# taz.de -- Über Rassismus reden: Im Zweifel für die Würde | |
> Am Dreikönigstag werden sich Kinder wieder mit schwarzer Farbe als | |
> Melchior verkleiden. Harmlos? Ganz und gar nicht. | |
Bild: Vorbild sind die sogenannten „Minstrel-Shows“ aus der Zeit der Sklave… | |
Man stelle sich vor: Jemand tritt einem anderen ständig auf den Fuß. Der | |
andere sagt jedes Mal: „Du trittst mir auf den Fuß. Bitte, lass das.“ | |
„Nein“, sagt der Treter, „das kann nicht sein.“ „Doch“, sagt der mi… | |
schmerzenden Fuß, „gerade hast du es wieder getan.“ | |
Im Grunde ist es ganz einfach: Es gehört sich nicht, Leuten auf den Fuß zu | |
treten. Auch dann nicht, wenn der Fußtreter seine Tat angeblich nicht | |
mitkriegt und der Leidtragende ihn erst auf sie aufmerksam machen muss. | |
Ähnlich verhält es sich mit der Debatte um Blackfacing. Blackfacing, das | |
ist, wenn Weiße sich das Gesicht schwarz anmalen und so im Theater, in | |
Fernsehshows, zu Karneval, oder – ganz aktuell – zum Dreikönigsfest | |
auftreten. Die Praxis ist rassistisch. Und bei Rassismus steht mehr auf dem | |
Spiel als ein Fußtritt: Eine Gruppe Menschen trampelt auf der Würde der | |
anderen herum und erniedrigt sie. | |
Wer Blackfacing betreibt, sieht aber häufig nicht das Problem – oder beruft | |
sich auf die Meinungsfreiheit. Diejenigen, die Blackfacing als rassistisch | |
kritisieren, ernten dafür Vorwürfe – auch von Linken: Sie beriefen sich auf | |
eine Identität, heißt es dann, die ihnen einen exklusiven Opferstatus | |
sichere – die Identität als Schwarze. Dazu später mehr. | |
## Der Maßstab für Rassismus | |
Die Motive der Blackfacer können durchaus redlich sein. 2009 ließ sich der | |
Enthüllungsjournalist Günter Wallraff an Gesicht und Händen schwarz anmalen | |
und tourte so als „Schwarzer“ durch Deutschland – in der Absicht, Rassism… | |
aufzudecken. Ganz gleich ob Wallraff das so sieht oder nicht: Mit seiner | |
Aktion hat er die Würde Schwarzer Menschen, um im Bild zu bleiben, mit | |
Füßen getreten. | |
Ob jemand verletzt wird, hängt nämlich nicht von der Intention des | |
Handelnden ab, sondern von seiner Wirkung. Die Schlussfolgerung daraus ist | |
für viele schwer zu verdauen: Maßstab für Rassismus ist das Empfinden der | |
Betroffenen, nicht das der Handelnden. | |
Und dabei geht es nicht bloß ums Verletztsein, es geht auch ums | |
Ausgeschlossenwerden: 2012 spielte in einer Inszenierung des | |
US-amerikanischen Stücks „Ich bin nicht Rappaport“ am Berliner | |
Schlosspark-Theater ein schwarz geschminkter weißer Schauspieler die Rolle | |
des Midge Carter. Die Rolle ist ausdrücklich als Schwarze Figur angelegt. | |
Die Theaterleitung begründet das auch heute noch damit, dass ihnen nichts | |
anders übrig geblieben sei: Sie hätten schlicht keinen Schwarzen Darsteller | |
gefunden. | |
Die afro-deutsche Schauspielerin Lara-Sophie Milagro ärgert sich über | |
dieses häufig angeführte Sachzwangargument: „Viele Schwarze Schauspieler | |
bekommen keine Anstellung, weil Theatermacher davon ausgehen, dass Rollen, | |
die nicht gängigen Klischees wie Flüchtling, Gangster oder Prostituierte | |
entsprechen, dem Publikum mit Schwarzen Darstellern nicht authentisch | |
vermittelbar sind“, sagt sie. | |
Dabei gebe es unendlich viele Rollen, als Anwalt oder Arzt zum Beispiel, | |
die genauso gut Schwarze spielen könnten. Blackfacing an Theatern und im | |
Fernsehen, sagt Milagro, führe einem Publikum vor Augen: „Weiße können | |
alles, Schwarze dürfen nicht einmal sich selbst spielen.“ Theatermacher | |
übergehen kategorisch eine Gruppe von Menschen und nehmen ihr die | |
Möglichkeit, sich selbst darzustellen. | |
## Überspitzte Darstellung | |
Stattdessen ahmt eine privilegierte Gruppe eine Unterprivilegierte nach – | |
und das kann nur schiefgehen. Man muss sich bloß vergegenwärtigen, wie es | |
wirkt, wenn Männer Frauen spielen. Sie verfallen allzu oft ins Klischee, | |
geben die dumme, die herrische oder die sexuell verfügbare Frau. Das mögen | |
einige Frauen witzig finden. | |
Andere werden sich verhöhnt fühlen und darauf aufmerksam machen. Ähnlich | |
geht es schwulen Männern, wenn Darsteller glauben, laut kreischen und mit | |
dem Po wackeln zu müssen, um diese Rolle „authentisch“ zu spielen. Derartig | |
überspitzte Darstellungen von Schwulen gibt es im Fernsehen immer weniger. | |
Die Sensibilität für Homophobie und Sexismus ist größer geworden – die f�… | |
Rassismus nicht. | |
Die Debatten fallen immer wieder in dieselben Muster zurück. Im Oktober | |
trat Moderator Guido Cantz in der ARD-Unterhaltungsshow „Verstehen Sie | |
Spaß?“ in einem Sketch als „Schwarzer“ auf – die Maske verpasste ihm e… | |
künstliche Schicht aus brauner Haut, zog eine schwarze Lockenperücke mit | |
Halbglatze über seine weißblonden Strähnen, vergrößerte Lippen und Nase – | |
und erzeugte so die Karikatur einer Schwarzen Person. | |
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) forderte den SWR auf, | |
den Sketch nicht auszustrahlen. In der Sendung würden „Bilder von als | |
dümmlich dargestellten Afrikanern reproduziert“, schrieb sie in einem | |
offenen Brief. Der Sender reagierte verharmlosend: „In der Comedy wird | |
häufig mit Überzeichnungen gearbeitet, die oft grenzwertig oder | |
grenzüberschreitend sind“, heißt es bei der Pressestelle. „Das Schlüpfen… | |
verschiedene Rollen ist ein Stilmittel von vielen.“ | |
## Afroamerikanische Geschichte | |
Das ist richtig. Nur leider ist Blackfacing kein unschuldiges oder | |
harmloses Stilmittel von vielen. Sein Vorbild sind die sogenannten | |
„Minstrel-Shows“ aus der Zeit der Sklaverei in den USA. Weiße Entertainer | |
spielten darin naive, ungebildete und immer fröhliche Sklaven. Sie trugen | |
so dazu bei, die brutale Ausbeutung der Sklaven auf den Plantagen vor einem | |
weißen Publikum zu rechtfertigen. Zeitgleich töteten Weiße im ganzen Land | |
zahlreiche Schwarze. | |
„Blackfacing ist sozusagen die ‚komische‘ Seite des Lynchens“, sagt der | |
Historiker Norbert Finzsch, emeritierter Professor der Uni Köln, der | |
dreißig Jahre lang zu afro-amerikanischer Geschichte geforscht hat. | |
Nun sind die USA und ihre Geschichte weit weg. Historischer Rassismus ist | |
aber nicht dem Ausland vorbehalten. Wir in Deutschland haben die deutsche | |
Kolonialgeschichte nie aufgearbeitet – man vermeidet Debatten über die | |
Völkermorde von deutschen Kolonialisten an Schwarzen Afrikanern wie den | |
Herero und Nama, die erst möglich wurden durch den Rassismus der Weißen. | |
## Der Kontext ist wichtig | |
Der deutsche Kolonialismus mag Geschichte sein, prägt aber bis heute das | |
Verhältnis von Weißen zu Schwarzen Menschen. Ein befreundeter Student sagte | |
mir neulich, er habe das Gefühl, immer als armer, bemitleidenswerter | |
Afrikaner behandelt zu werden – er stammt aus der kamerunischen | |
Mittelschicht. | |
Teil von Rassismus ist eben auch, dass „Schwarz“ und „wohlhabend“ nur | |
schwer zusammen gedacht werden können. Oder „Schwarz“ und „rechtschaffen… | |
Viele Schwarze Deutsche kennen das Gefühl, bei Polizeikontrollen unter | |
Generalverdacht zu stehen. | |
Und so ist Blackfacing eben kein Phänomen im luft- und geschichtsleeren | |
Raum, sondern geschieht im Kontext einer Kultur, die bereits von Rassismus | |
durchdrungen ist. Einer Kultur, die mit dem Wort „Schwarz“ negative | |
Assoziationen verbindet: „Schwarz fahren“, „Schwarzer Tag“ oder | |
„Schwarzmalen“. | |
Und was ist nun mit dem so genannten Schwarzen Opferstatus? Dem Vorwurf, | |
die Kritiker von Blackfacing bestünden auf einer Identität, die sie zu | |
ewigen Leidtragenden macht? Nun: Schwarzen Menschen bleibt gar nichts | |
anderes übrig. Angesichts eines zermürbenden Rassismus in der Gesellschaft | |
sind sie permanent gezwungen, sich als Betroffene beim Namen zu nennen. | |
Zugleich müssen sie diese von Rassisten negativ besetzte Identität positiv | |
füllen – ähnlich wie Schwule und Lesben, die immer noch gegen Homophobie | |
und um ein positives Bild von sich kämpfen müssen. Das Problem hierbei | |
liegt vielmehr bei den weißen Linken selbst, die so etwas vorwerfen: Sie | |
wollen nicht wahrhaben, dass sie als Weiße privilegierte Nutznießer eines | |
strukturellen Rassismus sind. Es sind Menschen, die sich lieber selber in | |
der Opferrolle sehen. | |
## Menschenwürde | |
Und auch wenn der Verweis auf die Freiheit der Kunst und des Ausdrucks ein | |
starkes Argument ist: Öffentlich-rechtliche Sendeanstalten wie der SWR und | |
auch mit Steuergeldern von Schwarzen Deutschen finanzierte öffentliche | |
Theater haben den Auftrag, Menschenrechte und -würde zu schützen. Nun ließe | |
sich einwenden: Es gibt Schwarze, die keinen Rassismus im Blackfacing | |
sehen. Und warum sollte eine Mehrheit sich von einer Minderheit den Spaß | |
verderben lassen? | |
Dem kann man entgegenhalten: Im Zweifel gilt die Menschenwürde. Es reicht | |
aus, wenn eine Minderheit sagt, dass ihnen schmerzlich auf die Füße | |
getreten wird. Das allein sollte Grund genug sein, um Blackfacing zu | |
unterlassen. An der Rücksicht auf eine Minderheit kann man erkennen, ob | |
eine Gesellschaft anständig und integer ist. | |
5 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Hülya Gürler | |
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