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# taz.de -- Über Rassismus reden: Lasst uns streiten!
> Debatten über Rassismus werden schnell verletzend. Deshalb sind wir
> geneigt, sie zu vermeiden. Das hilft aber nichts: Wir müssen mittenrein.
Bild: Wer hat recht?
Ein später Nachmittag vor zwei Wochen: Feierabendverkehr, ich steige aus
der U-Bahn aus, als mich am Bahnsteig ein älterer Mann mit zerrissener
Jacke und einer Flasche Bier in der Hand ansieht und erst mal abschieben
will: „Es ist Deutschland hier!“ Danke, das hatte ich fast vergessen.
Es ist nicht das erste Mal und es wird auch nicht das letzte Mal bleiben,
dass mir auf der Straße Rassistisches entgegengerufen wird. Ich bin nicht
stehengeblieben, ich habe nichts Schlaues zurückgeschimpft, ich habe mich
nicht hilfesuchend umgeblickt. Ich bin einfach weitergegangen.
Wahrscheinlich werde ich das das nächste Mal wieder so machen. Aber ich bin
mir nicht sicher, ob das wirklich richtig ist.
## Was tun?
Offensichtlich bin ich immer noch keine Expertin darin, wie man am besten
in so einer Situation reagiert. Ignorieren klingt nicht schlecht, ein
bisschen nach Gelassenheit und dickem Fell. Soll ich mir etwa die Meinung
eines Fremden zu Herzen nehmen, der mir zwischen zwei Schluck Bier seinen
Unwillen aufzwingen will? Nein, danke.
Das Problem ist nur, dass es mir einfach nicht gelingt, ihn zu ignorieren.
Ich tue nur so. So harmlos, so schnell es auch vorüberging, es will mir
einfach nicht aus dem Kopf. Was also tun?
Es gibt eine Formel, mit der man Rassismus begegnen soll. Ein Dreisatz, der
Hilfe verspricht: Name it, blame it, shame it. Schritt 1: Man muss es
aussprechen, das böse Wort. Man darf es nicht in Hülsen packen wie
„Unbedachtsamkeit“, „Altherrenwitz“ oder „der Vorfall“. Um Rassismu…
entzaubern, muss ihm erst begegnet werden.
In dem Moment selbst habe ich es nicht gesagt, aber in den Tagen danach
immer wieder. Ich spreche mit meinen Freunden, und es fällt mir leicht zu
sagen: Das ist Rassismus. Und meinen Freunden fällt es leicht zu verstehen,
worum es geht. Bei der Erzählung vom Penner in der U-Bahn scheint es
irgendwie klick! zu machen in den Köpfen: Ja, genau, so sieht Rassismus
aus. Das funktioniert nicht immer so gut. Vor allem nicht, wenn es um „uns“
geht.
## Was ist wahr?
Es gibt Sätze, die gehen ein bisschen schwieriger über die Lippen, ein
bisschen schwieriger in die Ohren. Sätze wie: Die gesellschaftliche Linke
hat ein Rassismusproblem. Zwei Fragen schließen sich daran an: Ist diese
Aussage wahr? Und wenn ja, warum soll das so schwer sein zu verstehen? Die
zweite Frage ist die eigentlich interessante.
Zum Beispiel beim No Border Camp 2012, als sich Aktivist*innen in Köln
trafen, um sich zu vernetzen und ein paar Tage gemeinsam an einer besseren
Welt zu arbeiten. Doch 2012 stand darüber in den linken Zeitungen und Blogs
nur, wie sehr sich [1][die antirassistische Szene gegenseitig anschreit und
beschimpft].
Knackpunkt war ein Workshop zu Critical Whiteness, einem Theorieansatz, der
auf dem Camp zur Debatte stand. Die Idee ist ganz kurz gesagt: Lasst uns
mal zur Abwechslung das Weißsein thematisieren und herausfinden, wo es sich
versteckt – hinter Normen, hinter Begriffen, hinter Dingen, die im
Allgemeinen als neutral betrachtet werden. Dieser Ansatz ist bisweilen sehr
umstritten.
Der Vorwurf lautet oft, dass Critical Whiteness antirassistische Arbeit
verhindere, indem es die sozial konstruierten Unterschiede zwischen Schwarz
und Weiß weiter zementiert. Indem es immer weiter vom Weißsein und
Nicht-Weißsein spricht, statt genau das zu überwinden. Am Ende konnte man
den ganzen Streit auf zwei Seiten eindampfen: „Ihr seid ignorant und setzt
euch nicht mit eurem eigenen Rassismus auseinander!“ gegen „Nur weil ich
weiß bin, soll ich jetzt die Schnauze halten, oder was?“
Auf den ersten Blick sieht das nach dem Worst Case aus. Statt sich zu
vereinen und zu überlegen, wie Diskriminierung zu verstehen und zu
bekämpfen ist, blockiert sich die Linke im Streit. Und nicht nur Streit:
Verletzungen, Fronten, Gräben. Auf einmal geht es nicht nur um Argumente,
sondern um Gefühle und Erfahrungen der einen, die die anderen nicht machen
können.
## Wer sind „die Guten“?
Das Gleiche kann man auch mir vorwerfen. Warum fängt dieser Text an mit der
Erfahrung der Autorin und nicht mit harten Fakten oder einem sachlichen
Argument? Und ich verstehe, dass das ein bisschen gefühlig daherkommt. Aber
wenn sich gesellschaftliche Machtverhältnisse in persönlichen Begegnungen
ausdrücken, dann ist das kein schlechter Ausgangspunkt für eine Diskussion.
Warum soll sich die gesellschaftliche Linke jetzt selbst zum Thema machen,
wo es doch ums große Ganze geht, um die anderen und ums Kapital? „Wir“ sind
doch die Guten. Klar, ein Perspektivwechsel ist nicht leicht: Niemand von
uns will dieser pöbelnde Typ sein und die meisten von uns sind es auch
nicht. Sondern umsichtige Menschen, die nachdenken und kritisch sind, zu
deren Selbstverständnis es gehört, Rassismus und ein paar weitere -ismen
scheiße zu finden.
Das alles wäre gar nicht so schwer, wenn die Entscheidung, antirassistisch
zu sein, genauso funktionieren würde wie die Entscheidung, kein Fleisch
mehr zu essen. Am Anfang steht eine informierte Überzeugung, aus der eine
klare Unterscheidung folgt zwischen richtig und falsch: Blumenkohl ist
cool, Salami nicht.
Doch leider ist das nicht so. Die Bilder, von denen wir umgeben sind, die
Sprache, in der wir denken, ist Teil der Realität, in der Diskriminierung
entsteht. Ausgrenzung lässt sich überall finden: im Alltag und in der
Weise, wie wir über Alltag nachdenken. Wir kommen da nicht so leicht raus.
## Worst Case?
Und genau das ist der Punkt, an dem die Diskussionen, die vom No Border
Camp und wie sie überall stattfinden an Küchentischen, in Plena und
Konferenzräumen, manchmal hässlich werden. Der Punkt, der für manche eine
einfache Einsicht ist, für andere ein großer Vorwurf. Ist das der Worst
Case?
Nein, bloß Schritt 2: Blame it. Wir brauchen mehr Streit, mehr
Auseinandersetzung, auch wenn das nicht immer spaßig ist. Die Gräben
existieren ja nicht, weil man anfängt, miteinander zu reden.
Was ist die Alternative? Schwierige Themen aussparen und nur das, worauf
sich alle, die irgendwie links sind, einigen können (Macht und so)?
Stattdessen das Haarige einfach in noch kleineren Echokammern diskutieren,
wo man sich immer wieder in den eigenen Überzeugungen selbst bestätigen
kann?
Oder noch eine Möglichkeit: einfach ganz „sachlich“ sein und einen reinen
Theoriestreit anstreben? Es geht um eine Praxis des Hinterfragens und
Diskutierens, die wir gemeinsam einüben müssen – und das unter anderem
anhand unserer Erfahrungen. Ich sehe keinen Ausweg, als mitten durchzugehen
durch das schwierige Gemenge aus Verstand und Gefühl.
Und? Hat die gesellschaftliche Linke ein Rassismusproblem? Ich würde sagen:
ja, klar. Weil wir alle ein Rassismusproblem haben. Die böse Welt der
anderen ist auch unsere böse Welt. Egal, wie sehr wir dagegen sind, egal,
wie viel wir darüber wissen.
Die Grundprämisse ist doch: Solange wir in dieser Gesellschaft leben, ihre
Sprache sprechen und die uns zugewiesenen Rollen spielen oder anders
gesagt: Solange wir nicht alleine zu Hause sitzen und eine weiße Wand
anstarren, müssen wir davon ausgehen, dass all das Gute und Schlechte da
draußen Einzug nehmen kann in unser Denken und Handeln. Ob wir wollen oder
nicht. Ob wir es merken oder nicht. Ob es jemanden stört oder nicht.
## Müssen wir uns schämen?
Das ist eine sehr starke Grundannahme, man könnte auch sagen: ein
Totschlagargument. So banal und küchenpsychologisch es klingt: Am besten
fängt man bei sich selbst an. Und im Prinzip ist es genau das, was in
diesen hitzigen, teils verletzenden Diskussionen immer wieder auftaucht:
ein Generalverdacht. Aber ich glaube, dass nur mit dieser Annahme, von der
sich niemand ausschließen kann – egal ob persönlich von Rassismus betroffen
oder nicht – eine kritische Praxis erst möglich ist.
Und genau darum müssen wir Schritt 3 vergessen: Shame it! Niemand soll sich
schämen. Nichts ist verboten zu sagen oder zu denken, wenn man sich
zusammentun möchte, um etwas zum Besseren zu verändern. Wir müssen uns
streiten um Methoden, Ideen und Instrumente, mit denen wir ein gerechteres
Zusammenleben gestalten können. Wir brauchen einen großen Streit um
Überzeugungen, die richtige Ideologie, die schönste Utopie.
Und ein bisschen etwas von dem, was einen auch auf der Straße wappnet –
Schritt 4: durchatmen, weitermachen.
15 Nov 2016
## LINKS
[1] http://jungle-world.com/artikel/2012/30/45919.html
## AUTOREN
Amna Franzke
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