# taz.de -- Verkehrswende in Städten: Die Poller-Politik | |
> In Leipzig sollen „Superblocks“ für weniger Autoverkehr und Platz für | |
> Begegnungen sorgen. Doch manche Anwohner:innen fühlen sich davon | |
> überfahren. | |
Bild: Autoblockade: Der Verkehr rollt nicht mehr, er läuft | |
LEIPZIG taz | Ariane Jedlitschka steht mitten auf der Straße zwischen | |
Wohnblocks aus malerischen Altbauten. Vor ihr zehn diagonal aufgereihte | |
Poller auf einer Kreuzung. Hinter ihr, „die umkämpftesten 60 Meter in | |
Leipzig“, sagt sie: das Superblock-Pilotprojekt im Osten der Stadt. | |
Es ist ein lauwarmer Freitag Ende April und Jedlitschka präsentiert bei | |
einer kleinen Konferenz den Verkehrsversuch vor Ort. Ein bronzefarbener SUV | |
rauscht hinter ihr um die Kurve, er drosselt sein Tempo fürs Abbiegen kaum. | |
Ein Radfahrer schlängelt sich durch die Poller. | |
Das Superblock-Projekt gibt es hier seit gut einem Jahr. Jedlitschka und | |
ihr Verein, „Superblocks Leipzig“, haben es angeleiert und sich mit der | |
Stadt zusammengetan. Der Autoverkehr, vor allem der Durchgangsverkehr durch | |
das Wohngebiet, soll reduziert werden. Menschen sollen aber mobil und das | |
Viertel zugänglich bleiben, deshalb herrscht keine vollständige | |
Autofreiheit. | |
Trotzdem gibt es dagegen in Leipzig lauten Widerstand. Eine Petition | |
fordert, das Projekt zu stoppen, Gewerbetreibende sorgen sich um Ladezonen | |
und Parkflächen, Anwohner:innen fühlen sich übergangen. Am Vorabend hat | |
eine deutliche Mehrheit im Stadtrat beschlossen, das Projekt schrittweise | |
von den 60 Metern auf das ganze Wohnquartier auszuweiten, die Menschen im | |
Viertel sollen sich daran beteiligen können. | |
## Vorbild Barcelona | |
Die Idee der Superblocks kommt aus Barcelona. Viel Verkehr, dichte | |
Besiedlung, wenig Grün, dreckige Luft, hohe Lärmbelastung: Damit kämpft die | |
katalanische Großstadt schon seit Jahrzehnten. Mitte der 2010er Jahre sah | |
sich die Stadtverwaltung gezwungen zu handeln und organisierte den | |
Autoverkehr in Wohnvierteln um. | |
Weite Teile Barcelonas bestehen aus quadratischen Häuserblocks. Für einen | |
Superblock, Katalanisch Superilla, werden dort drei mal drei dieser | |
Häuserblocks zusammengefasst. Die Hauptstraßen um den Superblock herum | |
werden wie vorher befahren. Innerhalb des Blocks führen Diagonalsperren an | |
Kreuzungen, Einbahnstraßen und Tempolimits dazu, dass Autos nicht mehr mit | |
voller Geschwindigkeit geradeaus durch das Wohngebiet abkürzen können. | |
Fußgänger:innen und Radfahrende haben Vorrang. | |
Zweispurige Straßen werden einspurig, auf der äußeren Spur wird Platz | |
gemacht für Parkbänke zum Kaffeetrinken, für Hochbeete und Bäume. Der erste | |
Superblock entstand 2017 im Stadtviertel Poblenou. Anfangs war der | |
Widerstand groß – auch hier vor allem in den Reihen der Gewerbetreibenden. | |
Das befürchtete Geschäftssterben blieb jedoch aus. | |
Nach Barcelonas Vorbild haben sich deutschlandweit Initiativen für ähnliche | |
Projekte gegründet. In Berlin gibt es zum Beispiel Kiezblocks, in Darmstadt | |
sogenannte Heinerblocks, in Wuppertal und Stuttgart setzen sich Menschen | |
für einen Superblock ein. Die Idee: Autoverkehr verringern, Lärm und | |
CO2-Emissionen in der Stadt senken, Hitze bekämpfen, Platz für Pflanzen und | |
Anwohner:innen schaffen. Letztlich auch: die Klimakrise angehen. | |
## Ziel: weniger Autos | |
„Ein Superblock ist die Verkehrswende im Kleinen“, sagt Hans Hagedorn. Der | |
Stadtplaner ist für Changing Cities aktiv – eine Organisation, die sich für | |
einen Verkehrswandel stark macht, der klima- und menschenfreundlich ist. | |
Changing Cities hat dafür 2023 Richtlinien erarbeitet, an denen sich Städte | |
orientieren können, wenn sie einen Superblock wollen. Hagedorn hat sie | |
maßgeblich mitverfasst. | |
In schwarzer Jacke und schwarzer Hose sitzt er auf einer Parkbank, nur ein | |
paar hundert Meter entfernt vom 60 Meter langen Verkehrsversuch in Leipzig. | |
Die Aktivist:innen um Ariane Jedlitschka haben ihn zum Netzwerken | |
eingeladen. „Superblocks sind zwar nicht komplett autofrei“, erklärt er, | |
das rechte Bein über das linke geschlagen. | |
Wenn Pkw aber nur noch langsam und schleifenförmig durch Wohngebiete | |
fahren, werde der Verkehr nicht nur verlagert. Die Menschen in der Stadt | |
würden nach einer Weile doch lieber ein anderes Verkehrsmittel nehmen, um | |
an ihr Ziel zu kommen. „Dadurch wird in absoluten Zahlen weniger Auto | |
gefahren.“ | |
Das Pilotprojekt in Leipzig liegt in der Hildegardstraße, die direkt die | |
bekannte Eisenbahnstraße im Osten der Stadt kreuzt. Vor etwa einem Jahr | |
malte der Verein dort mitten auf den Asphalt drei bunte Kreise: anderthalb | |
Meter Radius, einer rosa, einer grün, einer gelb. Darauf landeten runde | |
Sitzbänke in den gleichen Farben, mit Blumenkübeln in der Mitte und einem | |
bunten Lampenschirm obendrüber. Spielstraßenschilder sollen die Autos | |
bremsen, damit Nachbar:innen zusammenkommen können. So die Idee. | |
## Die Kaffee auf der gelben Bank | |
Aber wie kommt das an? An diesem Freitag Ende April erwidert ein Mann mit | |
einem Fahrradanhänger die Frage mit einem nervösen Lächeln. Er wohnt in | |
einem der sechs Häuser, die direkt im Superblock-Pilotprojekt liegen und | |
schließt die Tür auf. Das Projekt, sagt er, sei „eine gute Idee, weniger | |
Autos ist ruhiger und sicherer für die Kinder.“ | |
Während er seinen Anhänger die Treppe zum Haus hochzieht, erzählt er, dass | |
er sich auch hin und wieder auf die Bänke setze. Nur abends, da werde es | |
jetzt lauter, weil mehr Menschen auf den Straßenmöbeln Alkohol trinken. Er | |
verzieht das Gesicht. Trotzdem: Das Projekt könne man auch in anderen | |
Straßen machen. Der Klimawandel sei ein großes Problem. Das könne er auf | |
Deutsch aber nicht so gut erklären, entschuldigt er sich lächelnd und zieht | |
den Anhänger die letzte Stufe hoch ins Haus. | |
Etwas weiter trinken zwei Frauen Kaffee auf der gelben Bank. Die Farbe ist | |
nach einem Jahr deutlich ausgeblichen. Wie ihnen der Superblock gefällt? | |
Eine antwortet prompt. Sie sei Bühnen- und Kostümbildnerin, ihr Atelier | |
liege direkt um die Ecke. „Ich find’s scheiße!“ | |
Die Bühnenbildnerin versichert: „Klar ist die Verkehrswende wichtig.“ Aber | |
sie befürchte zum einen, dass die Mieten steigen, wenn das Viertel durch | |
einen Superblock aufgewertet werde. Und zum anderen, dass sie ihr Material | |
nicht länger zum Atelier liefern könne. „Am Ende wohnen nur noch Leute | |
hier, die sich eine Alternative zum Auto leisten können.“ Während sie | |
spricht, fährt ein weiterer, weißer SUV dicht und zügig an der gelben Bank | |
vorbei. | |
## Entlastung für die Entlastungsstraße | |
Wie genau und warum lenkt die Stadt Leipzig hier den Verkehr? Der | |
Superblock-Abschnitt auf der Hildegardstraße grenzt im Norden an die | |
Ludwigstraße und südlich an die Eisenbahnstraße. Letztere ist eine der | |
Hauptverkehrsadern in Leipzigs Osten, mit Tramschienen in beide Richtungen, | |
Radwegen und jeder Menge Ampeln. Die Ludwigstraße zieht sich parallel dazu | |
direkt durch das Wohnquartier, etwas enger, aber ohne Tram, ohne Ampeln. | |
Wenn es Stau auf der Eisenbahnstraße gab, kürzten einige | |
Autofahrer:innen über die Ludwigstraße ab. Das verhindert jetzt der | |
Superblock: Vor einem Jahr, zur gleichen Zeit wie die Sitzbänke, hat die | |
Stadt die zehn weiß-roten Poller installiert. Sie verlaufen auf der | |
Kreuzung am Ende der Hildegardstraße einmal diagonal über die Ludwigstraße. | |
Das stoppt die Autos – aber Fahrräder und Fußgänger:innen kommen weiter | |
durch. | |
Am anderen Ende des Superblocks röhrt am Freitag die Tram auf der | |
Eisenbahnstraße vorbei. Von dort biegen immer wieder Autos in die | |
Hildegardstraße, fahren an den Superblock-Bänken vorbei, bleiben vor den | |
Pollern stehen. Sie könnten jetzt noch nach rechts abbiegen. Aber sie | |
wenden und rollen den Weg zurück, den sie gekommen sind. Die meisten sind | |
dabei deutlich schneller als die sieben Stundenkilometer, die in der | |
Spielstraße erlaubt sind. | |
Auf dem Gehweg läuft derweil eine weitere Frau entlang und beäugt die | |
bunten Bänke auf der Straße. Sie arbeite in der Nähe und kritisiert: Bei | |
der Entscheidung über das Pilotprojekt seien Anwohner:innen und | |
Gewerbetreibende nicht einbezogen worden. Ihren Namen wolle sie nicht | |
sagen. Die Stimmung sei zu aufgeheizt. | |
## Immobilien, Kunst und Stadtentwicklung | |
Etwa 500 Meter weiter steht Ariane Jedlitschka draußen unter hohen Bäumen, | |
gegenüber einer Schule. Ab und an bahnen sich Sonnenstrahlen den Weg durch | |
die dünne Wolkendecke. Jedlitschka trägt ein Stirnband, trotz der | |
Temperaturen, einen türkisfarbenen Baumwollmantel und einen Rucksack, | |
dunkelorange und funktionell. An einem ihrer Ohrläppchen hängt ein | |
knallgelber, mondsichelförmiger Ohrring. „Eigentlich ist das Viertel | |
ruhig“, sagt die 45-Jährige. „Aber der Pendlerverkehr morgens und abends | |
ist enorm.“ | |
2015 ist sie mit Mann und drei Kindern in die Hildegardstraße gezogen – | |
also dorthin, wo es jetzt verkehrsberuhigt ist. Sie hat | |
Immobilienwirtschaft studiert. Heute organisiert sie Kunstprojekte und ist | |
in mehreren Vereinen für kulturelle Bildung aktiv. Seit sie in dem Quartier | |
wohnt, engagiere sie sich für die Entwicklung des Stadtteils und die | |
Einbindung der Anwohner:innen, sagt sie. | |
2021 haben sie und ihr Mann den Verein „Superblocks Leipzig“ mitgegründet. | |
Inzwischen hat der Verein zehn feste Mitglieder. Von Oktober 2021 bis April | |
2024 förderte eine Initiative des Bundesbauministeriums den „Superblocks | |
Leipzig“ und das Pilotprojekt. | |
„Die ganze Kreuzung war mit Autos vollgeparkt“, erzählt Jedlitschka. „Die | |
Straßen sind nicht so breit, aber man konnte sie trotzdem nicht sicher | |
überqueren.“ Vor allem Kinder hätten Mühe, zwischen den großen parkenden | |
Wagen den Verkehr zu überblicken. | |
## Lieferverkehr frei | |
Warum ein Verein für Superblocks – und nicht etwa für Zebrastreifen, | |
Bodenwellen oder Einbahnstraßen? Nach der Coronapandemie sei das Konzept | |
der Superblocks in aller Munde gewesen. Man könne es vergleichsweise | |
einfach umsetzen „und von da aus weiterdenken“, sagt Jedlitschka und deutet | |
mit den Armen eine Bewegung nach vorne an. | |
Weiterdenken, das heißt für die Künstlerin, dass der Superblock mehr sein | |
kann als Verkehrsplanung. Sie wolle das Viertel mitgestalten. Auf der | |
Straße sollen Menschen zusammenkommen, da soll ein Kulturraum, ein gutes | |
Leben entstehen, da soll die Gesellschaft krisenfest werden. | |
Und weiterdenken, das bedeutet auch: Der Superblock hier in Leipzig wird | |
tatsächlich ausgeweitet. So hat es der Stadtrat am Vorabend überraschend | |
eindeutig beschlossen, mit Stimmen von Grünen, Linken, SPD und Freibeutern. | |
„Hier sollen Poller stehen“, sagt Jedlitschka, auf Zehenspitzen, und zeigt | |
auf eine Straßenecke. „Und hier“, direkt neben der Liefereinfahrt der | |
Schule. Lieferfahrzeuge hätten so immer noch freie Fahrt. In den Händen | |
hält sie einen Plan des Viertels, der zeigt, wie es in ein paar Jahren | |
aussehen soll. | |
Zuerst sollen die Durchgangssperren vor der Schule aufgestellt werden, | |
später dann an voraussichtlich sieben weiteren Kreuzungen. Der nächste | |
Schritt ist eine Fahrradstraße, parallel zur Eisenbahnstraße auf der | |
Ludwigstraße. Danach könnten noch mehr Spielstraßen kommen, genau wie in | |
der Hildegardstraße mit bunten, runden Sitzbänken und Hochbeeten. | |
## Sind alle gefragt worden? | |
Und: Vor allem für Lieferfahrzeuge und Pflegedienste sollen | |
Kurzzeitparkplätze und Ladezonen entstehen. Im Verkehrskonzept, über das | |
der Stadtrat entschieden hat, ist die Rede von 280 bis 320 Stellplätzen, | |
die innerhalb der nächsten Jahre „umgewidmet“ werden könnten. Sicher ist | |
bisher nur: Mit den Pollern vor der Schule fallen erst mal neun Parkplätze | |
weg. Neue Carsharing-Parkplätze sollen Abhilfe schaffen. Bis Ende 2024 will | |
die Stadt die Anwohner:innen weiter beteiligen und so schrittweise | |
ausloten, wie das Konzept tatsächlich Realität werden kann. | |
Bisher steht die Beteiligung stark in der Kritik. „Die Menschen und | |
Unternehmen, die dort leben oder arbeiten, die wurden zum Teil entweder | |
ganz spät oder überhaupt nicht involviert“, sagt Falk Dossin, CDU-Stadtrat. | |
Der Verein hatte zwar etwa kleine Kundgebungen in der Hildegardstraße | |
angemeldet, mit denen er die Anwohner:innen über das Projekt | |
informieren wollte. Das wisse Dossin. Doch die hätten sich größtenteils an | |
die eigene Blase gerichtet, bemängelt er, die meisten Anwohner:innen | |
habe das nicht erreicht. | |
Der langfristige Superblock soll nördlich der Eisenbahnstraße entstehen, | |
die sich durch die Stadtteile Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf | |
zieht. In den vergangenen 20 Jahren hat sich deren Einwohner:innenzahl | |
verdoppelt, mittlerweile wohnen mehr als 28.000 Menschen dort. Trotzdem | |
gibt es noch viel Leerstand. Die Mieten sind günstig, das | |
Durchschnittsalter ist am niedrigsten und der Migrationsanteil mit am | |
höchsten im Leipziger Vergleich. | |
Das führt auch zu einer Stigmatisierung der Gegend. In hochgejazzten | |
Reportagen berichteten ARD, Pro7 und Focus-TV über Kriminalität: Drogen, | |
Schlägereien, Schießereien. Im Alltag prägen die Viertel aber eher belebte | |
Gassen, verschiedene Geschäfte, Restaurants, Cafés, Bars, Spätis. | |
Und das Gebiet, das künftig Superblock werden soll, ist eben vor allem eine | |
Wohngegend. Dossin berichtet, er habe von Anwohner:innen gehört, der | |
Superblock bringe Krach und Müll. Bei ihm habe es Beschwerden über | |
Ruhestörungen gegeben und er habe Fotos gesehen „von Bierflaschen, die | |
rumlagen und auch Spritzen“. | |
Dossin sagt, er finde politisches Engagement grundsätzlich gut. Aber die | |
Stadt habe das Pilotprojekt zu schnell ausgeweitet und sei dabei | |
intransparent gewesen. „Wie viele Parkplätze bis zum fünften Schritt genau | |
entfallen, steht nirgendwo. Das wurde immer nur weggeschwiegen“, klagt er. | |
Die Verkehrsberuhigung sei zwar da, aber auf Kosten der Anwohner:innen, die | |
ihre Autos bräuchten, um zur Arbeit zu pendeln oder den Einkauf für die | |
Familie zu erledigen. | |
Gewerbetreibende in der Gegend haben auch die IHK und die Handwerkskammer | |
zu Leipzig gegen den Superblock mobilisiert. Auf Nachfrage der taz | |
versichert die IHK, eine Transformation des Verkehrs sei notwendig, „sollen | |
die ambitionierten Klimaziele erreicht werden“. Das heiße allerdings auch, | |
„weiterhin einen reibungslosen Wirtschaftsverkehr“ zu gewährleisten. | |
Der Stadtrat hat Kritik in den Beschluss des Superblocks aufgenommen. Doch | |
es gibt Anwohner:innen, die sich trotzdem vollkommen übergangen fühlen. | |
Denn: Der Superblock kommt, das steht fest. | |
## Zweifel an der Demokratie | |
Ein Gewerbetreibender, mit dem die taz sprechen wollte, klingt erschöpft. | |
Es sei zu spät, er wolle sich nicht mehr äußern. Eine Anwohnerin sprach | |
zwar mehrere Stunden mit der taz. Doch sie will nicht, dass daraus zitiert | |
wird: Die taz verstehe sie nicht und setze die Kritik nicht genug in den | |
Fokus. | |
Das Gefühl, nicht mitbestimmen zu können, ist in Sachsen verbreitet. Laut | |
dem Else Frenkel Brunswik Institut der Uni Leipzig halten es [1][65 Prozent | |
der Menschen in Sachsen für sinnlos], sich politisch zu engagieren. Eine | |
wachsende Mehrheit ist laut dem [2][Sachsen Monitor 2023] unzufrieden | |
damit, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. | |
Studien zeigen zudem: Mit Einkommen und dem Bildungsabschluss [3][steigt | |
die Demokratiezufriedenheit]. Das könnte etwa daran liegen: Wer die | |
Strukturen besser kennt und nicht tagtäglich seinen Lebensunterhalt | |
verdienen muss, kann sich einfacher beteiligen. | |
In Leipzig behaupten Befürworter:innen und Gegner:innen des | |
Superblocks jeweils, die Mehrheit in den betroffenen Stadtteilen auf ihrer | |
Seite zu haben. Es gibt zwar mehrere Petitionen, aber keine valide | |
Befragung. Sie werfen sich außerdem gegenseitig vor, mit Unwahrheiten zu | |
argumentieren. Auch, dass vor allem Weiße den Verein prägen, spielt in der | |
Kritik immer wieder eine Rolle. | |
## Nicht alle kriegen, was sie wollen | |
Dossin sagt, „beide Welten sind so fern voneinander und haben sich | |
mittlerweile so angefeindet, dass es auch schwer ist, irgendwie einen | |
Kompromiss zu finden“. | |
Doch auch die CDU nutzt nun den Superblock im Wahlkampf um den Stadtrat. Am | |
9. Juni geben die Leipziger:innen dafür ihre Stimmen ab. Auf | |
CDU-Plakaten steht: „Wir stoppen den Superblock!“ Dabei weist der Verein | |
darauf hin, er habe alle Parteien, auch die Konservativen, vor zwei Jahren | |
zu Beginn des Projekts um Mitwirkung gebeten. | |
Bisher zeigte vor allem „Superblocks Leipzig“ Gesicht für das Projekt. „… | |
wurde eingefordert, dass wir uns als Stadt deutlich stärker positionieren“, | |
sagt Thomas Dienberg, Leipziger Bürgermeister für Stadtentwicklung und Bau. | |
„Zu Recht.“ | |
Die Beteiligung aber werde zu Unrecht kritisiert, meint er. Der Verein | |
Superblocks Leipzig habe immer wieder Veranstaltungen organisiert, um die | |
Leute vor Ort einzubinden – auch direkt auf der Straße. Flyer, mit denen | |
Infos über das Projekt verbreitet werden sollten, habe die Stadt in | |
mehreren Sprachen verteilt. | |
Die Gegner:innen hätten beklagt, dass der Superblock auf undemokratische | |
Weise entstanden sei. „Aber Beteiligungen sind ein Aushandlungsprozess“, | |
sagt der Grüne Dienberg. „Das kann am Ende bedeuten, dass nicht alle | |
Belange komplett zu 100 Prozent, sondern eben nur zum Teil in die Planung | |
eingehen.“ | |
## Scheindiskussion? | |
Die Diskussion um Parkplätze nennt der studierte Raumplaner eine | |
„Scheindiskussion“: In dem Gebiet seien pro 1.000 Haushalten nur 160 Autos | |
gemeldet. Aktuell gebe es 1.800 Parkplätze. Auch Dienberg betont, dass es | |
beim Superblock um mehrere Dinge geht: darum, die Lebensqualität im | |
Wohngebiet zu erhöhen, den Verkehr sicherer zu machen und das Klima zu | |
schützen. | |
Bei den Veranstaltungen, die der Verein „Superblocks Leipzig“ in der | |
Nachbarschaft organisiert hat, spielte der Klimaschutz keine große Rolle. | |
Die CO2-Emissionen im Verkehrssektor sind aber besonders hoch. Das habe man | |
im Hinterkopf, sagt ein Vereinskollege von Ariane Jedlitschka. Klima sei | |
aber „noch so ein Reizthema“, der Konflikt sei sowieso schon so scharf. | |
„Superblocks Leipzig“ hat sich dazu verpflichtet, den Verkehrsversuch in | |
der Hildegardstraße auszuwerten. Das Helmholtz Zentrum für Umweltforschung | |
hat an verschiedenen Tagen Messungen gemacht und geprüft, wie sich die | |
Durchgangssperre auf Luftschadstoffe, Lärm und Hitze auswirkt. | |
Die Messdaten sind noch nicht öffentlich, die Forscher:innen verweisen | |
auf das Vorbild Barcelona. Laut einem Papier des Umweltbundesamtes aus dem | |
Jahr 2021 ist die Stickstoffdioxidlast in der Luft im Bezirk Eixample um 33 | |
Prozent gesunken. Im Bezirk Gracia gab es durchschnittlich 5 Dezibel | |
weniger Lärm, in Poblenou „so gut wie keine Verkehrsunfälle mehr“. | |
## Mit der Zeit überzeugt? | |
Gleichzeitig stieg im Superblock in Poblenou die Anzahl der Einzelhandels- | |
und Gastronomiebetriebe innerhalb von zwei Jahren um 30 Prozent. Bis 2030 | |
will Barcelonas Stadtrat privaten Auto- und Mopedverkehr um 21 Prozent | |
reduzieren und die CO2-Emissionen pro Kopf verglichen mit 2005 um 40 | |
Prozent drücken – unter anderem mit weiteren Superilles. | |
Durch die verkehrsberuhigte Zone in Leipzigs Osten schiebt sich ein | |
dunkelblauer Mercedes-Sprinter. Er parkt mühelos zwischen zwei | |
Pflanzenkübeln ein. Die bunten Bänke auf der anderen Straßenseite sind | |
besetzt. Hans Hagedorn von Changing Cities erklärt: Auch in anderen | |
Städten, in denen Kiez- oder Superblöcke entstanden sind, gebe es Protest | |
von Anwohner:innen. | |
Oder von konservativen Politiker:innen, sagt er, die Hände verschränkt auf | |
den Knien. Für die Städte könne es sich lohnen, diese Konflikte | |
durchzustehen. Oft überzeuge der Superblock die Kritiker:innen vor Ort | |
nach einer Weile dann doch. | |
Hagedorn steht auf, um sich weiter mit den Leipziger Aktivist:innen | |
auszutauschen. Dann fällt ihm noch ein: „Superblöcke werden zwar im Kleinen | |
umgesetzt.“ Bürger:innen könnten in ihren Wohngebieten aber merken, dass | |
sie mit weniger Autoverkehr gut klar kommen. „Dann sind sie auch | |
aufgeschlossener für große Hebel in der Verkehrswende, zum Beispiel für ein | |
Tempolimit.“ | |
9 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://efbi.de/details/efbi-policy-paper-2023-2-autoritaere-dynamiken-und-… | |
[2] https://www.staatsregierung.sachsen.de/sachsen-monitor-2023-8897.html?_cp=%… | |
[3] https://www.fes.de/studie-vertrauen-in-demokratie | |
## AUTOREN | |
Nanja Boenisch | |
David Muschenich | |
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