# taz.de -- Unternehmen und soziale Bewegungen: Als Firma die Welt verbessern | |
> Wenn sich Unternehmen zusammenschließen, muss nicht immer ein | |
> neoliberaler Klub herauskommen. Es kann auch eine soziale Bewegung sein. | |
Bild: „Wirtschaften muss auch geil sein“: Einhorn-Geschäftsführer Philip … | |
BERLIN taz | Bei der Firma Einhorn hat man lange über die Idee diskutiert, | |
ein B-corp-Unternehmen zu werden. Das ist ein weltweites Netzwerk von | |
Firmen, die in ihrer [1][Satzung] verankert haben, „mit ihrer | |
Geschäftstätigkeit eine erheblich positive Wirkung auf das Gemeinwohl sowie | |
die Umwelt“ erzielen zu wollen. | |
„Wir wussten nicht, ob die B-corp-Kriterien wirklich auf uns passen“, sagt | |
Mitgründer Waldemar Zeiler auf einem Treffen von B-corp-Unternehmen in | |
Berlin. „Die sind schon sehr an die amerikanische Kultur angelehnt.“ Aber | |
das Team des Herstellers veganer Kondome habe entschieden: „Wir wollten | |
unsere Vision, etwas zu ändern, mit möglichst vielen teilen.“ | |
Während immer mehr Unternehmen nachhaltig wirtschaften wollen, tut sich die | |
Bundespolitik in Berlin schwer, wenigstens die [2][EU-Richtlinie zur | |
Unternehmensverantwortung] (Corporate Social Responsibility – CSR) in | |
deutsches Recht zu übertragen. Sie soll Unternehmen verpflichten, | |
regelmäßig und anhand vergleichbarer Standards auch darüber zu berichten, | |
wie sie sich in Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen verhalten, ob sie | |
die Menschenrechte achtet und wie sie Korruption bekämpfen. | |
Dieses [3][CSR-Umsetzungsgesetz] sollte nach Brüsseler Vorgaben spätestens | |
am 6. Dezember in Kraft getreten sein, aber der Entwurf hängt noch in den | |
parlamentarischen Beratungen. | |
## Die Gesetzgebung hinkt weit hinterher | |
Auch mit seiner Ausgestaltung sind nicht nur Gewerkschaften und | |
Menschenrechtsorganisationen wenig glücklich: Das Gesetz wird nur wenige | |
Konzerne betreffen und die Berichterstattung kaum ausreichen, um Verstöße | |
gegen Umwelt- und anderes Recht zu erkennen oder zu verhindern. „Der | |
Anwendungsbereich ist zu eng, und die Anforderungen, wie berichtet werden | |
muss, sind auch zu unkonkret“, sagt Gerd Scholl, der am Institut für | |
ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin den Bereich | |
Unternehmensführung und Konsum leitet. | |
In vielen Unternehmen hat man ohnehin nicht auf das Gesetz gewartet. | |
Schließlich gibt es längst freiwillige Standards, die messen, wie Firmen | |
mit Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern umgehen oder | |
soziale und ökologische Auswirkungen berücksichtigen. | |
Dazu gehört beispielsweise das [4][Eco-Management and Audit Scheme], kurz | |
EMAS oder auch Öko-Audit, das Unternehmen und Organisationen dabei | |
unterstützen soll, ihre Umweltleistung zu verbessern. Oder die [5][Global | |
Reporting Initiative] (GRI): Firmen, Umwelt- Arbeits- und Menschensrechts- | |
sowie staatliche Organisationen haben gemeinsam 120 Kriterien entwickelt, | |
wie sie die Berichterstattung über die sogenannten nichtfinanziellen | |
Belange transparent und vergleichbar machen können. | |
## Transparent, demokratisch und im Austausch | |
EMAS-zertifiziert sind in Deutschland derzeit rund 1.200 kleine und große | |
Unternehmen, nach GRI-Standard berichten weltweit etwa 5.000 Firmen, | |
darunter auch 19 DAX-Unternehmen. Allerdings gelten beide als „top | |
down“-Ansätze, die vom Management beschlossen und dann im Betrieb | |
durchgesetzt werden. | |
Viele Unternehmen suchen – oft zusätzlich – einen demokratischeren Zugang, | |
manche auch zugleich eine Plattform, um sich mit anderen auszutauschen. | |
„Sich komplett nachhaltig zu verhalten ist ja schon im eigenen Leben nicht | |
leicht“, sagt Einhorn-Gründer Zeiler. Es müsse aber nicht jeder das Rad neu | |
erfinden. „Schon viele Leute haben sich Gedanken gemacht, wie man ein Büro | |
nachhaltig gestaltet, Voluntering oder Diversität im eigenen Unternehmen | |
fördert.“ | |
Das Netzwerken kann auch ganz konkreten geschäftlichen Interessen nutzen. | |
„Viele der Unternehmen sind absolut potenzielle Kunden für uns“, sagt | |
Florian Koss, Sprecher der Triodos Bank, die ethisch-soziale Projekte | |
finanziert und ebenfalls bei B corp organisiert ist. | |
## Aus den USA: B corp | |
Der Dachverband von B corp, B lab, sitzt in den USA; in Deutschland ist das | |
Netzwerk noch im Aufbau. Die Indikatoren zielen eher auf etablierte | |
Unternehmen und konventionelle Wege ab, Gutes zu tun – etwa Spenden an | |
gemeinnützige Organisationen. Womit Einhorn gern punkten würde, wird im | |
Audit gar nicht abgefragt: Um ökologisch einwandfreien und fairen Kautschuk | |
verarbeiten zu können, arbeiten sie auf Plantagen in Malaysia an | |
entsprechenden Standards. „Aber das kann sich noch entwickeln und an | |
europäische Ideen anpassen“, sagt Nathan Gilbert von B corp Europe. | |
## Aus dem deutschsprachigen Raum: Gemeinwohlökonomie | |
Noch mehr Anhänger hat im deutschsprachigen Raum die | |
[6][Gemeinwohlökonomie] (GWÖ). „Spannend ist, dass es sich um soziale | |
Bewegungen handelt, in der Unternehmen die Hauptakteure sind“, sagt Bernd | |
Sommer, der den Bereich Klima, Kultur und Nachhaltigkeit an der | |
Europa-Universität Flensburg leitet. Anders als etwa die neoliberal | |
geprägte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft definierten GWÖ und B corp | |
„zum Teil neu, was man als Soziologe oder Ökonom über Marktwirtschaft zu | |
wissen glaubte“, so Sommer. „Einige der beteiligten Unternehmen sind | |
erstaunlich profitabel.“ | |
Die GWÖ wurde aus dem Umfeld von Attac Österreich gegründet und versteht | |
sich explizit als „Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft“. | |
Dezentrale Selbstorganisation spielt eine große Rolle. B corp wird stärker | |
als Bewegung „von Unternehmen für Unternehmen“ wahrgenommen und gilt als | |
pragmatischer. „Die GWÖ und wir kämpfen für die gleiche Sache, aber unsere | |
Zielgruppen und Angebote unterscheiden sich“, sagt Gilbert von B corp | |
Europe. | |
In den Netzwerken finden sich nicht nur Start-ups wie Einhorn, Bonsum, das | |
nachhaltigen Einkauf unterstützen will, der Kindersnackhersteller erdbär, | |
der Solarlampenproduzent Little Sun, Fairphone oder der | |
„Verantwortungskräftevermittler“ OnPurpose wieder. Auch größere Unterneh… | |
wie die niederländische Triodos Bank, die ethisch-soziales Banking | |
betreibt, machen bei B corp mit. Zur GWÖ bekennen sich neben kleineren | |
Firmen wie dem Onlinemarktplatz fairmondo, der Bäckerei Märkisches Landbrot | |
und sogar Zahnärzten wie dem Berliner Matthias Eigenbrodt auch | |
Mittelständler wie taz.die tageszeitung und größere Unternehmen wie der | |
Outdoor-Ausrüster Vaude. | |
Insgesamt sind in Deutschland derzeit etwa 30 Unternehmen nach B corp | |
zertifiziert, weltweit sind es mehr als 1.600 Betriebe. 200 Firmen im | |
deutschsprachigen Raum haben eine Gemeinwohlbilanz aufgestellt. Das | |
Interesse ist noch deutlich höher, wie sich an den Zugriffen etwa auf das | |
digitale Assessment für B corp ablesen lässt. Weltweit haben sich rund | |
40.000 Firmen und Organisationen damit beschäftigt. | |
## Die Nische expandiert | |
„Bewegungen wie Gemeinwohl oder auch B corp scheinen zu expandieren“, sagt | |
IÖW-Experte Scholl. „Aber es ist eine Nische, nichts, was in der Breite | |
Akzeptanz finden wird.“ Den teilnehmenden Unternehmen ist das gar nicht | |
unrecht. „Wir haben auch schon Anfragen von Danone und Unilever gehabt“, | |
sagt Gilbert. „Aber die sind dann zurückgeschreckt, als sie die | |
Verpflichtung in die Satzung aufnehmen sollten.“ | |
Interessierte Unternehmen durchlaufen bei B corp zunächst ein digitales | |
Assessment und können sich anschließend von der Dachorganisation B Lab | |
zertifizieren lassen. Bei der GWÖ stellen sie eine Gemeinwohlbilanz auf, | |
die extern auditiert wird. Ziel ist es, den eigenen Stand besser | |
einzuschätzen und zu sehen, wo Verbesserungsbedarf besteht. | |
Alexander Neumann, Gründer des Kindersnack-Anbieters erdbär, sagt, dass er | |
vorher „gar nicht alle Kriterien auf dem Schirm hatte“. Erst beim ersten | |
Assessment sei aufgefallen, dass man den Wasserverbrauch „komplett | |
übersehen“ hatte. | |
Der GWÖ-zertifizierte Berliner Zahnarzt berichtet, dass er nicht nur | |
Röntgen-Chemikalien durch den Einatz digitaler Techniken ersetzt und den | |
Stromverbrauch in der Praxis reduziert habe, sondern seinen Mitarbeiter | |
auch Dienstfahrräder anbiete. Der Outdoorbekleidungshersteller Vaude | |
bemerkte beim Erstellen der Gemeinwohlbilanz, dass seine Rabatte kleine | |
lokale Händler benachteiligte, und änderte seine Angebotsstruktur. | |
## Mehr Unterstützung von der Politik gewünscht | |
Die Firmen werben kaum mit ihren Bemühungen, ihre Nachhaltigkeit zu | |
erhöhen. Denn für die Verbraucher sei die Zertifizierung von ganzen | |
Unternehmen „gar nicht so ein großes Thema“, beobachtet IÖW-Experte Schol… | |
„Das ist anders als bei konkreten Produkten, wo Siegel eine zunehmende | |
Rolle spielen.“ | |
Die Unternehmen wünschen sich mehr Unterstützung von der Politik. Ansätze | |
gibt es: In ihrem [7][grün-schwarzen Koalitionsvertrag] verspricht die | |
Landesregierung Baden Württemberg ein Pilotprojekt, in dem ein Betrieb mit | |
Landesbeteiligung eine Gemeinwohlbilanz erstellen soll. | |
Einen richtigen Kick würden sich die Initiativen aber erwarten, wenn | |
zertifizierte Unternehmen Steuererleichterungen bekämen – nicht um einen | |
Wettbewerbsvorteil zu erhalten, sondern um einen Nachteil auszugleichen: | |
Das Steuersystem belohnt Wachstum – genau diesem Zwang wollen sich | |
nachhaltig wirtschaftende Unternehmen oft nicht unterwerfen. Die größte | |
Hilfe wäre jedoch, wenn die öffentliche Hand die Möglichkeit hätte, | |
zertifizierte Unternehmen bei Aufträgen zu bevorzugen. | |
12 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://bcorporation.eu/become-a-b-corp-how-to-become-a-b-corp/protect-your-… | |
[2] http://ec.europa.eu/finance/company-reporting/non-financial_reporting/index… | |
[3] /Nachhaltigkeit-in-Unternehmen/!5339200 | |
[4] http://www.emas.de/ueber-emas/was-ist-emas/ | |
[5] https://www.globalreporting.org/Pages/default.aspx | |
[6] https://www.ecogood.org/de/ | |
[7] https://www.baden-wuerttemberg.de/de/regierung/landesregierung/koalitionsve… | |
## AUTOREN | |
Beate Willms | |
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