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# taz.de -- Verschwörungsideologe Anselm Lenz: Das perfekte Alibi
> Der Initiator der Corona-Proteste schmückt sich mit seiner Mitstreiterin
> Batseba N'Diaye. Doch die Frau an seiner Seite gibt es wohl gar nicht.
Bild: Fehlt da nicht wer an seiner Seite?
Berlin taz | [1][Anselm Lenz] reicht es schon lange. Der ehemalige
freischaffende Künstler und Journalist initiierte vor einem Jahr mit den
[2][Hygienedemos am Rosa-Luxemburg-Platz] die verschwörungsideologischen
Proteste gegen die Coronapolitik. So lange schon wittert er die
Revolution. Einerseits die durch das „Regime“, das seiner Meinung nach
Bürgerrechte und Demokratie abschaffen will. Andererseits hofft er auf den
Aufstand derjenigen, die seine Wahrheit erkannt haben.
Lenz versucht nach Kräften, seinen Beitrag zu leisten: umtriebig,
aufbrausend, mit enormem Mitteilungsdrang – und zunehmend radikaler. Am
Montag ist er dabei, wenn das neue Protestprojekt „#Esreicht“ zur ersten
Ausgabe einer „Montagsdemo“ vor dem Brandenburger Tor ruft.
Zwei treue Begleiter hat er stets an seiner Seite: Einer davon ist der
Dramaturg Hendrik Sodenkamp, der stillere Schatten von Lenz, der mit ihm
bereits bei dem 2014 ins Leben gerufenen Politkunstprojekt [3][Haus
Bartleby und dessen Kapitalismustribunal] wirkte.
Zweitens begleitet ihn, so steht es auch in Lenz’ Wikipedia-Eintrag,
Batseba N’Diaye. Mit ihr zusammen verfasst er Artikel, die etwa bei KenFM
erscheinen. Mit ihr und Sodenkamp gibt Lenz – so steht es im Impressum –
die Bewegungszeitung Demokratischer Widerstand heraus, die er mit der für
ihn typischen Übertreibung gern „die größte Wochenzeitung Europas“ nennt.
Aber wer ist die Frau mit dem westafrikanischen Familiennamen, der
besonders im Senegal massenhaft verbreitet ist?
Laut ihrem Facebook-Profil kommt N’Diaye aus dem Taunus, lebt in Hamburg,
hat für das äthiopische Institute for Peace and Security Studies gearbeitet
und ebenfalls am Kapitalismustribunal mitgewirkt. Bei KenFM heißt es
dagegen: „Sie ist Mutter und arbeitete bis zum Beginn des Corona-Regimes
als Altenpflegerin in Berlin.“
Auf ihre Handvoll Facebook-Posts haben lediglich das Haus Bartleby und
Sodenkamp reagiert. Ein Bild gibt es von ihr nicht. Die taz hat einige
Kenner der Proteste befragt: Alle kennen ihren Namen, doch niemand hat sie
je gesehen. Eine vermeintlich schwarze Frau im Umfeld von Lenz und
Sodenkamp wäre nicht unentdeckt geblieben.
Ein Blick in die wenigen Texte, die N’Diaye als Alleinautorin verfasst
haben soll, lässt eine große Ähnlichkeit mit der Tonalität von Lenz
erkennen – stets mit größtem Pathos und dickstem Hammer. Die Coronapolitik
etwa ziele auf die „Vernichtung sämtlicher zivilisatorischer Standards
zugunsten eines kriminellen Pharma- und Kontrollregimes“, schreibt sie.
Oder: „Die einstige Öko-Tageszeitung taz, die nicht anders als
neofaschistisch bezeichnet werden kann“. In diesem emotionalisierenden Stil
arbeitet sich auch Lenz an der taz ab. Bis zu seinem Coming-out als
Verschwörungsideologe schrieb er als freier Autor auch für die taz Berlin.
## Ein perfektes Alibi
Einer, der N’Diaye kennen müsste, ist Jörg Petzold, der mit Lenz und dessen
ehemaliger Lebensgefährtin Alix Faßmann einst das Haus Bartleby begründete,
sich aber ebenso wie Faßmann von ihm heute distanziert. Auf taz-Anfrage
sagt er, der Name N’Diaye sei „aufgetaucht, als wir am Tribunal gearbeitet
haben“. Für die Abschlussgala der künstlerischen Kapitalismusanklage am
Wiener Theater Brut stand N’Diaye als Sängerin im Programm. Petzold jedoch
sagt, diesen Auftritt habe es nicht gegeben. Seine Erklärung: „Batseba
N’Diaye ist keine reale Person, sondern wurde von Anselm Lenz 2016
erfunden.“ Eine weitere Person, die damals beteiligt war, bestätigt das auf
Anfrage der taz.
Einmal zumindest trat aber eine Person mit diesem Namen in Erscheinung, bei
einem Interview, das der Journalist Peter Nowak für den Freitag mit den
Haus-Bartleby-Aktivist*innen Lenz, Sodenkamp, Faßmann und N’Diaye führte.
Auf Nachfrage erinnert sich Nowak und sagt: „Also zumindest war es eine
reale Person, die unter den Namen dort auftrat.“ Sie soll auch gesagt
haben, dass es sich bei N’Diaye um einen Künstlernamen handele. Nichts aber
spricht dafür, dass die Person aus dem Interview heute an Lenz’ Seite die
Revolution heraufbeschwören will.
Petzold kann sich vorstellen, warum Lenz, schon immer ein Spieler mit
Scheinwelten, N'Diaye mitbrachte in sein Dasein als Protestler gegen
Anti-Coronamaßnahmen: „Es ist super, so einen Namen zu haben, wenn es darum
geht, Dinge salonfähig zu machen, die eindeutig rechte Positionen sind.“
Damals beim Kapitalismustribunal diente die Mitstreiterin womöglich als
Alibi gegen Eurozentrismusvorwürfe. Heute soll sie den Aktivisten Lenz, der
seine linke Vergangenheit längst hinter sich gelassen hat, davor bewahren,
gänzlich in die rechte Ecke gestellt zu werden. Tatsächlich hat sich Lenz
seit Beginn des Demokratischen Widerstands rechter Narrative bedient – von
Lügenmedien bis zur von Eliten gesteuerten Verschwörung – und der Teilnahme
rechter Protagonist*innen nicht widersprochen.
Zum Jahrestag der Rosa-Luxemburg-Platz-Proteste vor einer Woche drohte Lenz
auf der Bühne, Menschen „zur Rechenschaft“ zu ziehen, die für Schäden bei
seinen Mitstreiter*innen verantwortlich seien. Schon am Wochenende will
er bei [4][Querdenken in Stuttgart] auftreten.
Am Montag dann wagt er seinen nächsten Schritt als rechtsgedrehter
Aktivist. Bei „#Esreicht“ will er neben dem Herausgeber des rechtsextremen
[5][Compact-Magazins], Jürgen Elsässer, dem ehemaligen
baden-württembergischen AfD-Abgeordneten und QAnon-Anhänger Heinrich
Fiechtner und anderen Scharfmacher*innen der Szene sprechen. Seine
Alibikomplizin wird nicht mit auf der Bühne stehen.
3 Apr 2021
## LINKS
[1] /Koepfe-der-Corona-Relativierer/!5681132
[2] /Corona-und-Verschwoerungstheoretiker/!5675712
[3] /Berliner-Schlendrian/!5371283
[4] /Neonazis-in-der-Corona-Protestbewegung/!5758371
[5] /Compact-Magazin-in-der-Krise/!5676890
## AUTOREN
Erik Peter
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