# taz.de -- Drohende Zwangsräumung in Berlin-Tegel: „Einen alten Baum verpfl… | |
> Ein Investor wollte sanieren und Manfred Moslehner aus seinem Geburtshaus | |
> klagen. Nun hat das Landgericht entschieden: Der 85-Jährige darf bleiben. | |
Bild: Vor Manne Moslehners Haus in Tegel steht ein zweiter alter Baum, den man … | |
Berlin taz | „Juhu, der Manne bleibt“ schallt es am Dienstagvormittag im | |
Berliner Landgericht durch die Flure. Vor einigen Minuten hat Richterin | |
Astrid Siegmund eine Entscheidung verkündet, mit der kaum jemand gerechnet | |
hatte: Der 85-jährige Manfred Moslehner, von allen nur Manne genannt, muss | |
sein Reihenhaus in der Steinbergsiedlung in Reinickendorf nicht räumen. | |
Die [1][Kündigung], die ihm sein Vermieter im Oktober 2023 ausgesprochen | |
hat, ist nicht wirksam. Damit widerspricht das Landgericht einem Urteil des | |
Amtsgerichts Wedding, das im April die Kündigung des Vermieters für | |
rechtmäßig erklärt hatte. Moslehner und sein Anwalt Henrik Solf waren | |
daraufhin in Berufung gegangen. | |
Zwar hatte Richterin Siegmund zu Beginn der Urteilsbegründung im | |
vollbesetzten Raum darum gebeten, Bekundungen von Beifall und Missmut zu | |
unterlassen, doch am Ende ihrer Erläuterungen jubeln und umarmen sich viele | |
der Besucher:innen im Gerichtssaal. Seit mehr als einem Jahrzehnt | |
befinden sich Manne Moslehner und zahlreiche Nachbar:innen im | |
Rechtsstreit mit ihrem Vermieter, einem privaten Investor. | |
## „Null Bock auf Luxus“ | |
Viele von ihnen sind am Dienstagvormittag mit ins Gericht gekommen, um | |
Moslehner beizustehen. Auf ihren Jacken prangt die Aufschrift „Null Bock | |
auf Luxus“; als Zeichen der Solidarität mit „ihrem Manne“ tragen sie rote | |
Schals. Eine Anwohnerin tupft sich einige Freudentränen aus dem Auge. Dass | |
einer aus ihrer Mitte nun Recht bekommen hat, lässt sie hoffen, dass auch | |
sie ihr Zuhause behalten darf. „Man hat mir mein Leben genommen und jetzt | |
habe ich es wieder“, sagt Moslehner sichtlich erleichtert. | |
Denn für ihn ist es nicht nur irgendein Haus, um das es geht. Es ist das | |
Haus, in dem er vor 85 Jahren geboren wurde. Es steht in der | |
„Kleinkleckersdorf“ genannten Siedlung am Steinberg im Reinickendorfer | |
Ortsteil Tegel. Ein „Dorf“ am Rande Berlins, das füreinander einsteht. | |
2010 verkaufte das Land Berlin die Häuser an eine private Investorengruppe. | |
Aus der Steinbergsiedlung sollten nach deren Vorstellung die [2][„Stonehill | |
Gardens“] werden. Die Gesellschaft wollte die Reihenhäuser luxussanieren | |
und die Miete um ein Vielfaches erhöhen. Mittlerweile ist das in einigen | |
Häusern bereits geschehen. Bei Manne Moslehner geht es um eine Mieterhöhung | |
von 1.360 Euro – eine Summe, die der alleinstehende Rentner nicht bezahlen | |
kann. Für die Modernisierung fordert der Vermieter außerdem drei Monate | |
lang beinahe ständigen Zugang zu seiner Wohnung. | |
## Rücksicht auf den Mann(e) | |
Doch Moslehner wehrt sich gegen die [3][Modernisierung], möchte in seinem | |
hohen Alter nicht mehr umziehen. Nachbar:innen und verschiedene | |
Initiativen stehen ihm zur Seite, organisieren immer wieder Kundgebungen. | |
So auch am Dienstag vor dem Landgericht in der Littenstraße in Mitte. | |
Steffen Doebert ist gekommen, um am „Kiosk der Solidarität“ Kaffee für | |
Mannes Unterstützer:innen auszuschenken. „Einen alten Baum verpflanzt | |
man nicht“, sagt er. | |
Richterin Astrid Siegmund findet vor Gericht komplizierte Worte für den | |
Sachverhalt, doch schlussendlich ist ihr Urteil ähnlich. Sie verweist | |
mehrfach auf ein Rücksichtnahmegebot, das für den Vermieter gilt. Manfred | |
Moslehner sei hochbetagt und krank, bei einer Modernisierung müsse auf | |
seine Belange Rücksicht genommen und die Bauplanung angepasst werden. Dazu | |
kommt: Bei Moslehner war in einem sozialpsychiatrischen Gutachten eine | |
Depression als Folge der Belastung rund um seine Wohnsituation festgestellt | |
worden. | |
In Richtung des Eigentümers der Reihenhäuser sagt die Richterin, es stehe | |
ihm nicht zu, über Monate hinweg umfassenden Zugang zu der Wohnung zu | |
fordern – insbesondere, wenn es sich um Arbeiten an der Außenseite des | |
Hauses wie etwa dem Dach handele. Auch müsse Moslehner für die | |
Modernisierungsarbeiten nicht auszuziehen, bloß weil dies komfortabler für | |
den Vermieter wäre. | |
Laut Auffassung des Gerichts hat sich Moslehner also nicht „anlasslos“ | |
gegen die Modernisierungen gewehrt, wie es ihm der Vermieter in der | |
Kündigung vorgeworfen hatte. Als Siegmund dann noch anmahnt, es gäbe | |
durchaus eine „mieterbezogene Pflicht“, sich als Vermieter:in | |
verantwortungsvoll zu verhalten, entlockt das Moslehners | |
Unterstützer:innen ein leises Grinsen. | |
## Kein Rechtsmittel | |
Die Gegenseite war mit der Entscheidung des Gerichts sichtlich unglücklich | |
und kündigte ihrerseits an, „weiterzumachen“. Was das heißen soll, ist | |
unklar, denn das Gericht teilte am Nachmitag mit: „Gegen das Urteil ist | |
kein Rechtsmittel gegeben.“ | |
22 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Raeumungsklage-in-Tegel/!6001658 | |
[2] https://www.stonehill-gardens.de/ | |
[3] /Verdraengung-eines-84-jaehrigen-Mieters/!6014706 | |
## AUTOREN | |
Katharina Wulff | |
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