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# taz.de -- Genozid-Gedenkstätte in Armenien: Der Hüter des Tannenhains
> Gärtner Norik Poghosjan pflegt den Park der Genozid-Gedenkstätte in
> Eriwan. Es ist auch die Geschichte seiner Familie, die hier gewürdigt
> wird.
Bild: Norik Poghosjan hat schon den „idealen Standort“ für die Tanne von P…
Eriwan taz | Das Exemplar von Wladimir Putin ist zerzaust, das vom
russischen Premierminister Dmitri Medwedjew vergleichsweise winzig. Die
Tannen der europäischen Staatschefs sind dagegen eher Standard – mal etwas
fülliger, mal schmal und lang. Den mächtigsten Baum aber hat Sultan bin
Mohamed al-Qasimi, der Herrscher des Emirats Schardscha.
Doch ganz gleich, wie der Wuchs der Bäume ist, für alle ist Gärtner Norik
Poghosjan zuständig. Er kümmert sich um die etwa zweihundert Tannen, die
Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Prominente aus der ganzen Welt in
der armenischen Hauptstadt Eriwan gepflanzt haben. Entstanden ist ein Hain,
der an die Opfer des Völkermords an den Armeniern 1915 im Osmanischen Reich
erinnert – als Teil des Genozid-Museums.
Warum wachsen die Bäume so unterschiedlich, wo sie doch in derselben Erde
stecken? „Es ist nicht meine Schuld“, zuckt Norik Poghosjan mit den
Schultern. „Wer hat, der hat“, fügt er sibyllinisch hinzu. Seit 16 Jahren
kümmert sich Poghosjan um den Park. Der 64-Jährige kennt jeden Baum, nennt
jeden Stifter. Zum Beweis steuert er umgehend auf den Hain zu, er schiebt
Zweige aus dem Gesicht. Links und rechts haben sie sich verewigt –
ehemalige und heutige Präsidenten, Außenminister und Parlamentssprecher,
aus Frankreich, Österreich, Finnland, amerikanische Senatoren und
französische Bürgermeister, Parlamentarier, Romano Prodi, Regisseur Emir
Kusturica und Steve Wozniak, Mitgründer des Apple-Konzerns.
Bei Bäumen von Politikern und Prominenten wirkt Poghosjan leidenschaftslos.
Anders bei solchen, die religiöse Würdenträger gepflanzt haben. Die nennt
Poghosjan ehrfürchtig „heilige Bäume“. Er deutet auf ein Gewächs. Diesen
Baum hat 2001 Johannes Paul II. bei seinem Besuch gepflanzt. Und Mitte Juni
wird wieder ein hoher Gast aus dem Vatikan erwartet – Papst Franziskus.
„An der Stelle werde ich graben.“ Poghosjan deutet stolz auf den Boden zu
seinen Füßen. „Ich habe einen idealen Ort ausgesucht.“ Es dürfte ein
Höhepunkt in Poghosjans stillem Schaffen werden. Dann wird er auch seine
Militärjacke gegen ein Jackett tauschen. Es sei übrigens keine Uniform,
beteuert er. Die Jacke sei einfach wind- und wasserdicht.
## Manche Bäume gehen ein
Deutsche waren natürlich auch schon hier, fährt er fort. Die
Genozidforscherin Tessa Hofmann und Markus Meckel, letzter
DDR-Außenminister und bis 2013 für die SPD im Bundestag, haben im Jahr 2000
Tannen gepflanzt. Doch die Bäumchen sind eingegangen. Sie wurden auch
nicht, wie bei Medwedjew, ersetzt. Dessen zweiter Baum ist inzwischen auch
wieder eingegangen, und so steht an seiner Stelle dieser Winzling.
Eigentlich ist die Erde zu steinig, räumt Poghosjan jetzt ein. Der karge
Hügel tauge nicht für Tannen. 64 Bäumchen seien deswegen schon vertrocknet.
Außenminister Frank Walter Steinmeier war übrigens auch schon hier. Doch
einen Baum hat er nicht gepflanzt. Es ist eine heikle politische Geste.
Auch Cem Özdemir hat vorerst darauf verzichtet. Schluss mit Diplomatie.
Poghosjan will den Gedenkhügel hinauf, der Schwalbenfestung heißt. Erst zum
50. Jahrestag des Völkermords 1965 veranlassten die Behörden in der
damaligen Hauptstadt Moskau die Entstehung dieser Gedenkstätte, erzählt er.
Entstanden ist ein typisch sowjetischer Monumentalbau.
Zwölf gewaltige Pylonen aus Basalt umfassen die ewige Flamme. Daneben ragt
ein etwa 40 Meter hoher Obelisk wie eine Nadel in den Himmel, ihm gegenüber
erstreckt sich eine hundert Meter lange Mauer mit den Namen der Städte und
Dörfer, in denen 1915 Massaker gegen Armenier stattgefunden haben. Seitdem
versammeln sich am 24. April alljährlich Hunderttausende Menschen hier.
## Es kommen viele Diaspora-Armenier
Hinter der Mauer blühen etwa hundert Aprikosenbäume, kaum zwei Meter hoch.
Poghosjan blickt versonnen auf die noch zarten Triebe. Viele Besucher
werden nur einmal in ihrem Leben das „Aprikosenland“ Armenien besuchen,
glaubt er. Doch den Geschmack der Frucht, die nach Sonne schmeckt, werden
sie nie vergessen.
Es gibt Tage, da kommen etwa 300 Besucher, berichtet Poghosjan, viele
Armenier aus der ganzen Welt, Touristen, Journalisten, ganze Delegationen.
Die Gespräche mit den Diaspora-Armeniern gefallen ihm besonders. Sie
erzählen dann von den Ländern, in denen sie leben. Und Poghosjan
revanchiert sich mit Geschichten aus Armenien. Manchen laufe das Herz über,
wenn sie aus dem Museum herauskommen, hat Poghosjan beobachtet. Da ist er
dann so etwas wie ein Seelsorger.
Andere bitten ihn, einen bestimmten Tannenbaum zu finden. So wie der Junge
aus Beirut, der den Baum des libanesischen Staatspräsidenten Michel
Sulaiman gesucht hat. Einmal hat Poghosjan den Sohn seiner besten
Schulkameradin hier kennengelernt. Nach dem Abitur sei sie nach Frankreich
ausgewandert. Seitdem hatte er nichts mehr von ihr gehört. Bis der Sohn
hier aufkreuzte.
## Kinder reagieren gestresst
Eine Familie kommt jetzt auf ihn zu. Auf der Schultern des Vaters sitzt ein
kleines Kind. „Peinlich!“, ärgert sich Poghosjan. Er hält es für keine g…
Idee, Kinder mit zum Mahnmal mitzunehmen. „Die Kinder haben Stress“, ist er
sich sicher. Er habe es jedenfalls schon oft erlebt, dass manche nach dem
Museumsbesuch weinen. Ein Kind sei sogar bewusstlos geworden. Seinem
eigenen Enkel hat er das erst mit zwölf zugemutet.
Und, hört er hier auch manchmal die türkische Sprache? „Ja, ganz oft!“
Manchmal ärgere er sich darüber, weil sie lachen, anstatt zu trauern.
Einmal aber hat er eine Gänsehaut gekriegt. Denn plötzlich ging ein Türke
vor der Ewigen Flamme auf die Knie. Es muss so ähnlich wie bei Willy Brandt
in Warschau gewesen sein. „Ich habe seit meiner Kindheit im Ohr: Der Türke
bleibt immer ein Türke! Feind bleibt immer Feind“, erinnert sich Poghosjan.
Und dann das. Längst hat er seine Meinung geändert. Der Gärtner wünscht
sich, dass viel mehr Türken nach Armenien kommen und das Mahnmal besuchen.
Umgekehrt war er auch schon mit seiner Frau in Istanbul. „Unvergesslich!“,
schwärmt er.
Poghosjan weiß, dass nicht alle in Armenien seine Position teilen. Sein
Vater hat ihm vom Schicksal seiner Großeltern berichtet. Es ist kein
Ruhmesblatt für die Türkei. Sein Großvater sei Offizier in der osmanischen
Armee gewesen, berichtet der Gärtner. Ein türkischer Kollege hätte ihn
gewarnt, dass die Gendarmerie bald gegen die armenischen Siedlungsgebiete
vorgehen und die Armenier vertreiben wolle. Er solle sich beeilen, seine
Familie zu retten. Doch als der Großvater zu Hause eintraf, hatten die
Jungtürken ihr Blutbad schon vollendet. Alle waren tot, bis auf seine
Schwester. Ein arabischer Arzt hat die beiden dann mit nach Syrien
genommen, wo später die Eltern von Norik Poghosjan geboren wurden. 1947
sind sie dann in das sowjetische Armenien ausgewandert, wo bald Sohn Norik
zur Welt kam.
„Ich werde in die Türkei umziehen und den Rest meines Lebens in unseren
alten Gebieten verbringen“, sagt Poghosjan überraschend und meint es
scheinbar ernst. 1990 sei er auch schon mal für zwei Monate ins syrische
Kesab gefahren. „Kennen Sie das Gefühl, wenn man plötzlich sein Elternhaus
wiederfindet?“ Dann aber durchfährt ihn ein Ruck: „Ich werde Armenien nie
verlassen. Hier ist das Elternhaus meiner Kinder!“ Und während er das
bekennt, ist die armenische Liturgie zu hören, die aus Lautsprechern den
Hügel beschallt.
## Symbol der verlorenen Heimat
Es ist Feierabend, das Museum ist geschlossen, alle Mitarbeiter sind nach
Hause gegangen, bis auf eine Frau, die unter dem Schatten eines Baumes auf
den Gärtner wartet. So ist es immer, seit sieben Jahren schon. Die
61-jährige Sima Tchbetjan ist Putzfrau im Genozid-Museum und seit 43 Jahre
mit dem Gärtner verheiratet. Zusammen haben sie vier Kinder und sieben
Enkel. Die Frau blickt ein wenig irritiert, als sie die Fragen hört: Was
würde die türkische Anerkennung des Völkermords an die Armenier in ihrem
Leben ändern? Würde ihre Familie dann besser leben? – „Besser nicht, aber
in Frieden schon“, sagt sie.
Mit einer Kopfbewegung deutet sie auf den Berg Ararat. Beim Bau des
Monuments wurde die Sichtachse zum Ararat bewusst gewählt. Der armenischste
aller Berge liegt seit 1921 nahezu unerreichbar in der Türkei. Vier junge
Paare sitzen noch auf dem Dach des Museums und beobachten die Wolken, die
seinen Gipfel umhüllen.
2 Jun 2016
## AUTOREN
Tigran Petrosyan
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