# taz.de -- Verdrängung eines 84-jährigen Mieters: Kein Schlüssel zur Rendite | |
> Weil Manfred Moslehner Modernisierungsarbeiten verhindert haben soll, | |
> verklagt ihn sein Vermieter. Doch das könnte sich als Eigentor | |
> herausstellen. | |
Bild: Manne, wie ihn alle nennen, wohnt seit seiner Geburt in diesem Haus in Te… | |
BERLIN taz | Manfred Moslehner wirkt erschöpft. Der 84-Jährige, den alle | |
nur Manne nennen, steht am Dienstagmorgen vor dem Amtsgericht Wedding – | |
schon wieder. Er ist das, was renditehungrige Investoren einen renitenten | |
Mieter nennen würden: Seit 14 Jahren kämpft er gegen die [1][Verdrängung | |
aus seinem Geburtshaus] in der Steinbergsiedlung in Reinickendorf. Bislang | |
vergeblich, im April erklärte das Gericht die [2][Kündigung durch den | |
Eigentümer] für rechtmäßig. | |
Dass der Rentner nun nach 84 Jahren sein Zuhause verlassen muss, scheint | |
dem Eigentümer jedoch nicht zu reichen: Die private Investorengruppe „Am | |
Steinberg Entwicklungsgesellschaft GmbH“, die die 38 Häuser der Siedlung | |
2010 von der landeseigenen GSW gekauft hatte, hat Moslehner verklagt. Der | |
Grund: Weil er Modernisierungsarbeiten behindert haben soll, soll er nun | |
ein Ordnungsgeld zahlen – oder es droht ihm Ordnungshaft. | |
Im Schatten vor dem Gerichtsgebäude haben sich rund 20 Leute versammelt, | |
unter ihnen viele ältere Menschen. Zum Zeichen der Unterstützung haben sie | |
sich trotz der Hitze rote Schals umgebunden, einige tragen schwarze Shirts | |
mit dem Aufdruck „Kein Bock auf Luxus“. Moslehner steht mit hängenden | |
Schultern neben ihnen und wirkt mit seinem beigen Mantel und seinem | |
schütteren grauen Haar fast farblos. | |
## Angst vor Mietsteigerungen | |
Auch einige Nachbar*innen aus der Steinbergsiedlung sind gekommen, denn | |
Manne ist nicht der Einzige, der dort verdrängt wird: 20 der 38 Häuser | |
wurden bereits modernisiert und verkauft, weitere sollen folgen. | |
„Wir werden drangsaliert, weil jemand Millionen machen will. Und das auf | |
Kosten der Schwächsten“, sagt Hans-Hartmut Lenz, Sprecher der | |
Anwohner*inneninitiative „Siedlung am Steinberg“. Dass der | |
Eigentümer nicht einmal „das absehbare Lebensende eines 84-Jährigen | |
abwarten“ könne, ist für ihn „eine Schweinerei“. | |
Auch Lenz war an dem Morgen dabei, der heute vor Gericht verhandelt wird. | |
Es geht um den 22. September im vergangenen Jahr. Moslehner soll | |
Mitarbeitern des Eigentümers den Zutritt verweigert und damit die | |
Modernisierung des Hauses behindert haben. Bereits zuvor hatte er sich aus | |
Angst vor Mietsteigerungen gegen Modernisierungsarbeiten gesträubt, weshalb | |
ihm die Steinberg Entwicklungsgesellschaft 2015 kündigte. | |
Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit. 2021 urteilte dann das Landgericht | |
Berlin, dass er die Arbeiten dulden und die Handwerker*innen ins Haus | |
lassen muss. | |
Weil er dies am 22. September verhindert haben soll, flatterte erneut eine | |
Kündigung ins Haus, die das Amtsgericht Wedding im April für gültig | |
erklärte. Moslehner legte dagegen Berufung ein, der Prozess vor dem | |
Landgericht steht noch aus. Parallel klagte der Eigentümer auf | |
Vollstreckung der Duldung der Modernisierungsmaßnahmen. Also verhandelt das | |
Amtsgericht erneut über den Morgen des 22. September. | |
## Ein fremder Mann vor der Tür | |
Laut Hans-Hartmut Lenz habe da plötzlich ein fremder Mann vor der Tür | |
gestanden und wollte Moslehners Schlüssel haben. Er habe weder gesagt, wer | |
er sei noch wer ihn beauftragt hat, also habe Moslehner seine Schlüssel | |
behalten. „Das könnte ja auch ein Betrüger sein“, sagt Lenz. | |
Der Mann, von dem Lenz spricht, ist am Dienstag ebenfalls da. Er sitzt in | |
dem winzigen Gerichtssaal, der bei dem großen Andrang aus allen Nähten | |
platzt. Auf Aufforderung der Richterin berichtet er, dass er zu diesem | |
Zeitpunkt für die Wertconcept Investment Group tätig war. Diese sei eine | |
Holding der Steinberg Entwicklungsgesellschaft, sagt er. Auf Nachfrage weiß | |
der 28-Jährige dann aber doch nicht mehr, in welcher Beziehung die beiden | |
Unternehmen zueinander stehen. | |
Auch sonst kann sich der Zeuge, der mittlerweile nicht mehr für die | |
Investmentfirma arbeitet, nicht an sonderlich viel erinnern. Das, was er | |
noch weiß, deckt sich jedoch weitgehend mit den Schilderungen der | |
Anwohner*innen: Als er an dem Morgen die Schlüssel von Moslehner holen | |
wollte, habe bereits eine große Menschentraube auf der Straße gewartet. Als | |
er den Rentner nach den Schlüsseln gefragt habe, habe dieser gesagt, er | |
habe nur einen und den würde er behalten. | |
Ob er seinen Namen genannt hat, in wessen Auftrag er da war und wozu er die | |
Schlüssel haben will, daran erinnert er sich nicht. Als er aus der Gruppe | |
danach gefragt wurde, sei er schnell weg gegangen, weil er sich bedrängt | |
gefühlt habe. Einer der Unterstützer*innen habe dann die Polizei | |
gerufen. | |
Der zweite Zeuge, ein Mitarbeiter des SPD-Abgeordneten Sven Meyer (SPD), | |
der ihn als Beobachter dorthin geschickt hatte, schildert Ähnliches, doch | |
mit zwei zentralen Abweichungen: Der Mann habe seine Identität eben nicht | |
genannt und von einer bedrängenden Situation könne auch keine Rede sein. | |
## Auswirkungen auf laufendes Räumungsverfahren | |
Für Moslehners Anwalt Henrik Solf ist nach der Verhandlung klar, dass sich | |
der Vorwurf, sein Mandant habe Mitarbeitern des Eigentümers den Zutritt | |
verweigert, um die Modernisierung zu behindern, nicht bestätigt hat. Die | |
Entscheidung des Amtsgerichts steht noch aus. Sollte sie zu Moslehners | |
Gunsten ausfallen, könnte das auch Folgen für den laufenden Räumungsstreit | |
haben. | |
„Es geht hier um denselben Sachverhalt“, sagt Sebastian Bartels, | |
Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, der taz. Sollte das Amtsgericht | |
also urteilen, dass Moslehner nicht etwa die Modernisierung behindert hat, | |
sondern lediglich einem wildfremden Mann seine Schlüssel nicht geben | |
wollte, könnte auch die Kündigung in einem neuen Licht erscheinen. „Daran | |
kommt das Landgericht nicht vorbei“, glaubt Bartels. | |
Statt also einen armen Rentner mitten in einem Räumungsprozess finanziell | |
unter Druck zu setzen, könnte sich die Klage des Investors letztlich als | |
Eigentor erweisen. | |
18 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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