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# taz.de -- Studie zu Autos in der Stadt: Weniger bringt mehr
> Viele europäische Städte experimentieren mit Konzepten zur
> Verkehrsberuhigung. Experten kommen nun zum Schluss: Es lohnt sich, dem
> Auto Raum zu nehmen.
Bild: Verkehrsberuhigung wirkt: Tempo-30-Schild
Hamburg taz | Wenn Quartiere oder Straßen verkehrsberuhigt werden, führt
das mitnichten dazu, dass die Autos einfach nur ausweichen und in den
Nachbarstraßen der Verkehr kollabiert. Das Gegenteil ist der Fall, wie das
Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) durch die Auswertung von
Verkehrsversuchen unter anderem in Hamburg und Bremen herausgefunden hat.
„Die Untersuchung zeigt, dass Maßnahmen, die den Autoverkehr zähmen, im
erwünschten Sinne wirken: mehr Lebensqualiät und zugleich Mobilität“, sagt
Projektleiterin Uta Bauer.
Die Difu-Forscher haben sich 30 evaluierte Verkehrsversuche in europäischen
Städten angesehen. Finanziert wurde das von der EU und dem
Bundesforschungsministerium im Rahmen des Projekts „Tune Our Block“. Dabei
ging es um die Verkehrsberuhigung ganzer Quartiere wie in Hamburg-Ottensen
oder einzelner Straßen wie der Bremer Humboldtstraße.
Obwohl die lokalen Ansätze und Rahmenbedingungen sowie die
Evaluationsdesigns nicht miteinander verglichen werden könnten, ließen sich
aus den Ergebnissen doch Trends ablesen, schreibt das Difu. Fast alle
Erhebungen bestätigten das Phänomen der „traffic evaporation“: „Das
KFZ-Verkehrsaufkommen verringert sich insgesamt, ‚verpufft‘ also in
nennenswertem Maße“, heißt es in der Difu-Studie.
Bei flächenhaften Verkehrsberuhigungsprojekten betrage der Rückgang 15 bis
28 Prozent, bei gesamten Innenstädten 25 bis 69 Prozent, im Umfeld
einzelner umgestalteter Straßen zwischen vier und 52 Prozent. Das Difu
erklärt das damit, dass die Menschen ihr Verhalten ändern, wenn sich die
Rahmenbedingungen wandeln.
## Studie: Verkehrsberuhigung bringt weniger Verkehr
Fast schon trivial: „Je attraktiver Fuß- und Radwege sind, desto häufiger
nutzen Menschen sie“, schreibt das Difu. Die Leute wählten andere Ziele,
unterließen weniger wichtige Fahrten oder suchten andere Routen. Dass sich
der Autoverkehr anderswohin verlagere, sei nur in moderatem Ausmaß zu
beobachten.
Projektleiterin Bauer hofft, dass Kommunalpolitik und -verwaltung die
Ergebnisse der Studie berücksichtigen. Zumindest dürften Politik und
Verwaltung mit der Studie ein starkes Argument in der Hand halten, wenn sie
eine Verkehrsberuhigung planen. Denn die einzelnen Projekte sind häufig
umstritten.
[1][Der Verkehrsversuch „Ottensen macht Platz“ etwa ging auf eine
Anwohnerinitiative zurück], rief aber auch eine Gegeninitiative auf den
Plan. Nach fünf Monaten stoppten zwei Anwohner den Versuch mit einem
Eilantrag beim Verwaltungsgericht. Die größte Skepsis gab es unter den
Gewerbetreibenden, von denen aber immerhin eine knappe Mehrheit von 44 zu
40 Prozent das Projekt eher gut als schlecht fand.
Ottensen ist ein verwinkelter, gründerzeitlich geprägter Stadtteil in
Altona. Für den Verkehrsversuch sperrten die Behörden im September 2019
einige belebte Straßen im Zentrum des Stadtteils für den Autoverkehr.
Arbeiter markierten ganze Fahrbahnabschnitte gelb und schrieben mit blau
„Ottensen macht Platz“ drauf.
Die Bevölkerung war aufgefordert, sich des frei gewordenen Raums kreativ zu
bemächtigen. Es wurden Sitzgelegenheiten aufgebaut. Bei einem Straßenfest
rollten Anwohner Kunstrasen aus und spielten Tischtennis auf der Straße.
Verkehrszählungen zufolge wich der motorisierte Verkehr zum Teil auf
umliegende Straßen aus. Dort nahm der Verkehr um zwei bis 56 Prozent zu –
allerdings ohne dass die Straßen verstopften. In der zentralen Straße des
beruhigten Gebiets nahm der Verkehr hingegen um 80 Prozent ab. Unterm
Strich ging der Autoverkehr laut Difu um 16 bis 28 Prozent zurück.
Nutzten vor dem Versuch 19 Prozent das Auto, waren es währenddessen 17
Prozent. Der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Wege wuchs von 29 auf 31
Prozent. Aufgrund der positiven Resonanz beschloss die Bezirksversammlung
Altona, [2][das Projekt unter dem Namen „Freiraum Ottensen“
weiterzuentwickeln].
Am [3][Vorbild Barcelona orientiert sich die niedersächsische
Landeshauptstadt Hannover bei ihren Überlegungen zur Verkehrsberuhigung].
Barcelona, wo weite Teile der Stadt aus quadratischen Wohnblocks bestehen,
plant seit 2016 mit sogenannten Superblocks. Dabei werden mehrere Blocks
zusammengefasst und die Straßen dazwischen dem Anwohner- und Lieferverkehr
vorbehalten.
In einem untersuchten Superblock nahm der Verkehr in den beruhigten Straßen
um 82 Prozent ab. Nur ein Teil des Verkehrs wurde verdrängt, der Rest
verdampfte. Unter Einbeziehung der umliegenden Hauptstraßen verringerte
sich der Autoverkehr um 15 Prozent.
[4][In der Hamburger Osterstraße ließ das Bezirksamt Eimsbüttel den
Gehsteig verbreitern] und Parkplätze wegnehmen. Wegen der schmaleren
Fahrspur nahm der KFZ-Verkehr je nach Abschnitt zwischen 15 und 32 Prozent
ab. Der Radverkehr nahm dagegen an Wochentagen zwischen 66 und 102 Prozent
und samstags zwischen 20 und 30 Prozent zu. Auch der Fußverkehr stieg
deutlich an: um 21 bis 33 Prozent. Die Autos fuhren langsamer.
## Bremen experimentiert mit Fahrradstraße
[5][Der Bremer Senat unternahm in der Humboldtstraße – einer ausgewiesenen
Fahrradstraße – einen Verkehrsversuch], bei dem er drei Varianten
ausprobierte: Anlieger frei, Durchfahrtsperre für Autos, Einbahnstraße. Bei
„Anlieger frei“ veränderte sich praktisch nichts.
Die Durchfahrtsperre führte zu einem Rückgang zwischen zehn und mehr als 50
Prozent. Auch auf den umgebenden Hauptstraßen (zehn bis 30 Prozent) und den
meisten Nebenstraßen (zehn bis 50 Prozent) nahm der Verkehr deutlich ab.
Nur auf wenigen abzweigenden Nebenstraßen nahm er um zehn bis mehr als 50
Prozent zu.
Auch mit der Einbahnstraßen-Regelung ging der KFZ-Verkehr stark zurück,
desgleichen in einigen abzweigenden Straßen. In einer abzweigenden Straße
stieg der Autoverkehr moderat, in einer weiteren Straße um mehr als 50
Prozent an. Die Anzahl der Raser nahm zu. Der Bremer Senat will die Straße
nun mit einer Kombination aus den Varianten zwei und drei dauerhaft
umgestalten.
## Immer mehr Menschen verzichten auf das Auto
In seinem Fazit weist das Difu darauf hin, dass die Verkehrsberuhigung in
vielen Fällen zu einer besseren Luft geführt habe. Die Erfahrungen von
Städten, die sich schon lange mit dem Thema beschäftigen, zeigten, dass die
Wirkungen einer Verkehrsberuhigung mit der Zeit zunähmen.
Immer mehr Menschen verzichteten auf das Auto. Für die Mobilitätswende in
den Kommunen seien die Ergebnisse unterm Strich erfreulich. „Maßnahmen, die
den Autoverkehr zähmen, wirken im erwünschten Sinne“, resümiert die Studie.
20 Jul 2023
## LINKS
[1] /Das-Ringen-um-den-Parkraum/!5807133
[2] https://www.hamburg.de/altona/freiraumottensen/16448180/bericht-verkehrskon…
[3] /Verkehrsberuhigung-durch-Stadtplanung/!5947088
[4] /Initiator-Kai-Ammer-ueber-Osterstrassen-Plaene/!5038859
[5] /Fahrradverkehr-in-Bremen/!5749536
## AUTOREN
Gernot Knödler
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