# taz.de -- Versicherung in Österreich: Geld für den Super-GAU | |
> L‘Amie bietet eine Police für atomare Unfälle an. Sie kostet bis zu | |
> 100.000 Euro. Die Anti-Atom-Bewegung hält diese Summe für einen | |
> schlechten Witz. | |
Bild: Falls das tschechische Atomkraftwerk Temelin einmal hochgeht, sind 100.00… | |
FREIBURG taz | In Österreich können sich Privatleute jetzt gegen Schäden | |
durch einen atomaren Super-GAU versichern. Mit einem entsprechenden Angebot | |
geht eine Assekuranz aus Linz mit dem Namen L’Amie auf Kundenfang. Für eine | |
Jahresprämie von rund 720 Euro sollen im Fall eines Super-GAU je nach | |
Region bis zu 100.000 Euro an den Versicherungsnehmer ausgezahlt werden. | |
Während Österreich selbst zwar nie ein Atomkraftwerk in Betrieb nahm, sind | |
in den Nachbarländern die Reaktoren oft nicht weit. Zum Beispiel die | |
osteuropäischen Meiler Dukovany, Bohunice, Mochovce und Temelín. Aber auch | |
ein Unfall in einem AKW in Deutschland oder der Schweiz würde Österreich | |
erheblich treffen. Die Online-Tochter des österreichischen | |
Versicherungsmaklers Intergal verspricht: Geht ein Reaktor in der Nähe | |
hoch, erhalte der Kunde den Betrag „einfach und unbürokratisch“, wie es | |
heißt, also „ohne den sonst üblichen und langwierigen | |
Schadenermittlungsprozess“. | |
Man nutze ein simples Kriterium, erklärt das Unternehmen: Ausgezahlt werde | |
bei einem Störfall der höchsten Kategorie der internationalen Skala Ines, | |
nämlich Ines 7. Also nur bei solchen Katastrophen wie in Tschernobyl und | |
Fukushima. Bei einem Störfall der Kategorie Ines 6, der nach offizieller | |
Skala bereits eine „bedeutende Freisetzung radioaktiver Stoffe“ mit sich | |
bringt, geht der Versicherte noch leer aus. Für welche Reaktoren die Police | |
gilt, wird bei Vertragsabschluss je nach Wohnsitz des Versicherungsnehmers | |
definiert. | |
Die in Österreich starke Anti-Atom-Bewegung hält das Angebot für einen | |
schlechten Scherz. Das Schadensvolumen der Fukushima-Katastrophe werde auf | |
100 Milliarden Euro geschätzt, sagt Reinhard Uhrig, Atomexperte der | |
Umweltorganisation Global 2000 in Wien. Und ein möglicher Unfall in | |
Frankreich sei 2013 vom staatlichen Institut de Radioprotection et de | |
Sûreté Nucléaire IRSN sogar auf 430 Milliarden Euro geschätzt worden. | |
Uhrigs Fazit: „Das kann keine Versicherung der Welt stemmen.“ | |
## Verharmlosung des atomaren Risikos | |
Heinz Stockinger von der Salzburger Plattform gegen Atomgefahren nennt die | |
neue Versicherung „eine Abzocke vonseiten des Versicherungsmaklers“. Zumal | |
die Absicherung auf einige grenznahe AKWs beschränkt sei. Hingegen weiß man | |
spätestens seit Tschernobyl, dass ein Atomunfall auch noch in mehr als | |
tausend Kilometer Entfernung Strahlenschäden hinterlassen kann. | |
Die Salzburger Umweltorganisation hält das Angebot daher „für eine bewusste | |
Verharmlosung des atomaren Risikos“. Es suggeriere, dass allenfalls aus der | |
nächsten Nähe Gefahr drohe und dass die Schäden durch eine private | |
Versicherung abdeckbar seien. Wer wirklich etwas zur finanziellen | |
Absicherung gegen atomare Risiken tun wolle, der müsse für eine drastische | |
Erhöhung der Atomhaftpflicht der Atomanlagenbetreiber und der | |
Zulieferfirmen eintreten. | |
So fordert auch Global 2000 ein EU-weites Haftungssystem mit einer | |
realistischen Versicherungssumme. Rechtliche Basis für eine Anhebung der | |
Deckungssummen wäre der Euratom-Vertrag, in dem es in Artikel 98 heißt: | |
„Die Mitgliedstaaten treffen alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um den | |
Abschluss von Versicherungsverträgen zur Deckung der Gefahren auf dem | |
Kerngebiet zu erleichtern.“ | |
Doch der Versicherer aus Linz zieht das Thema lieber von der anderen Seite | |
auf. Nicht die Anlagenbetreiber sollen sich versichern, sondern die Bürger | |
sollen es selbst tun. Mit dem im Schadensfall fließenden Geld, so heißt es, | |
ließen sich nämlich die „finanziellen Folgen“ der Katastrophe „abfedern… | |
Als da sind: „Kosten für Dekontamination von Gärten, Häusern, Fahrzeugen | |
etc., Kosten für die Verlagerung des Wohnsitzes ins Ausland, der Anstieg | |
der Lebenserhaltungskosten, Wertverlust von Immobilien, Jobverlust sowie | |
Kosten für bauliche Maßnahmen“. | |
In Linz versichert man: Das Angebot ist ernst gemeint. Als junger | |
Online-Anbieter sei man gänzlich unpolitisch, man sichere lediglich ein | |
bestehendes Risiko ab. Eines, das kein Umweltverband hätte eingängiger | |
darstellen können. | |
23 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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