Türkei am
Donnerstagmittag ihren Botschafter aus Berlin zurück. Außerdem wurde der
Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Ankara ins türkische Außenamt
zitiert. Mit seinem Beschluss habe das deutsche Parlament einen
„historischen Fehler“ begangen, erklärte der türkische Regierungssprecher
Numan Kurtulmuş.
Dabei hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert zu Beginn der Debatte noch
ausdrücklich die Vertreter der türkischen wie auch der armenischen
Botschaft begrüßt. Er freue sich, dass sie sich „ein persönliches Bild
davon machen, wie ernsthaft und differenziert der deutsche Bundestag mit
diesem Thema umgeht“.
Genutzt hat es jedoch nichts, wie die Reaktionen Ankaras zeigen. Es könne
nicht angehen, „die Geschichte anderer Länder mit grundlosen und
unverantwortlichen Resolutionen im Parlament anzuschwärzen“, nur um die
dunklen Kapitel der eigenen Geschichte zu überdecken, wetterte der
türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu.
Davon kann jedoch keine Rede sein. In der rund einstündigen Aussprache
wiesen vielmehr alle Fraktionen am Donnerstag auf die deutsche
Mitverantwortung an dem Massenmord an bis zu 1,5 Millionen Armeniern in den
Jahren 1915 und 1916 hin. Ein Parlament sei zwar „keine
Historikerkommission und ganz gewiss kein Gericht“, sagte Lammert. Aber der
Bundestag dürfe „unbequemen Fragen und Antworten nicht aus dem Weg gehen“.
Denn als enger Verbündeter des Osmanischen Reichs habe „das Deutsche Reich
selbst Mitschuld auf sich geladen“. Scharf verurteilte er die massiven
Einschüchterungsversuche, denen sich insbesondere Abgeordnete mit
türkischem Familienhintergrund bis hin zu Morddrohungen im Vorfeld
ausgesetzt gesehen haben.
Der SPD-Parlamentarier Rolf Mützenich betonte ebenso „die deutsche
Mitschuld“ wie der Linkspartei-Abgeordnete Gregor Gysi, der von „Beihilfe
zum Völkermord“ sprach. „Dass wir in der Vergangenheit Komplizen dieses
furchtbaren Verbrechens geworden sind, darf nicht heißen, dass wir heute zu
Komplizen der Leugner werden“, sagte der grüne Parteivorsitzende Cem
Özdemir.
## Erinnerung an den Völkermord an den Herero und Nama
Gysi und Özdemir schlugen den Bogen zum Genozid an den Herero und Nama in
den Jahren 1904 bis 1908. Zu diesem dunkelsten Kapitel deutscher
Kolonialgeschichte müsse sich der Bundestag ebenfalls „klar und
unmissverständlich“ äußern, forderte Gysi. „Auch dieser Völkermord wart…
darauf, aufgearbeitet zu werden“, so Özdemir.
Einig waren sich alle Redner in ihren Appellen an die Türkei, endlich
historische Tatsachen anzuerkennen und den Weg der Aufarbeitung zu gehen.
„Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht verantwortlich für das, was
vor 100 Jahren geschah“, sagte Lammert. „Aber sie ist mitverantwortlich für
das, was daraus in Zukunft wird.“
Die gemeinsam von Union, SPD und Grünen vorgelegte Resolution sei „keine
Anklageschrift, sondern eine Verneigung vor den Opfern“, sagte auch der
SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan. Der CDU-Abgeordnete Franz Josef Jung
versicherte ebenfalls, die Türkei solle nicht an den Pranger gestellt
werden. Die Intention sei vielmehr, „einen neuen Impuls der Versöhnung“ zu
setzen.
Es gehe darum, sekundierte nicht minder pathetisch sein Fraktionskollege
Hans-Peter Uhl von der CSU, „mit dem Blick der Wahrheit zurückzuschauen, um
mit dem Blick des Friedens nach vorne schauen zu können“.
Einig waren sich alle Fraktionen in ihrer Zustimmung zu der Resolution. So
beklagte Gregor Gysi nur, dass die Linkspartei auf Geheiß der Union nicht
mit zu den Antragstellern gehören durfte. Diese ungewohnte Geschlossenheit
zeigte sich auch bei der Abstimmung: Es gab nur eine Gegenstimme und eine
Enthaltung. Beide stammten aus den Reihen der CDU. Allerdings zog es so
mancher Abgeordneter vor, der heiklen Entscheidung fernzubleiben.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und
Außenminister Frank-Walter Steinmeier fehlten, offiziell aus Termingründen.
Auf der Regierungsbank saßen nur die Minister Thomas de Maizière, Andrea
Nahles, Hermann Gröhe und Peter Altmaier. Das Wort ergriff keiner von
ihnen.
3 Jun 2016
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Bundestag
Schwerpunkt Türkei
Völkermord Armenien
Schwerpunkt Angela Merkel
Gregor Gysi
Cem Özdemir
Genozid
Schwerpunkt Völkermord an den Herero und Nama
Aydan Özoguz
Schwerpunkt Angela Merkel
Schwerpunkt Türkei
Armenien
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Völkermord Armenien
Völkermord Armenien
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