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# taz.de -- Über Rassismus reden: Good Hair, Bad Hair
> Sie fassen einem ungefragt in die Haare, sie fragen, ob die echt sind und
> ob man sie auch wäscht. Die Botschaft ist klar: Du gehörst nicht hierher.
Bild: „Sooo weich!“ – „Ich muss sie anfassen!“ – „Oh mein Gott! S…
Berlin taz | Mit etwa zehn Jahren stand ich vor einem Regal im
Drogeriemarkt und hatte einen Aha-Moment. Da gab es Shampoo für feines,
coloriertes oder „normales“ Haar. Dass ich und mein Haar nicht „normal“
waren, wusste ich da schon, das hatte man mir bereits zur Genüge erklärt.
In der Schule nannten sie mich „Klobesen“, fragten, ob ich in die Steckdose
gegriffen hätte, ein paar schimpften mich das N-Wort, sagten, ich würde
mich nicht kämmen und stinken. Außerdem griffen mir ständig Fremde ins
Haar, als wären sie im Streichelzoo. Wieder andere wollten mich
vermeintlich trösten und sagten, als würden sie mir ein Geheimnis
anvertrauen, dass ich ja „gar nicht so richtig schwarz“ sei, und die Locken
seien ja auch „nicht so kraus“, so, als hätte ich Glück gehabt.
Mit zwölf Jahren wollte ich deshalb Haare haben wie die Frauen in den
Magazinen. Ich bürstete sie oft stundenlang in der Hoffnung, dass sie
irgendwann glatt bleiben würden. Dann ging ich mit steifem Hals ganz
langsam durch die Wohnung. Eines Tages bettelte ich meine Stiefmutter an,
mir einen Pony zu schneiden, weil alle Mädchen in meiner Klasse einen
hatten. Sie versuchte mir behutsam zu erklären, dass das nicht
funktionieren würde. Doch ich bestand darauf, und sie gab nach. Ich sah
natürlich aus wie ein Idiot mit dem gekräuselten Vordach auf der Stirn.
Inzwischen lasse ich mein Haar seit vielen Jahren sein, wie es ist, anderen
Menschen fällt das aber aus unerfindlichen Gründen ziemlich schwer. Vor ein
paar Wochen guckt mich mal wieder eine Verkäuferin mit großen Augen an,
diesmal auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin. „Sind die Haare echt?“, fragte
sie. „Die wachsen so aus meinem Kopf“, sage ich. „Ist ja toll“, sagt si…
Zu den großen Augen kommt ein breites Grinsen mit vielen Zähnen.
## Mit einem Kamm
Ich überlege kurz, sie zu fragen, ob ihre Brüste echt sind, lasse es aber
und verlasse den Stand zügig, denn meist folgen weitere mäßig kluge Fragen
wie: „Wäschst du die auch?“ – Ja, was denn sonst. Oder: „Darf ich die …
anfassen?“ – Nein, auf keinen Fall. „Und wie kämmst du die?“– Mit ei…
Kamm.
Natürlich meinen es fast immer alle gut. Aber diese Scheinentschuldigung
wäscht sich mit den Jahren aus, und als erwachsene Frau im Jahr 2017 nehme
ich es mir heraus, selbst zu bestimmen, ab wann ich etwas als übergriffig,
indiskret oder als blöde Frage empfinde, und bringe das auch zum Ausdruck –
wenn ich das denn möchte.
Es gibt Situationen, in denen ich diese Fragen stumpf beantworte, weil mir
etwa jemand nahesteht oder um des Friedens willen, damit ich keine
Diskussion beginnen muss, die darin endet, dass mir andere erklären, ab
wann ich mich gefälligst geschmeichelt zu fühlen habe.
Das Problem mit dieser Neugier ist, dass sie Andersartigkeit impliziert.
Sie unterstellt, man sei fremd, man müsse sich also erklären. Den „richtig
Einheimischen“ Rechenschaft über seine Herkunft ablegen und den Kopf als
Testobjekt hinhalten. Diese Neugier ist besonders unangenehm in nicht
privaten Situationen, in denen man die Leute nicht offen fragen kann, ob
sie einen Knall haben, ohne sofort die Stimmung zu trüben – in einer Bar,
in der U-Bahn, bei der Arbeit, auf einer Party. Wenn Leute statt Smalltalk
– wie geht’s dir, was machst du beruflich, kennst du den Gastgeber – auf
einen zukommen und sagen: „Wo kommst du her?“ und „Krasse Haare, darf ich
die mal anfassen?“
## Es fehlt eine Form von Respekt
Hier fehlt eine Hürde, eine Form von Respekt, die sonst verhindern würde,
dass voreilig nach so persönlichen Dingen wie der Familie oder dem
Haupthaar gefragt wird, eine Hürde, die man sonst Höflichkeit oder Anstand
nennt – oder eben Political Correctness. Eine Hürde, die einen etwa auch
daran hindert, die Arbeitskollegin mit der enorm langen Nase, auf ihre
enorm lange Nase anzusprechen. Oder alle Deutschen, die man kennenlernt,
als Erstes zu fragen, ob sie Nazis in der Familie haben.
Eine Frau namens Chastity Jones hat vor einiger Zeit im US-Staat Alabama
eine Firma verklagt, die ihr zuvor einen Job angeboten hatte, ihr aber
verbieten wollte, Dreadlocks zu tragen. Ihre Frisur verstoße gegen die
Unternehmenskultur, weil sie „dazu tendiere, unordentlich auszusehen“. Als
sie sich weigerte, ihre Frisur zu ändern, wurde das Angebot zurückgezogen.
Das Gericht gab im September 2016 schließlich dem Arbeitgeber recht mit der
Begründung, eine rassistische Diskriminierung müsse auf Merkmalen basieren,
die man nicht verändern könne.
Ein Urteil, das einen ratlos zurücklässt, denn was soll diese Frau tun?
Jones trägt eine Frisur, die ihrem Haartyp entspricht. Sie kann also nur
tun, was viele andere schwarze Frauen genau deshalb auch tun: ihre Haare
verstecken unter Perücken, Weaves, Echthaar aus Indien. Das ist in
westlichen Ländern häufig nötig, um als schwarze Frau einen Job zu
bekommen.
Diese Art von Anpassung an ein weißes Schönheitsideal ist heute so normal,
dass es Frauen gibt, die noch nie ihr natürliches Haar gesehen haben, weil
ihnen von klein an Chemie auf den Kopf gepappt wurde. Mädchen werden dazu
erzogen, dass nur Weißsein schön ist – von Eltern, von Männern, von der
Gesellschaft und natürlich von der Kosmetikindustrie, die mit
Glättungsmitteln und Hautaufhellern jährlich Umsätze im zweistelligen
Milliardenbereich macht.
## „Rezivilisier dich!“
Die von außen diktierte Unzulänglichkeit des schwarzen Körpers betrifft
nicht nur Frauen, auch Männer werden gerne dazu angehalten, sich an ein
weißes Ideal anzupassen. Gleichzeitig wird medial ein Stereotyp des
schwarzen Mannes geformt, das kriminell, frauenfeindlich und ungebildet
ist. Man sieht ihn meist als Verbrecher, Flüchtling, Sportler oder Rapper –
kaum als Vater, Angestellten, Professor.
Das rassistische Bild vom dummen Wilden wird so stetig und subtil, manchmal
aber auch ganz offen erzeugt, wie etwa in einer US-Werbekampagne von Nivea
vor einigen Jahren, die viel Kritik nach sich zog: Man sah da einen
glattrasierten schwarzen Mann, der in seiner Hand einen Kopf mit Afrohaar
und Bart hält. Er holt gerade dazu aus, den Kopf wie ein Diskuswerfer
wegzuwerfen. Daneben steht: „Rezivilisier dich!“
Im Kontext des Kolonialismus und Sklavenhandels stand Afrohaar für
Unvollkommenheit, für Primitivität, für Unterlegenheit. Zuschreibungen, die
taten, was sie sollten: das Selbstwertgefühl nachhaltig schädigen, um
Menschen zu unterdrücken. Afrohaar wird bis heute als wild und ungebändigt
angesehen, ist bis heute Zeichen der Unterdrückung und des Widerstands
(siehe Afro) – wie etwa in Pretoria, Südafrika, wo Schülerinnen im
September dazu angehalten wurden, ihr „Afrohaar zu bändigen“, weil das
nicht „ordentlich“ sei. Die Schülerinnen protestierten und stellten die
durchaus berechtigte Frage: „Wenn wir schon in Afrika nicht schwarz sein
dürfen, wo denn sonst?“
In den vergangenen Jahren bildete sich in den USA und in Europa eine
Natural-Hair-Bewegung, die Frauen ermutigen soll, ihre Haare natürlich zu
tragen und die Schönheit des Schwarzseins wiederzufinden. Ein Thema, das
heute auch in der Popkultur behandelt wird, wenn etwa Beyoncé über „Becky
with the Good Hair“ singt oder sich ihre Schwester Solange mit ihrem Album
„A Seat At The Table“ mit der strukturellen Unterdrückung von Schwarzen
befasst.
## Das Recht auf schwarze Kultur
Und weil zu Beyoncé oft der Einspruch kommt, wer sich die Haare blondiert
oder glättet, habe kein Recht, sich für schwarze Kultur einzusetzen: Das
ist, als würde man einer Frau das Recht absprechen, Feministin zu sein,
weil sie einen Rock trägt.
Das Recht auf schwarze Kultur, einen schwarzen Körper, auf Gleichstellung
und Respekt einzufordern, hat selbstverständlich nichts zu tun mit einer
Identitätspolitik, wie sie Rechte oder Identitäre betreiben. Denn es geht
darum, die eigene Identität, die einem genommen und für primitiv erklärt
wurde, und den eigenen Körper wieder als etwas Positives zu sehen. Es geht
darum, Wunden zu heilen, deren Wurzeln Jahrhunderte zurückreichen, bis in
die Zeit des transatlantischen Sklavenhandels (an dem auch Deutschland
beteiligt war), als die Weißen den Sklaven, die sie wegen ihrer krausen
Haare „nappy heads“ nannten, die Haarpflege verboten und „nappy“ eine
abwertende Bezeichnung wurde für schmutziges, ungepflegtes Haar.
Dass schwarze Frisuren wie Rastas, Cornrows oder Dreadlocks „eklig und
ungepflegt“ und nicht für den beruflichen Alltag geeignet seien, ist auch
heute noch ein weit verbreitetes Vorurteil. Schwarzen Menschen auf diese
Weise mangelnde Körperhygiene zu unterstellen ist schlicht rassistisch.
Diese Frisuren, die noch heute Menschen ihre Jobs kosten können, dann aber,
wenn Weiße wie Justin Bieber oder Kylie Jenner sie tragen, einen neuen,
coolen Trend zu nennen – das ist das grundlegende Prinzip von Cultural
Appropriation.
10 Jan 2017
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Haare
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